KI und die Demokratisierung der Bildherstellung

Im 19. Jahrhundert sahen sich viele malende Künstler von dem neuen Medium Fotografie bedroht. Genützt haben ihre Abwehrversuche nichts. Die fotografische Technik etablierte sich und ihre Verbreitung erreichte einen Höhepunkt mit Kodaks Versprechen Sie drücken auf den Auslöser, wir erledigen den Rest.

Die Bildherstellung war nun demokratisiert, wenn auch um den Preis, dass eine externe Entwicklungsfabrik beteiligt sein wollte. Bald übernahmen Drogerien diesen Job. Auch einige Amateure verweigerten sich dem Massenweg und werkelten fortan in der eigenen Dunkelkammer. Ihre Ergebnisse mögen anspruchsvoller gewesen sein als die der Drogerie-User, es handelte sich jedoch nur um Abstufungen im Demokratisierungsprozess. Fotografieren konnte nun irgendwie jeder und jede. Aber es gab Widerstände von einigen, die sich dem Trend zur Egalisierung entgegensetzten.

Eine erste Verteidigungslinie bauten Profis und einige ambitionierte Fotoamateure auf. Sie verfeinerten die Verfahren bis hin zu komplizierten Dunkelkammerprozessen, die den Gelegenheitsfotografen mit seiner Box, einer Faltkamera, der Agfa Click oder auch einer Bessamatic ziemlich blass aussehen ließen. Es ging darum, Abstand zu wahren. Die ernstgemeinte Fotografie wollte eine Angelegenheit der Künste bleiben, schließlich hatte man sich nicht umsonst von der Malerei emanzipiert. Unbedarfte Alltagsfotografen sollten sich gefälligst mit ihren Fotoalben auf dem heimischen Sofa vergnügen und nicht die Kunst belästigen.

Eine Fortsetzung dieser Attitüde hält sich in veränderter Erscheinungsform bis heute. Die ambitionierte analoge Fotografie hat etwas Elitäres an sich. Die Filmentwicklung und vor allem die Positivtechnik in der Dunkelkammer setzen viel Erfahrung und handwerkliches Geschick voraus. Von Demokratisierung lässt sich in der Analogwelt, so gesehen, eigentlich nur bei der Kodak-Box, dem weitverbreiteten Drogeriebild und dem späteren Polaroid sprechen. Hinzu kamen Diapositive, die mit dem Projektor an die Perlleinwand geworfen wurden und in den 1960er Jahren Anlass für so manchen gefürchteten Abend waren. Die Bilder wurden größer, aber nicht unbedingt besser.

Eine neue Herausforderung entstand mit der Digitalisierung der fotografischen Technik. Ein weiterer Schock für die Lordsiegelbewahrer der wirklichen Fotografie. Nicht wenige meinten, das analoge Paradigma gegen den digitalen Konkurrenten verteidigen zu müssen. Die anspruchsvolle analoge Fotografie wollte schließlich weiterhin einen Platz im Kunstzirkus besetzen. Nicht umsonst war man seit den 1920er Jahren als zeittypisch empfundene Disziplin der Künste anerkannt. Zwar sah man, dass die digitale Technik in konsumorientierten Anwendungsbereichen aufgrund der immer besser werdenden Detailauflösung überlegen war, aber das steigerte nur die Abwehrbemühungen. Die Analogisten hoben den Wert der sinnlichen, eher groben, dafür wesenserfassenden analogen Technik hervor. Die digitale Fotografie war für sie eine bitcleane Angelegenheit, ähnlich wie die CD im Vergleich zur Vinylplatte.

Einen entscheidenden Punkt konnte die digitale Fotografie im Wettbewerb der Systeme aber ganz real für sich verbuchen. Das Fotografieren war endgültig, jedenfalls technisch betrachtet, eine durch und durch demokratische Angelegenheit geworden. Jeder und jede konnte mit einer preislich erschwinglichen Kamera und deren Automatiken korrekt belichtete, scharfe Bilder anfertigen. Vom Wegfall der komplexen Dunkelkammerarbeit ganz zu schweigen. Die fotografischen Künstler, jetzt mitunter auch selbst digital unterwegs, benötigten neue Verteidigungsstrategien, um sich von der Masse abzuheben. Großformatige Kunstfotografien, komplex und aufwändig in der Herstellung, sollten die Differenz zu den Bemühungen der Amateure auch in der Welt der digitalen Fotografie stabilisieren. Gursky ist hier nur ein Beispiel für diesen Trend.

