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Hinweise auf Ausstellungen; Rezensionen von Büchern; Interviews mit Fotografierenden, Kunstschaffenden und Medienaktiven; Anmerkungen zur Geschichte und Theorie der Fotografie; Kommentare zur Kultur; Berichte zum Zeitgeschehen und von Reisen.
Non-reale Wirklichkeiten
Zeiten und Räume vermischen sich, Bildelemente verschiedener Quellen werden zusammengefügt. So entstehen fiktive Realitäten. Heute gehört dies zum Medienalltag, es ging aber auch schon ohne Künstliche Intelligenz. Collagen und Montagen zählen seit den ersten Jahrzehnten des 20. Jahrhunderts zu den eingeübten Stilmitteln der Fotografie. So lässt sich trotz der Eigenschaft als vermeintlich objektives Medium das wirklichkeitsüberschreitende Potential der Fotografie deutlich machen. Sie liefert nun einmal, und zwar grundsätzlich, bildnerische Konstrukte, jedoch keine Wirklichkeit an sich. Einige Künstlerinnen und Künstler haben schon früh die sich daraus ergebenden Freiheiten erkannt, die nicht weit von denen der Malerei entfernt sind.
Vom Großen und vom Kleinen
Der Hamburger Bahnhof erweist sich gegenwärtig einmal mehr als einer der spannendsten Orte Berlins für zeitgenössische Kunst. Nicht nur in der Haupthalle des ehemaligen Bahnhofs, der bereits in der Vergangenheit mit verschiedenen Großinstallationen bespielt wurde, sondern auch in den Seitenflügeln und den angeschlossenen Rieckhallen wird ein ausgewählter Querschnitt der aktuellen Moderne präsentiert. Ergänzt werden die Wechselausstellungen durch dauerhaft gezeigte Werke von Joseph Beuys sowie einer düsteren Installation von Bruce Nauman.
Der kleine Tod und das wirkliche Leben
Der Fotograf Kristian Hadeland, Hauptfigur in Karl Ove Knausgårds Roman Die Schule der Nacht, sucht die Provokation und will mit seinen Bildern an Tabus kratzen. Nicht zuletzt geht es um die Abwendung vom schönen Schein. Darüber hinaus ist Hadeland besessen vom Morbiden und vom Gedanken der Vergänglichkeit des Lebens. Der Roman beschreibt, wie er eine tote Katze vom Tierarzt stiehlt und abkocht, um das Gerippe freizulegen und anschließend zu fotografieren. Das Bild trägt den Titel Das Gerüst des Lebens.
Die Verbindung des Gedankens der Vergänglichkeit mit der Frage nach dem Wesen des fotografischen Bildes wird zu einer Metapher für den kleinen Tod.
Meisterliche Abgründe
Karl Ove Knausgård hat in seinem jüngsten Roman Die Schule der Nacht die Geschichte eines Fotografen von der Studienzeit in London bis zu einem abgründigen Finale auf einer norwegischen Insel nachgezeichnet. Inklusive einiger Krimimerkmale beschreibt er das Psychogramm eines selbstverliebten und selbstsüchtigen Künstlers. Man möchte das Buch nicht aus der Hand legen, bis erkennbar wird, wie die Dinge enden. Bis dahin hat uns Knausgård, der den Roman als finster und unangenehm bezeichnete, auf die Reise in eine Welt mitgenommen, die vom egozentrischen Selbstbild der Hauptfigur und einer entfremdeten Kommunikation geprägt ist.
Ende einer Illusion?
Im Jahr 1970 veröffentlichte das Kursbuch 20 einen Essay von Hans Magnus Enzensberger mit dem Titel Baukasten zu einer der Theorie der Medien. Er übertrug Gedanken Brechts aus dem Jahr 1932 zum Rundfunk als Kommunikationsapparat auf das Fernsehen. Als Kernthese und im Duktus der Kritischen Theorie der Frankfurter Schule konstatierte Enzensberger eine repressive Medienrealität. Die Bewusstseinsindustrie sei durch subtile Steuerungs- und Kontrollfunktionen gekennzeichnet, um systemaffirmative Leistungen zu erbringen. Die Kapitalismuskritik jener Zeit lässt grüßen. Zur Erinnerung: TV und Rundfunk bestanden 1970 ausschließlich aus öffentlich-rechtlichen Anstalten. Private Sender und ein allgemein zugängliches Internet gab es noch nicht. Dem repressiven Mediengebrauch stellte Enzensberger eine emanzipatorische Alternative gegenüber.
