Meisterliche Abgründe
Karl Ove Knausgård hat in seinem jüngsten Roman Die Schule der Nacht die Geschichte eines Fotografen von der Studienzeit in London bis zu einem abgründigen Finale auf einer norwegischen Insel nachgezeichnet. Inklusive einiger Krimimerkmale beschreibt er das Psychogramm eines selbstverliebten und selbstsüchtigen Künstlers. Man möchte das Buch nicht aus der Hand legen, bis erkennbar wird, wie die Dinge enden. Bis dahin hat uns Knausgård, der den Roman als finster und unangenehm bezeichnete, auf die Reise in eine Welt mitgenommen, die vom egozentrischen Selbstbild der Hauptfigur und einer entfremdeten Kommunikation geprägt ist.
Um nicht die Spannung zu nehmen, soll vom Handlungsverlauf nur wenig verraten werden.
Der Fotograf Kristian Hadeland wird in den Londoner Jahren beiläufig in eine zunächst harmlos erscheinende Auseinandersetzung mit einem Obdachlosen verwickelt. Der Presse entnimmt er jedoch wenig später, dass dieser tot aufgefunden wurde. Hadeland leugnet vor sich selbst und der Polizei eine Mitverantwortung, die auch nicht zu beweisen ist. Zwar kümmert er sich in den folgenden Jahren höchst erfolgreich um seine Karriere als Künstler, aber das Ereignis lässt ihn nicht los. Der Roman entwickelt sich zu einer düsteren Erkundung narzisstischer Perspektiven und den moralischen sowie ästhetischen Grenzen der Kunst. Hadeland begibt sich fotografisch auf die Suche nach existenzialistischen Motiven, um der Essenz des Lebens und des Todes nachzuspüren. Makabre Inszenierungen gehören dazu. Themen der Authentizität und der Konstruktion von Fotografien schwingen als Metatext dabei mit.
Die Schule der Nacht illustriert, wie wir in eine an sich bedeutungslose Welt geworfen sind, jedoch durch eigene Entscheidungen und Handlungen einen Sinn erschaffen können. Die Freiheit des Handelns wird ohne Empathie und Verantwortung jedoch moralisch verwirkt. Sinnlosigkeit und Absurdität bleiben dann nicht aus. Hadelands rücksichtslose Verfolgung seiner künstlerischen Ideen, er hält sich für ein Genie, führt zur Isolation auch von der Familie und den Freunden. Wahrhaftige Beziehungen gelingen nicht, und ebenso wenig der Versuch, eine eigene authentische Existenz zu schaffen. Die wiederkehrenden Gedanken an den Tod des Obdachlosen spiegeln die Auseinandersetzung mit der Angst vor dem Nichts und der Endlichkeit des Seins wider.
Inwieweit der Roman subkutan auch autobiografische Charakterzüge oder Erfahrungen des Autors widerspiegelt, sei dahingestellt. Immerhin hat Knausgård an einer Kunstakademie studiert und in früheren literarischen Werken schonungslos und ohne Rücksicht auf reale Personen Elemente der eigenen Familiengeschichte verarbeitet. Im Übrigen befasste er sich mit Edvard Munch und Anselm Kiefer sowie im Feld der Literatur mit dem Faust-Mythos. Auch die Romanfigur Hadeland begreift: Der Teufel sind wir selbst.
Wer mehr über den Inhalt des Romans erfahren möchte, dem seien etwa Der Teufel trägt Kamera aus der ZEIT, ein Beitrag im Wiener Standard mit dem Titelzusatz Lektionen der Dunkelheit oder die Rezensionen des NDR und des rbb empfohlen. Die Schule der Nacht von Karl Ove Knausgård ist bei Luchterhand erschienen. Ein meisterliches Werk.