Einmal wieder: Was ist Fotografie?
Die Frage nach der Definition von Fotografie scheint vor dem Hintergrund KI-generierter Bilder, die gegenwärtig das Netz überschwemmen, so aktuell wie nie zuvor. Viele dieser Bilder sehen wie Fotografien aus, sind jedoch, strenggenommen, keine. Schließlich wurde zur Bildherstellung statt einer Kamera die Tastatur benutzt. Bestenfalls könnte darauf verwiesen werden, dass die KI-Generatoren auf fotografisches Bildmaterial zurückgreifen, mit dem sie trainiert worden sind. Selbst ohne KI steht jedoch die Frage im Raum, wie es mit dem Medium Fotografie weitergeht und wo möglicherweise die Grenzen einer Definition liegen. Das Thema ist nicht neu. Wir kommen darauf zurück. Aber auch aktuelle Ausstellungen und Debattenbeiträge schließen daran an.
Die New York Times stellte die Frage What Is Photography?, fügte jedoch schon in der Überschrift hinzu No Need to Answer That. Anlass für den Beitrag waren zwei Ausstellungen mit Werken von Hiroshi Sugimoto und einer Retrospektive von Daido Moriyama in London. Beide Künstler setzen die Fotografie nicht allein als Medium der Realitätsabbildung ein, sondern auch zum Erfinden von Bildwirklichkeiten, die lediglich wie Dokumentation aussehen. Das alles, wohlbemerkt, vor der Zeit KI-generierter Werke, die uns nun überall begegnen. Mal sind es, wie bei Sugimoto, Fotografien aus dem Wachsfigurenkabinett, die wie echte Portraits bekannter Persönlichkeiten wirken, und Bilder aus dem American Museum of Natural History in New York, die auch aus Geo hätten stammen können. Oder es sind Verfremdungen, wie bei Moriyama, die nicht selten wie billige Fotokopien obskurer Vorlagen wirken. Bei beiden stellt sich die Frage, so die NY Times, was die Fotografien eigentlich zeigen. Handelt es sich um eine Dokumentation im Sinne von record oder um ein work of art mit eigenständige Bildrealität? Wer die Bilder betrachtet, kommt um eine Reflexion ihrer Entstehungskontexte nicht herum. Dies gilt heute allerdings für jede Fotografie, wie wir gelernt haben.
In einem Interview mit dem ZEIT-Magazin 04/2024 hat der durch zahlreiche Werbekampagnen bekannt gewordene Fotograf Hans Hansen seinen Blick auf die aktuelle Situation geschildert. Hansens Bildsprache steht für einen aufgeräumten, sachlich technizistischen Stil. Seine Fotografien sind frei von Schnörkeln und betonen das Dokumentarische. Dabei sind sie häufig im Studio entstanden und damit Inszenierungen. Die Bilder des in alle Einzelteile zerlegten Volkswagens, eines eindrucksvoll abgelichteten Briefumschlages in nahezu schwarzer Tonung oder von grafisch verewigten Laborklammern gehören zu fotografisch Beispielhaftem der letzten Jahrzehnte. Stets war Hansen auf der Suche nach dem Einfachen, wie er es selbst beschreibt.
Im Interview gibt Hansen auf die Frage, ob er jungen Menschen heute empfehlen würde, Fotograf zu werden, eine eindeutige Antwort: Wenn sie damit halbwegs sicher eine Familie ernähren möchten, würde ich abraten. So leid es mir tut, das zu sagen: Die Fotografie wird zur Nische werden und sich weiter in Richtung Kunst verschieben. Und davon können nur ganz wenige leben. Die Fotografie werde als Medium nicht verschwinden. Perspektivisch erledigt seien jedoch, so Hansen, die kommerzielle Fotografie und damit die Auftragsfotografie. Die Digitalisierung hat das vorbereitet, möchte man da hinzufügen. Und nun die KI. Er selbst, Hansen, arbeite inzwischen auch digital. Alles andere wäre finanzieller Wahnsinn. Der Markt treibt die Veränderung voran. Und, so fügt er hinzu, natürlich weiß ich auch die digitalen Vorteile zu nutzen und zu schätzen. Die analoge Fotografie ist nur noch etwas für Liebhaber und Nostalgiker. Im Übrigen habe er sich nie als Künstler gesehen. Vorherrschend sei stets die Vorliebe für die Ästhetik des Alltags gewesen. Die Suche nach dem Einfachen eben.
Die Fotografie auf dem Weg in eine Nische? Bei einem strengen Verständnis mag das so sein. Digitale Manipulationen bis hin zu politisch eingesetzten Fakes sprechen dafür und könnten das klassische fotografische Handwerk obsolet machen. Aber wie immer im Leben gibt es auch gegenläufige Tendenzen. Je mehr uns digitale Überbearbeitungen und der KI-generierte Budenzauber auf den Geist gehen, wird man sich auf das Einfache besinnen. Dieses muss nicht unbedingt analog erzeugt werden, es kann auch ein manipulationsfreies, digitales Bild sein. Die Herausforderung liegt vor allem in der Dokumentation, gegebenenfalls auch der Kommentierung und Kontextualisierung, seines Entstehungsprozesses.
Abschließend noch einmal zu der Frage Was ist Fotografie? Schon vor einigen Jahren, lange vor den Diskussionen um die KI, haben sich das International Center of Photography in New York mit What is a Photograph? sowie die Akademie der Künste in Berlin in der Ausstellung Lens Based Sculpture – Die Veränderung der Skulptur durch die Fotografie mit der Frage befasst, wo die Grenzen des Mediums liegen. Aber noch einmal mit der NY Times: No Need to Answer That! Im Übrigen hat sich auch der fotosinn Essay Fotografie als Skulptur mit dem Thema befasst. Der Einsatz einer Kamera als (alleiniges) Kriterium ist vielleicht wirklich ein wenig zu eng gedacht.