Fotografie als Kunst
Dem gemalten Bild fehlt das technisch zwingende Kriterium der Fotografie, ein indexikalischer Repräsentant von etwas Realem zu sein. Jede Fotografie ist, im Gegensatz zur Malerei, auf die Lichtabstrahlung von Objekten angewiesen, die auf einem Speichermedium, Film oder Sensor, festgehalten werden. Es gibt keine Kamerafotografie, die per se und autonom nur für sich selbst steht. Sie muss sich deshalb die Frage gefallen lassen, ob hier überhaupt von Kunst gesprochen werden kann. Schließlich ist das fotografische Bild nicht vollständig künstlich.
Nun ist jede Definition von Kunst eine kontingente Angelegenheit. Es würde immer auch anders gehen. Dennoch gibt es Begriffsumkreisungen ohne Letztgeltungsanspruch, die Plausibilität beanspruchen dürfen, etwa die des amerikanischen Kunsthistorikers Michael Fried, der im Jahr 2008 (dt. 2014) mit Warum Photographie als Kunst so bedeutsam ist wie nie zuvor einen umfangreichen Essay vorgelegt hat.
Wolfgang Tillmans in Dresden
Nimmt man das Besucherinteresse bei Ausstellungen, die Urteile der professionellen Kunstwelt oder die Verkaufserlöse seiner Werke als Gradmesser, zählt Wolfgang Tillmans zu den Spitzenvertretern der internationalen Fotokunst. Große Museen in London, Berlin oder New York haben ihm Ausstellungen gewidmet, nun ist Dresden an der Reihe. Die Schau im Albertinum nennt sich Wolfgang Tillmans. Weltraum. Zwar spielt hier und da der Space auch eine Rolle, mehr jedoch bildet die Welt als Raum mit ihren mannigfaltigen Facetten den Rahmen für fotografische Reflexionen und spontan erscheinende, meist jedoch sorgfältig komponierte Bilder.
Das große Knipsen
Martin Walser beginnt im Jahr 1960 eines der Kapitel des Romans Halbzeit mit einem inneren Dialog: Aber Gott kann doch, als er den Menschen bastelte, nicht schon mit der Erfindung der Photographie gerechnet haben! Doch, hat er, muss er, schließlich weiß er alles schon im voraus. Dann sind aber die, die lebten, bevor das große Knipsen begann, ganz schön geprellt worden. Sind sie, sind sie. Je früher geboren, desto schlimmer!
Walsers Anmerkungen zur Fotografie haben Entwicklungen vorweggenommen, mit deren Erscheinungsformen wir es heute zu tun haben. Fotografieren ohne Ende. Das große Knipsen. Einige Jahre nach Walsers Roman erschien im Kino Das große Fressen. Eine dekadente Veranstaltung Frustrierter, die ins Übermäßige ausartete, bis zum Kotzen, bis zum Tod.
Wittgenstein: Logik und Kunst
Es bleibt verwirrend. Jeder Versuch einer Definition von Kunst und damit auch der künstlerischen Fotografie endet in der Regel mit dem Hinweis auf die notwendige Berücksichtigung ihrer Entstehungsbedingungen. Kunst an sich gibt es nicht, eine zeitlose, kulturunabhängige Definition ebenso wenig. Ewig Geltendes ist nicht zu haben, obgleich es seit Menschengedenken eine Suche, ja eine Sehnsucht nach zeitlosen Wahrheiten gibt. Ein Ausdruck dafür sind Mythen und Religionen. Diese kollidieren in der Moderne jedoch mit dem Rationalismus der Aufklärung und dem szientistischen Herangehen der instrumentellen Vernunft. Bei dieser geht es um nutzbares Wissen, während Mythos und Religion den Normen eines wissenschaftlichen Urteils und der Verwertbarkeit gerade nicht entsprechen. Gleichzeitig jedoch können sie dem aufnahmebereiten Empfänger logikunabhängige Gewissheiten verschaffen. Ähnlich scheint es mit der Kunst zu sein.