Fotografie als Kunst

Jeder Versuch einer begrifflichen Klärung von Kunst ist eine kontingente Angelegenheit. Es würde immer auch anders gehen. Eine verbindliche, allgemein geteilte Definition gibt es bekanntlich nicht. Wird dennoch eine eindeutige Antwort versprochen, ist das Scharlatanerie, meist gepaart mit kunsthistorischer Ahnungslosigkeit. Aber egal, es gibt ja auch Interpretationen ohne solche Letztgeltungsansprüche, mit denen man sich produktiv auseinandersetzen kann. Anregungen dazu stammen von dem amerikanischen Kunsthistoriker Michael Fried, der im Jahr 2008 (dt. 2014) mit Warum Photographie als Kunst so bedeutsam ist wie nie zuvor ein Verständnis vorschlug, das Plausibilität beanspruchen darf.

Dem gemalten Bild fehlt das ontologische Kriterium der Fotografie, nämlich, technisch zwingend, ein indexikalischer Repräsentant von etwas Realem zu sein. Jede Fotografie ist auf die Lichtabstrahlung von Objekten angewiesen, die auf einem Speichermedium, Film oder Sensor, festgehalten werden.

Es gibt, so betrachtet, im Gegensatz zu Gemälden keine Kamerafotografie, die nur für sich selbst steht. Was sie wiedergibt (dokumentiert?), ist deshalb grundsätzlich mit der Frage konfrontierbar, ob hier überhaupt von Kunst gesprochen werden kann. Schließlich ist das fotografische Bild nicht vollständig künstlich.

Michael Frieds Antwort ist eindeutig. Fotografie kann dennoch Kunst sein. In seinem umfangreichen Essay befasst er sich mit den Werken von Jeff Wall, Thomas Demand, Cindy Sherman, Thomas Struth, Andreas Gursky, Thomas Ruff, Candida Höfer und anderen, die meist großformatig arbeiten und die klassische Tableau-Form der Malerei übernehmen. Hierdurch wird der Betrachter gezwungen, in die Distanz und damit die Konfrontation zu gehen. Die Grenzen des Bildes erhalten eine andere Bedeutung, als dies bei der kleinteiligen Ansicht, etwa in einer Buchpublikation, der Fall ist. Der Betrachter wird in das große Tableau-Bild hineingezogen und muss eine Beziehung zu ihm entwickeln. Ein neutral bleibender Blick ist unwahrscheinlich. Dadurch rückt der Realitätsgehalt der Fotografie, wie er im Zeitpunkt der Aufnahme vorhanden war, erst einmal in den Hintergrund. Eher geht es um das pure Bild an sich und seine Wahrnehmung im Blick des Betrachters. Der ursprüngliche Wirklichkeitsbezug bleibt zwar theoretisch erhalten, spielt aber keine entscheidende Rolle. Die von Fried analysierten Bilder kommen damit der Malerei nahe. Es geht um die Kunst der Fläche und der Flächenabgrenzung; Kunst als Objekt ohne Außenbeziehung, wie es Wolfgang Kemp einmal in der ZEIT zusammenfasste. Fotografische Kunst wäre demnach gute Kunst, wenn sie sich in erster Linie nicht auf etwas Außerhalbbefindliches beruft, sondern selbstbezogen ist. Sie wäre dann ebenso monologisch wie zum Beispiel der Abstrakte Expressionismus mit seinen Sinnangeboten, die, so wollen wir hinzufügen, erst durch den Blick des Betrachters eine Auswahl finden.

Diese Auffassung von Fotografie als Kunst zieht die Grenzen relativ eng. Sie unterscheidet zwischen den inszenierten Bildern eines Jeff Wall, bei dessen mitunter schaufenstergroßen Werken die Entstehungsbedingungen mitreflektiert werden wollen/sollen, und der Dokumentarfotografie, bei der die Erinnerung an die ursprüngliche Wirklichkeit, ohne dass sich dies vermeiden ließe, im Vordergrund steht. Bei Wall interessiert das Bild zunächst einmal nur für sich selbst und dann erst auf der analytischen Ebene mit Rückbezug auf die Realität im Augenblick der Aufnahme. Jeff Wall spielt mit dem Medium Fotografie und verweigert sich einer substanziellen Abgrenzung zur Malerei, die ja im Übrigen auch schon in vorabstrakter Zeit einen Realitätsbezug suggerierte. Damit opponierte Wall in den 1970er Jahren gegen eine avantgardistische Konzept-Moderne, die vom klassischen Einzelbild nichts mehr wissen wollte.

Das alles spricht in keiner Weise gegen die Dokumentarfotografie und soll diese nicht abwerten. Sie bildet nun einmal das klassische Kerngeschäft der Fotografie. Ob sie allerdings nur dann zur Kunst werden kann, wenn sie inszeniert ist und großformatig daherkommt, um so die Wirkung des Tafelbildes zu übernehmen, darf mit einem Fragezeichen versehen werden. Die Antwort hängt von der, wir wiederholen es: kontingenten, Definition von Kunst ab. Damit wäre die Erkenntnis einmal mehr bestätigt, dass es Die Fotografie ebenso wenig gibt wie Die Kunst.

Michael Frieds Warum Photographie als Kunst so bedeutend ist wie nie zuvor ist bei Schirmer/Mosel erschienen und trotz einiger offenbleibender Fragen Gewinn bringend. Für das Verständnis der von Fried besprochenen Fotografinnen und Fotografen ist die Lektüre jedoch auf jeden Fall hilfreich.

 

Zurück
Zurück

Die Objektivität des Objektivs

Weiter
Weiter

Wer beherrscht hier wen?