Die Eliminierung des Unerwünschten

Wenn bereits beim Druck auf den Auslöser im Hinterkopf der Gedanke mitschwingt, dass sich ein störendes Bildelement mit nur wenig Aufwand nachträglich entfernen lässt, wird dies Auswirkungen auf den fotografischen Blick haben. Dieser ist weniger durch Endgültigkeit bestimmt. Erst einmal fotografieren. Das Bild lässt sich ja später bereinigen, ähnlich wie auch stürzende Linien usw. im Rahmen der Postproduktion korrigiert werden können.

Störendes, Zufälliges wird eliminiert. Das Wissen um diese Möglichkeit wird die Ausbreitung konventioneller Gestaltungsregeln fördern. Schließlich ist das nachträgliche Trimmen einer Aufnahme mit Hilfe von Photoshop und Co. kein zufälliger, sondern ein durch und durch bewusster Prozess. Spontanes spielt da kaum eine Rolle, so dass es in vielen Fällen zu einer Orientierung am Etablierten, an Wunschvorstellungen oder auch Modetrends kommt. Abweichendes bleibt auf der Strecke. Dies galt für die digitale Postproduktion schon immer, bekommt durch die neuen KI-gestützten Verfahren zur Bildmanipulation jedoch eine zusätzliche, benutzerfreundliche Dimension. Noch nie war es so einfach, ohne umständliche Erstellung von Ebenen oder Masken Dinge verschwinden und bei Bedarf durch andere, vom KI-Generator erfundene Elemente ersetzen zu lassen. Flink mit der Maus ein Viereck um das Objekt des Anstoßes gezogen, ein Klick und, schwupps, schon ist das Störende weg.

Die Grenzen zwischen Fotografie und virtuellen Realitäten lösen sich auf. KI-getunte Fotografien sind zwar keine vollkommen künstlichen Produkte, aber je nach Ausmaß der korrigierenden Eingriffe mangelt es ihnen an einer Entsprechung im Wirklichen. Das fotografische Bild verliert damit seine letzten Ansprüche an Wahrhaftigkeit. Von Wahrheit soll gar nicht die Rede sein.

Der französische Medienkritiker und Gesellschaftstheoretiker Jean Baudrillard hat einmal die These vertreten, dass es beim Fotografieren um einen Kampf zwischen dem Objekt und dem Fotografierenden gehe. Dieser versuche, dem Objekt seinen Willen aufzuzwingen, jenes hingegen, die Eigenständigkeit zu bewahren. Das Objekt könne sich bei diesem ungleichen Kampf nur behaupten, wenn der Fotograf auf Kommentar und Interpretation verzichte. Die auratische Macht des Objekts erscheine ausschließlich dann, wenn sich nicht der Ordnungswille des Fotografierenden durchsetzt.

Die Thesen Baudrillards klingen in einer Welt bearbeiteter Bilder ein wenig befremdlich. Auch meint man ein Revival des eigentlich überwundenen Objektivitätsanspruchs der fotografischen Technik herauszuhören. Selbst wenn man diesem Versprechen schon bisher nicht so recht trauen mochte, erleben wir heutzutage einige neue Verunsicherungen. Die ursprünglich von der Fotografie behauptete Korrespondenz von Wirklichkeit und Bild hatte zwar bereits mit der Digitalisierung einen deftigen Knacks erhalten, die in jüngster Zeit angebotenen KI-gestützten Manipulationsmöglichkeiten von Photoshop und Co. gehen jedoch noch einen Schritt weiter. Nun ist grundsätzlich alles unklar bzw. unsicher.

Einigen Fotografinnen und Fotografen war die Problematik jeglicher Bildbearbeitung schon immer bewusst. Nicht ohne Grund haben sie ihre analogen Prints als Zeichen der Wertschätzung für die Objekte in Gestalt einer Belassung des Negativumfeldes bis hin zur Randrasterung des Films und selbst der Einbeziehung des Filmtyps als unbearbeitet kenntlich gemacht. Das Zufällige, Unperfekte behielt auf diese Weise seine Existenzberechtigung. Aber natürlich lässt sich das alles auf der Erscheinungsebene auch digital nachbauen. Die Objekte hätten dann allerdings, folgt man der Terminologie Baudrillards, endgültig verloren.

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Aufklärung zu Ende gedacht

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KI und die Demokratisierung der Bildherstellung