Wolfgang Tillmans in Dresden
Nimmt man das Besucherinteresse bei Ausstellungen, die Urteile der professionellen Kunstwelt oder die Verkaufserlöse seiner Werke als Gradmesser, zählt Wolfgang Tillmans zu den Spitzenvertretern der internationalen Fotokunst. Große Museen in London, Berlin oder New York haben ihm Ausstellungen gewidmet, nun ist Dresden an der Reihe. Die Schau im Albertinum nennt sich Wolfgang Tillmans. Weltraum. Zwar spielt hier und da der Space auch eine Rolle, mehr jedoch bildet die Welt als Raum mit ihren mannigfaltigen Facetten den Rahmen für fotografische Reflexionen und spontan erscheinende, meist jedoch sorgfältig komponierte Bilder.
Ein unvorbereiteter Besucher mag die Zusammenstellung als beliebig oder sprunghaft wahrnehmen. Erwartungen nach durchgängigen Themen werden auf den ersten Blick nicht unbedingt erfüllt. Singuläre Tafelbilder, installationsartige Hängungen an den Wänden, Videos mit elektropoppiger Musikuntermalung sowie ein Ausstellungskatalog, Künstlerbuch genannt, bilden ein Setup, wie man es von Tillmans so oder so ähnlich kennt. Wirklich neu ist das nicht, aber die Museumsmacher versprechen ja auch eher einen mit erstmals gezeigten Werken ergänzten Querschnitt durch das vielfältige Schaffen des Künstlers.
Bereits der erste Raum kontrastiert Gegenständliches mit abstrakten, kameralos entstandenen sowie skulpturalen Werken, mit denen die Grenzen des Mediums ausgelotet werden. Das mag eklektisch wirken, beleuchtet aber die Materialität der Fotografie in ihren verschiedenen Erscheinungsformen. Hierbei wie auch in den weiteren Räumen wird der Sinn der Tillmans-typischen Hängung deutlich. Großformatige Bilder und Kleineres fügen sich zu einem Gesamtwerk, das, durchaus mit einem metaphysischen Hintergedanken, Verbindungen herstellt zwischen dem Kosmischen und dem Alltäglichen. Einige sehr persönlich erscheinende, intime Fotografien in einem weiteren Raum wirken wie inszeniert oder, ganz im Gegenteil, wie Schnappschüsse, sind jedoch allesamt dem Blick auf die Zerbrechlichkeit des Moments geschuldet. Der vierte Ausstellungsraum ist wieder geprägt durch großformatige Arbeiten, die ohne Kamera allein durch Licht und Chemie in der Dunkelkammer und der Entwicklungsmaschine entstanden sind. Reisebilder, Porträts und Landschaften bestimmen einen weiteren Raum. Das alles ist keine geschlossene Erzählung, sondern eher ein Gefüge aus Fragmenten. Dazu gehören auch die astronomischen Blicke auf das All, das Tillmans schon immer beschäftigt hat. Der Weltraum einerseits und die neuen, vom Menschen erdachten Technologien auf der anderen Seite sind Bestandteile eines Gesamtspektrums, das im nächsten Ausstellungsraum näher ausgeleuchtet wird. Maschinen, digitale Apparate und Infrastrukturen zeigen sich als prägende Elemente unserer heutigen Lebensrealität. Im abschließenden Raum der Ausstellungsetage fällt die Fotografie eines Schiffscontainers auf, den Tillmans mitten in einer mongolischen Landschaft als Zeichen für die globalen Warenströme unserer Zeit entdeckt hat, selbst in einem fernen Winkel der Welt. Im Erdgeschoss dann zum Abschluss oder Beginn des Ausstellungsbesuchs, je nachdem, zwei Videoarbeiten mit Tillmans eigenen New-Wave Klängen. Einmal der Mond als Teil des großen Raumes, und dann eine Autofahrt in der regnerischen, vom Menschen gemachten Stadt. Hier schließt sich der Kreis.
