Ein fragwürdiges Staatskulturverständnis
Die kürzlich verkündeten Beschlüsse zur Realisierung des Deutschen Fotoinstituts in Düsseldorf reihen sich ein in Vorgänge, die in vergleichbarer Weise auf ein reichlich konventionelles oder zumindest naives Kunstverständnis schließen lassen. Für die Begrenztheit bürokratischen Kulturdenkens gab es schon in der Vergangenheit einige Beispiele.
Der Wiederaufbau des Berliner Stadtschlosses als Disneyland-Attrappe ist inzwischen Geschichte. Das Ungetüm wird fast schon als Normalität betrachtet. Verschämt wird zwar offiziell der Name Humboldt-Forum verwendet, aber das Ding steht nun da in barocker Pracht mit wilhelminischer Anmutung und Kreuz auf dem Dach. Von moderner Architektur kaum eine Spur, die Ostfassade bleibt Alibi. Der Bau besteht aus durchkalkulierten Betonteilen und einer angeklebten Außenhaut. Der Schein soll das Bewusstsein schaffen, und zwar in einer restaurativ ausgerichteten Weise. So oder so ähnlich muss man sich wohl die Gedanken der Initiatoren und am Ende auch der politischen Entscheidungsträger vorstellen. Entstanden ist ein Bau, dessen gegenwärtiger Bespielung mit Berlinschau und Ethnologischem Museum man anmerkt, dass erst reichlich spät darüber nachgedacht wurde, was man mit ihm eigentlich anstellen will. Insbesondere die vollmundig angekündigte Auseinandersetzung mit der deutschen Kolonialgeschichte und dem hierzulande eingeübten eurozentrischen Weltbild kommt über einige, wenn auch gutgemeinte Kleinveranstaltungen nicht hinaus. Provoziert wird hier niemand. Kulturpolitisch grenzt das an Schnarcherei.
Dann kam der Beschluss zum Museum der Moderne, ebenfalls in der Hauptstadt. Man muss den Entwurf nicht als Scheune bezeichnen, die Architekten haben Besseres verdient, aber das Konzept folgt den Gesetzen des kommerziellen Kunstmarktes. Es geht schlichtweg darum, neue Ausstellungsflächen zu schaffen, um den immer zahlreicher werdenden Objekten einen Platz zu bieten. Wenn das so weitergeht, benötigen wir für jedes Jahrzehnt der Moderne ein neues Museum und für die Epoche nach 1945 mindestens doppelt so viele. Die Zahl der neuen und neu entdeckten Kunstwerke vermehrt sich schließlich exponentiell und die Dinge wollen im Interesse eines süchtigen Publikums und nicht zuletzt der Agenten, Sammler und Investoren auch ausgestellt werden.
Wer im Museum präsent ist, erzielt stabile oder gar steigende Auktionserlöse. Naiv wäre dabei ein Glaube an die Wirksamkeit immanenter Kunstkriterien. Mag sein, dass es solche in der Postmoderne auch gar nicht mehr gibt, sondern nur noch das zynische Prinzip je teurer, umso Kunst gilt. Warum aber sortiert man in den Museen nicht das eine oder andere einfach mal aus und schafft Platz für Neues, anstatt zusätzliche Flächen zu schaffen. Nun gut, die Tourismusindustrie fordert Attraktionen und Kulturinstitutionen wirken als Wettbewerbsvorteil im Konkurrenzkampf der Städte. Das betrifft insbesondere bildungsbürgerliche Kunst-Locations. In diese wird sich das Museum der Moderne einreihen.
Es geht nicht darum, die vorgesehenen Millionenbeträge, gegenwärtig werden 450 Mio. genannt, die endgültigen Kosten werden traditionell darüber liegen, gegen andere Bedarfe auszuspielen, etwa aus den Bereichen Bildung, Digitalisierung oder Verkehrserneuerung. Gleichwohl verbleibt ein schaler Geschmack. Das Projekt ist Ausdruck eines Denkens ohne reflektierte Idee, was Kunst in der Gegenwart eigentlich ist oder sein kann. Die Mehrzahl der politischen Entscheidungsträger hat von komplexen Fragen rund um die Kunst nun einmal wenig Ahnung. Lobbyisten rennen ihnen deshalb solange die Türen ein, bis diese sich öffnen, und sorgen dann charmant oder mit subkutanem Druck für ein Staatskunst- und Kulturverständnis, das bei allem modernen Anschein altbacken ist und dabei nicht zuletzt die merkantilen Interessen des Kunstmarktes bedient. Lobbyarbeit erfolgreich beendet. In ein paar Jahren lässt sich ein neues Museum einweihen, und alle sind glücklich.
