Blog
Hinweise auf Ausstellungen; Rezensionen von Büchern; Interviews mit Fotografierenden, Kunstschaffenden und Medienaktiven; Anmerkungen zur Geschichte und Theorie der Fotografie; Kommentare zur Kultur; Berichte zum Zeitgeschehen und von Reisen.
Wittgenstein: Logik und Kunst
Es bleibt verwirrend. Jeder Versuch einer Definition von Kunst und damit auch der künstlerischen Fotografie endet in der Regel mit dem Hinweis auf die notwendige Berücksichtigung ihrer Entstehungsbedingungen. Kunst an sich gibt es nicht, eine zeitlose, kulturunabhängige Definition ebenso wenig. Ewig Geltendes ist nicht zu haben, obgleich es seit Menschengedenken eine Suche, ja eine Sehnsucht nach zeitlosen Wahrheiten gibt. Ein Ausdruck dafür sind Mythen und Religionen. Diese kollidieren in der Moderne jedoch mit dem Rationalismus der Aufklärung und dem szientistischen Herangehen der instrumentellen Vernunft. Bei dieser geht es um nutzbares Wissen, während Mythos und Religion den Normen eines wissenschaftlichen Urteils und der Verwertbarkeit gerade nicht entsprechen. Gleichzeitig jedoch können sie dem aufnahmebereiten Empfänger logikunabhängige Gewissheiten verschaffen. Ähnlich scheint es mit der Kunst zu sein.
Anmerkungen zu den Sieben Todsünden
Das alte Kirchenkonzept der Sieben Todsünden weist zahlreiche Unschärfen und Ambivalenzen auf. Vor allem jedoch hindert der antiquiert wirkende Beiklang daran, sich näher mit Hochmut, Neid, Zorn, Trägheit, Geiz, Völlerei oder der Ausschweifung zu befassen. Die Begrifflichkeiten scheinen zu sehr mit Vorstellungen eines Fegefeuers verbunden, als dass sie zu einer diskursiven Beschäftigung einladen. Subkutane Abwehrhaltungen erschweren oder verhindern eine inhaltliche Reflexion. Mit mittelalterlichen Kirchendogmen, mit Sünde und Teufel will man nichts mehr zu tun haben. Dabei wird übersehen, dass in Teilen der Gegenwartskultur bestimmte Elemente dieser Normen weiterhin eine Rolle spielen. Dass es dabei auch zu einer Umkehrung der Verbote in ihr Gegenteil kommt, macht die Sache nicht einfacher.
Das Private wird politisch
Seit es Gesellschaften gibt, besteht ein Spannungsverhältnis zwischen den kollektiven Anforderungen an den Einzelnen und dessen Behauptungen gegenüber dem sozialen Umfeld. Gleichwohl bilden Individuum und Gesellschaft zwei Pole, die nicht voneinander zu trennen sind. In der Öffentlichkeit treffen sie aufeinander. Den Gegenpart bildet das Private. Die Verhaltensweisen in beiden Bereichen haben sich im Laufe der Zeit grundlegend verändert. Einiges von diesem Prozess spiegelt sich in der Praxis der Fotografie wider. Der heute in den Sozialen Medien zur Gewohnheit gewordene öffentliche Umgang mit privaten Bildern war noch vor wenigen Jahrzehnten undenkbar.
Fotografien eines Wandels
Es war in den 1950er Jahren, als ein Amateurfotograf durch das im Thüringischen gelegene Berka streifte und Bilder vom Gemeinschaftsleben seines Heimatortes in der noch jungen DDR festhielt. Die Aufnahmen vermitteln eine optimistische Grundstimmung zwischen dem neugewonnenen Alltag nach dem Krieg und den Bemühungen des ostdeutschen Staates um Identitätsbildung. Fotografien von Hochzeitsfeiern und vom Karneval oder von der Arbeit in den landwirtschaftlichen Betrieben stehen neben Bildern vom Fahnenappell der Jungen Pioniere und Symbolen der sozialistischen Propaganda. Fotograf war der 1929 geborene Ludwig Schirmer, seit 1953 Müllermeister in Berka. Erfolge bei Fotowettbewerben führten ihn schließlich zu professionellen Auftragsarbeiten für regionale Betriebe und Ende der 50er Jahre zur Aufnahme in den Journalistenverband.