Die Demokratisierung des Mediums erhielt mit leistungsfähigen Kompaktkameras im Taschenformat und insbesondere mit dem Smartphone einen zusätzlichen Schub. Technisch gesehen, war die Fotografie nun endgültig eine für jeden beherrschbare Angelegenheit geworden. Die Betonung liegt dabei auf technisch, denn die Bildgestaltung verblieb bei der schnellen Alltagsfotografie weitgehend auf einem konventionellen und nicht selten langweiligen Niveau. Die Fotozeitschriften für den Amateur trugen dazu bei. Nun wusste jeder, wie man zu langzeitbelichteten Bildern gischtumspülter Felsen am Strand oder zu pittoresken HDR-Kunstwerken einsamer, verfallener Hütten in der Alpenlandschaft kommt. Technisch gesehen war das alles keine große Herausforderung, und was die Kamera nicht schon bei der Aufnahme geleistet hatte, liefern diverse Softwarefilter und Bildbearbeitungsprogramme gerne nach. Natürlich sind in der Flut der so entstandenen Bilder auch herausragende Fotografien zu entdecken, aber eine gewisse Langeweile ist aufgrund der Masse technisch sauberer Bilder nicht zu übersehen. Die demokratisch gewordene Technik frisst ihre Kinder. Für das Elitäre, weil Besondere, war es immer schwieriger geworden.

So ging das bis vor wenigen Monaten. Die digitale Fotografie war selbstbewusst genug, um sich nicht mehr verteidigen zu müssen, die Analogisten beschäftigten sich in ihren Foren vorwiegend mit sich selbst. Dabei gab es eine mehr oder weniger friedliche Koexistenz. Wechselseitige Akzeptanz nicht ausgeschlossen. Dann erschienen jedoch diese KI-Freaks auf der Bühne und stellten den status quo in Frage. Die Fotografie galt plötzlich, grob zusammengefasst, als altes Eisen. Die neuen Zauberkünstler ersetzten mit einigen Befehlen auf der Tastatur den Druck auf den Auslöser. Die fotografische Szene, aufgrund der Bedrohung plötzlich wieder vereint, reagierte verunsichert und sparte nicht mit wüsten Beschimpfungen. Die neue Herausforderung traf beide Welten, die analoge gleichermaßen wie die digitale.

Ihre zentrale Verteidigungsstrategie: KI-Bilder sind keine Fotografien. Basta! Das hat auch eine gewisse Berechtigung. Die Definition von Fotografie wurde zwar seit Moholy-Nagys Fotogrammen erweitert, und das entscheidende Kriterium bezieht sich seitdem im Wesentlichen auf den Umstand, dass eine Fotografie durch Malen mit Licht entstanden ist, egal ob analog oder digital. So gesehen, entsprechen KI-Bilder nicht der Definition. An die Stelle des Malens mit Licht war der Tastaturbefehl getreten. Das Bedrohungsgefühl ist dennoch stark ausgeprägt. Schließlich sehen viele KI-Bilder aus wie Fotografien. Entscheidend ist dabei, dass sie nicht nur vom technischen Standpunkt aus immer anspruchsvoller werden, sondern dass plötzlich auch eine ausgefeilte, phantasievolle Bildgestaltung möglich ist. War die digitale Fotografie noch eine Fortsetzung des Analogen mit anderen Mitteln, werden jetzt Bilder präsentiert, die einem gänzlich anderen Paradigma folgen und von jedem einigermaßen kundigen Computerfreak angefertigt werden können. Dies ist eine völlig neue Demokratisierungserscheinung. Wer nicht in der Lage ist, beeindruckende Bilder mit einer Kamera herzustellen, gibt nun einige Textbefehle ein, korrigiert das Ergebnis bei Bedarf mit weiteren Befehlen und erhält am Ende ein Bild, das potentiell auch anderen gefällt. Auf diese Weise lassen sich sogar renommierte Fotopreisjurys überlisten, wie wir seit dem Coup von Eldagsen wissen.

Die Fotografie, ob nun analog oder digital, ist herausgefordert. Aber narzisstische Verletzungsreaktionen oder beleidigte Empörungen helfen nicht weiter. Die Demokratisierung der Bildherstellung ist unumkehrbar. Auf der anderen Seite: Das Manipulationspotential mit Hilfe von KI-Generatoren ist bekannt und als Bedrohung der Medienlandschaft absolut ernst zu nehmen. Es wäre jedoch verfehlt, dem die vermeintliche Objektivität der klassischen Fotografie entgegen zu halten. Auch sie ist alles andere als eine neutrale Widerspiegelung von Wirklichkeit. Gerade deshalb wäre sie gut beraten, neu über das eigene Selbstverständnis nachzudenken und ihre Besonderheiten im Sinne von Alleinstellungsmerkmalen im Vergleich zu den anderen Techniken der Bildherstellung herauszuarbeiten. Eine solche einfach nur zu behaupten, wird nicht genügen. Es geht darum, den eigenständigen Wert der fotografischen Technik kenntlich zu machen, ohne dafür eine Abgrenzung zu KI-generierten Bildern zu bemühen. Dies würde lediglich ein mangelndes Selbstbewusstsein zum Ausdruck bringen.

In verschiedenen fotosinn-Beiträgen wurden einige Aspekte der Thematik bereits vertieft, so in den Essays Befreiung von der Malerei und Die Sache mit der Kunst. Auf die KI-Entwicklung nehmen die Blogbeiträge Künstliche Intelligenz oder überschätzte Maschine, Fotografen im Panikmodus, Emanzipation der Fotografie von der KI, Photoshops neue Wunderwelt sowie Wenn es keine Fotografien mehr gibt Bezug.

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Die Eliminierung des Unerwünschten

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Wenn es keine Fotografien mehr gibt