Non-reale Wirklichkeiten

Zeiten und Räume vermischen sich, Bildelemente verschiedener Quellen werden zusammengefügt. So entstehen fiktive Realitäten. Heute gehört dies zum Medienalltag, es ging aber auch schon ohne Künstliche Intelligenz. Collagen und Montagen zählen seit den ersten Jahrzehnten des 20. Jahrhunderts zu den eingeübten Stilmitteln der Fotografie. So lässt sich trotz der Eigenschaft als vermeintlich objektives Medium das wirklichkeitsüberschreitende Potential der Fotografie deutlich machen. Sie liefert nun einmal, und zwar grundsätzlich, bildnerische Konstrukte, jedoch keine Wirklichkeit an sich. Einige Künstlerinnen und Künstler haben schon früh die sich daraus ergebenden Freiheiten erkannt, die nicht weit von denen der Malerei entfernt sind.

Bereits Pablo Picasso und Georges Braque fügten in ihre Gemälde Papierstücke verschiedener Herkunft und andere vorgefundene Objekte ein. Hannah Höch, Kurt Schwitters, Raoul Hausmann oder John Heartfield gingen noch einen Schritt weiter. Nun wurde allein schon die Collage solcher Objekte zum Bild. Fotografien spielten dabei häufig eine zentrale Rolle. Mal führte dies in dadaistische oder surreale Phantasiewelten, mal zur politischen Aussage wie bei Heartfield. In den allermeisten Fällen waren die Ergebnisse vom Betrachter dabei als künstliche Konstrukte identifizierbar. Schwieriger ist dies bei Fotomontagen, deren Bildelemente, kaum erkennbar, so zusammengefügt werden, dass sich ein fototypischer Realitätseindruck mit Wahrheitsanmutung ergibt.

Dies rief schon immer Kommunikationsstrategen verschiedener Couleur auf den Plan. Nicht zuletzt politische Desinformationskampagnen nutzen den Effekt. Dafür gibt es in der Geschichte zahlreiche Beispiele. Die Liste politisch motivierter Bildfälschungen und Montagen ist lang. Stets soll mit dokumentarischem Anspruch eine agitatorisch genehme Wirklichkeit suggeriert werden. Aber es bleibt gefakte Propaganda. Vergleichbares geschieht im Bereich der Werbung. Produktdarstellungen sind nahezu immer durch Bildmontagen gekennzeichnet.

Jenseits solcher instrumentellen Kontexte beanspruchen Collagen und Montagen künstlerische Freiheit und wenden sich vom konventionellen Naturalismus beziehungsweise dem Dokumentarischen ab. Das Dogma von der Fotografie als eines wirklichkeitsverhafteten Mediums wird durch symbolische und metaphorische Collagen in seine Grenzen verwiesen. Das Entstehen neuer Bildkontexte über die Informationsgehalte der zusammengefügten Fotografien hinaus ergibt Werke sui generis. Nun ohne Realitätsentsprechung. Mal lässt sich das Ergebnis vom Betrachter interpretativ mit Sinn versehen, mitunter bleibt es aber auch beim Fragezeichen. Ob Irritationen mitschwingen, die Überraschung und Interesse auslösen, entscheidet sich von Fall zu Fall.

Cubistic Lion

Zeiten und Räume vermischen sich. Da können die Fotografie einer Phantasiegestalt vor der Boutique einer kanarischen Stadt auf das Objekt einer Kunstausstellung in Berlin und dann beide zusammen auf den Bilderrahmen einer ehrwürdigen Gemäldegalerie stoßen. Drei Bestandteile ergeben ein neues, viertes Bild. Um eine Fotografie im klassischen Sinne handelt es sich dabei nicht. Im Übrigen existiert das Ergebnis erst einmal nur virtuell. Als digitale Datei. Ob sie sich dem künstlerischen Diskurs zuordnen lässt, erscheint als eine reichlich nebensächliche Frage.

 

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Vom Großen und vom Kleinen