Fotografie als symbolische Konstruktion
In den frühen Jahrzehnten der Fotografie im 19. Jahrhundert mussten Portraits, technisch bedingt, mit langen Belichtungszeiten aufgenommen werden. Die starre Haltung der Abgebildeten ergab dabei inmitten einer Atelierkulisse mit Säulen und Palmen eine Bildanmutung mit Verwandtschaft zur klassischen Statue. Alles wirkte wenig lebendig, und die Beteiligten erschienen wie Rollenträger, die sich an bürgerlichen Statusidealen orientierten. Vergleichbares gab es in der Antike. Schon die Funktion der klassischen Statue bestand in der Repräsentation eines Idealkörpers mit wohl definierten Proportionen. Figuren wurden nicht als Verdoppelung eines lebendigen Realitätsvorbildes geschaffen, sondern als Symbol für eine Idee.
Paul Strand und die fotografische Moderne
Seit ihren Anfängen warf die Fotografie einen Seitenblick auf die traditionellen Künste. Bald schon erhob sie den Anspruch, die Dinge exakter abbilden zu können, als es deren Techniken vermochten. Später mischte sich das Ansinnen hinzu, selbst Kunst sein zu wollen und nicht nur als Nachahmung der naturalistischen Malerei zu gelten. Dem lagen zwei Denkweisen zugrunde, eine handwerklich bestimmte und eine künstlerische. In den ersten Dezennien des Zwanzigsten Jahrhunderts fand die Fotografie schließlich zu einem Selbstverständnis, das beides vereinte. Exemplarisch dafür sind die Bilder von Paul Strand. In wenigen Jahren veränderte sich deren Anmutung vom Piktoralistischen hin zur Straight Photography, dem ersten eigenständigen fotografischen Stil.
Die Vermessung des Körpers
Geheimrat Goethe lässt den Laboranten Wagner im Zweiten Teil des Faust das Experiment vornehmen, mit Mitteln der Alchemie einen künstlichen Menschen zu erschaffen, einen Homunkulus. Das Experiment bleibt allerdings im Versuchsstadium und in der Phiole stecken. Goethe beließ es dabei. Dahinter ist jedoch die Idee einer naturwissenschaftlichen Analyse des Menschen und seiner Optimierung erkennbar. Im Übrigen war die Vermessung des Körpers schon vor den Arbeiten am Faust für Goethe von Interesse. Einerseits studierte er die menschlichen Proportionen, um die idealen Formen der klassischen Statuen zu verstehen und die eigene Zeichenfähigkeit zu verbessern, andererseits ging es auch um die Frage, ob sich aus äußeren Merkmalen Charaktereigenschaften ableiten ließen. Dass er als Geheimer Legationsrat für die Musterung von Rekruten zuständig war und bei diesen allerlei Körpermesswerte erheben ließ, sei nur am Rande erwähnt. Hier ging es um die militärische Praktikabilität, etwa beim Zuschnitt von Standarduniformen.
„Echte“ Fotografien und ihre Herausforderer
Je mehr man sich mit der Frage einer Abgrenzung echter Fotografien zu KI-generierten und KI-getunten Bildern befasst, umso komplexer wird die Thematik. Dabei könnte man es sich mit einer Antwort doch leicht machen. Ersten gibt es generativ erzeugte Bilder, die Fotografien simulieren, jedoch keine Verbindung zur anfassbaren Realität aufweisen und deshalb nicht als Fotografien bezeichnet werden können; zweitens digitale Fotografien, die zwar Realität aufgreifen, aber allesamt durch Algorithmen der Kamera geschickt wurden, von der Bearbeitung am Rechner ganz zu schweigen, und aus diesem Grund nicht ungeschminkt echt sind. Drittens schließlich analoge Fotografien, die in der Regel über jeden Verdacht erhaben sind und mit ihrem direkten Bezug zum Realen punkten können. Was auf einem analogen Negativ eingeschrieben ist, hat stets etwas mit dem Es ist so gewesen zu tun, wie Roland Barthes es formulierte. Die beiden ersten Erscheinungsformen, KI-generierte und KI-getunte Bilder, können genau dies nicht leisten. Sind also nur analoge Fotografien echt?
Fotografie zwischen Sozialen Medien und Künstlicher Intelligenz
Das Medium Fotografie ist in eine Zwickmühle geraten. Die Sozialen Medien von Instagram und TikTok bis Pinterest haben zwar zu einer Demokratisierung des Einsatzes fotografischer Technik beigetragen, aber auch zu einer massiven Überflutung mit Fotografien aller Art. Hinzu kommen mehr und mehr Bilder, die von KI-Tools wie DALLE E, MidJourney oder Stable Diffusion generiert wurden und immer realistischer sind. Man sieht ihnen die Entstehung am Rechner kaum an und die Unterscheidung zu echten Fotografien wird bald nur noch bei Einsatz forensischer Analysetechniken möglich sein. Die Glaubwürdigkeit von Bildern ist damit generell in Frage gestellt. Der Manipulation ist Tür und Tor geöffnet. Für das Medium Fotografie bedeutet dies eine Verunsicherung.