Und nun das Deutsche Fotoinstitut in Düsseldorf. Die Kulturstaatsministerin redet bei dessen Verkündigung flott davon, dass Fotografie Kunst sei, aber eine Erklärung, was sie unter Fotografie und unter Kunst versteht, gibt es nicht. Ist ja auch keine einfache Frage. Aber genau das ist der Punkt: Auf eine schwierige Frage erfolgt eine indirekte Antwort. Fotografie scheint zu sein, was man in Düsseldorf unter Fotografie versteht. Der Verdacht liegt deshalb nahe, dass es beim programmatisch erklärten Ziel der Nachlasssicherung zeitgenössischer Fotografen nicht zuletzt um die Werke von Gursky und Co. geht, deren technologische Digitalbasis dem Kunstmarkt und den Betreffenden selbst zunehmend Sorge bereitet. Die Prints verblassen und irgendwann ist Schluss mit lustig. Sollen die Werke ihren Wert behalten und die Schöpfer in ehrenvoller Erinnerung bleiben, muss auf eine artgerechte Nachproduktion geachtet werden, am besten unter staatlich lizensierter Aufsicht. Das Deutsche Fotoinstitut bietet sich da als Retter an. Schließlich geht es um Kulturgutsicherung. Man kann es aber auch profaner sehen. Die digitale Kunstfotografie wird der Welt der Investoren und dem Markt der Eitelkeiten wieder ein Stück nähergebracht.
Nur einmal als Gedankenspiel: Was wäre so schlimm daran, wenn künftige Generationen die Werke heutiger Digitalkünstler nur noch in, im Übrigen ja durchaus passender, aber kunsthistorisch wahrscheinlich relativierender, Digitalform betrachten könnten? Die gegenwärtig den Werken von Gursky noch entgegengebrachte Faszination ist vor dem Hintergrund der digitalen Bildrevolutionen der letzten vierzig Jahre verständlich und der Respekt ist berechtigt. Aber wird dieses Empfinden einige Jahrzehnte später noch nachvollziehbar sein? Müssen die Originale wirklich auf Dauer alle Jubeljahre als museums- und handelsgeeignete Prints hochwertig neu- bzw. nachproduziert werden? Bleibt die Frage: Cui bono? Von einem zu bewahrenden nationalen Kulturerbe zu sprechen, erscheint in Anbetracht der unkontrollierten Vermehrung von Digitalkunst ein wenig hochgegriffen. Diese lässt sich schließlich nicht regelmäßig komplett neuproduzieren. Wählt man entsprechend der auf dem Kunstmarkt erzielten Preise hingegen nur die Spitzenreiter aus, wird man, wir ahnen es, bei Gursky und Co. landen. Diese alleine haben das Verständnis von Kunst und Fotografie allerdings nicht so radikal beeinflusst, wie manche glauben machen möchten.
Die Frage, warum man sich entgegen eines vorangegangenen Gutachtervotums für den Standort Düsseldorf entschieden hat, verlockt zu der Phantasie, es könnten, natürlich nur ganz am Rande, auch Cliquenwirtschaft, Lobbyarbeit und Partikularinteressen im Spiel gewesen sein. Der fotosinn Blogbeitrag Ein neues Heimatmuseum für Düsseldorf hat sich bereits 2020 vorausblickend mit den schon damals zu erwartenden Beschlüssen zugunsten seiner lokalen Förderer befasst.
Aktuell zu empfehlen sind die Beiträge Tritsch-Tratsch-Polka von Peter Truschner im Fotolot des Perlentauchers sowie Gründungskommission für Deutsches Fotoinstitut vorgestellt im Spiegel, Gründungskommission lässt viele Fragen offen im Handelsblatt, Foto = Kunst = Düsseldorf in der TAZ und Entscheidung nach Gutsherrenart in der Welt.
Und wer einmal grundsätzlich über die Präsentationsformen moderner Kunst nachdenken möchte, dem sei Kunst hassen. Eine enttäuschte Liebe von Nicole Zepter empfohlen.