In den Feuilletons werden wiederkehrend einige prägende Aspekte im Werk Tillmans hervorgehoben. So wird die Mischung von Alltagsästhetik und Intimität betont, auch deren Unmittelbarkeit und Authentizität, dann die Experimentierfreude des Künstlers, die Parallelität von Abstraktion und Gegenständlichkeit, schließlich der Installationscharakter der Ausstellungen. Auch werden der Blick auf technische Innovationen genannt und nicht zuletzt sein soziales und politisches Engagement, etwa mit Blick auf die Akzeptanz querer Kulturen, den Klimawandel oder den Ausstieg Großbritanniens aus der Europäischen Gemeinschaft.
Daneben kann man auch einige kritische Anmerkungen lesen. Der vermeintliche Eklektizismus wurde schon erwähnt. Hinzu kommt das Gefühl einer gewissen Oberflächlichkeit ohne wirklichen Tiefgang, da alles auf der Ebene einer beliebigen postmodernen Ästhetik verbleibe. Trotz Anti-Elite-Anspruch wirke dies in gewisser Weise exklusiv, gedacht für ein gebildetes Kunstpublikum, das sich aus dem Gezeigten selbst einen Sinn zusammenbastelt. Dass Tillmans sich einer kommerziellen Verwertung seiner Produkte nicht verschlossen hat, mag allerdings nur naive Gemüter beschäftigen, die den Zwängen des Kunstbetriebes mit einem grundsätzlichen Vorbehalt begegnen. Die Ateliermaschine mit ihrer Technik und den Assistierenden will aber schließlich finanziert sein. Insgesamt jedoch fällt die Kritik nur selten pauschal negativ aus. Die Ambivalenz zwischen Zugänglichkeit und Komplexität wird als produktive Herausforderung angenommen. So mag sich dann jeder und jede, durchaus im Sinne Tillmans, ein eigenes Bild machen. Die Ausstellung im Dresdener Albertinum bietet hierfür eine Gelegenheit.
Hier ein paar Links zu Beiträgen bzw. Interviews zu älteren Ausstellungen Tillmans und auch zur aktuellen Schau in Dresden. Die ZEIT hat die große Retrospektive in der Tate Modern in London im Jahr 2017 kommentiert, der Stern frühere Ausstellungen in Berlin und Düsseldorf, ebenso der Spiegel. Die Ausstellung im Albertinum haben unter anderen der mdr besucht, die ZEIT oder das Magazin art-in. Dies nur eine Auswahl.
Die Ausstellung Wolfgang Tillmans. Weltraum im Dresdener Albertinum ist noch bis zum 29.06.2025 zu sehen.
Das schwergewichtige Künstlerbuch Wolfgang Tillmans. Things matter. Dinge zählen ist in der Ausstellung für freundliche acht Euro zu haben, im Buchhandel für einige Taler mehr. Es zeigt hunderte von Fotografien Tillmans, weit mehr als die in Dresden präsentierten, und bildet eine Art Kompendium zu dessen Schaffen. Ob die Affinität zu den Werken der Neuen Meister der Gemäldegalerie Dresden, wie im Katalog souffliert, angemessen ist, mag jeder für sich entscheiden. Die Mixtur aus den teils kleinformatigen oder ineinander montierten Fotografien tillmanscher Art mit überwiegend schwarzweiß abgebildeten Gemälden aus dem Dresdener Bestand spricht aber nicht unbedingt dafür, dass die einzelnen Dinge wirklich zählen. Es sei denn, ihre schiere Anzahl ist gemeint. Ein Overkill? Immerhin könnte man denken, Tillmans habe trotz anderslautender Beteuerungen, wie im Schlussteil des Kataloges in einem Gespräch zum Ausdruck gebracht, die Gemälde vor allem als Hintergrund für Eigenes genutzt. So oder so, ein Künstlerbuch mit viel Masse. Acht Euro sind okay.
Als Überblick zum fotografischen Werk von Wolfang Tillmans bietet sich alternativ die Edition Four Books vom Verlag TASCHEN an, in der einige seiner Fotobücher rund um die Jahrtausendwende zusammengefasst sind. Empfehlenswert!