Die neue Empfindlichkeit

Der Fotograf und Digitalkünstler Boris Eldagsen wurde vor einigen Monaten einer breiteren Öffentlichkeit bekannt, als sein Bild Pseudomnesia: The Electrician beim Sony World Photography Award ausgezeichnet wurde, obwohl es sich, von den Juroren unbemerkt, um ein KI-Werk handelte. Eldagsen nahm die Auszeichnung nicht an und machte öffentlichkeitswirksam auf die Problematik der neuen Bildtechnologie aufmerksam. Im Unterschied jedoch zu anderen, die KI-generierte Bilder als Übel betrachten, empfindet Eldagsen, wie er in einem Interview mit dem monopol Magazin deutlich macht, die neuen Möglichkeiten als Befreiung. Probleme bekommt allerdings auch er. Eine Ausstellung mit dem Titel Trauma Porn stieß auf Widerstände, da seine Bilder von einigen als unzumutbar empfunden wurden.

Wie Eldagsen in dem Interview ausführt, hätten sich die Veranstalter im Vorfeld der Ausstellung Sorgen gemacht, dass die Thematik Shoah, Krieg und Nationalsozialismus wie auch die Intensität der gezeigten Bilder zu Ablehnung oder gar einem Skandal führen könnten. Am Ende einigte man sich statt einer zweimonatigen Ausstellung auf eine dreitägige Konferenz, bei der es, so Eldagsen, aufzupassen galt, dass niemand traumatisiert werde. Der Ausstellungstitel legte eine entsprechende Befürchtung immerhin nahe.

Für die Ausstellung hatte Eldagsen, ausgehend von der eigenen Familiengeschichte, albtraumartige Bilder geschaffen, bei denen es sich um Mischungen aus KI-Generierungen und tatsächlichen Fotografien sowie Bearbeitungen mit Photoshop handelt. Daraus ergeben sich keine authentischen Bilder im strengen Sinne, sondern inszenierte Werke, wie sie sonst nur mit großem requisitorischen Aufwand möglich gewesen wären. Dies geht nun einfacher, und die KI könne, so Eldagsen, als Werkzeug zu einer Kunst beitragen, die wie eine Einladung zu einer Reise nach innen wirke. Genau dies scheint aber auch der Grund dafür gewesen zu sein, dass so mancher die Bilder nicht sehen mochte. Eldagsen berichtet von einem Assistenten, der schon beim Aufbau der Exponate deutlich gemacht habe, dass er einige von diesen nicht ertragen könne und sie nicht mehr länger anschauen möchte. Ähnliche Befürchtungen müssen wohl die Ausstellungsveranstalter gehabt haben.

Das Interview des monopol Magazins mit Boris Eldagsen kann hier nachgelesen werden. Das zusammen mit Tanvir Taolad konzipierte Projekt Trauma Porn beschreibt Eldagsen mit Bildbeispielen auf seiner Website.

Folgt man der Darstellung des Vorgangs durch Eldagsen, stellt sich die Frage nach der Befindlichkeit von Ausstellungsmachern, Assistenten und potentiellen Besuchern sowie nach der Bedeutung, die man deren Gefühlslage beimisst. Schließlich galt es einst nicht nur als legitim, dass Kunst aufrührt, sondern es wurde von ihr geradezu erwartet, gegen den Strich unbequem zu sein. Nun jedoch scheint sich eine Wohlfühlhaltung auszubreiten, die das Unliebsame ausblendet. Was auch nur den Verdacht erregen könnte, in irgendeiner Weise anstößig zu sein, egal ob politisch, rassistisch, antisemitisch oder sexistisch, wird im Vorfeld einer öffentlichen Auseinandersetzung schnell einmal aussortiert. Ärger soll vermieden werden, offenbar auch die Auseinandersetzung mit der Frage, ob es sich bei der von Boris Eldagsen und Tanvir Taolad konzipierten Ausstellung um Gewaltpornografie handelt oder um den Versuch einer Annäherung an versteckt Tabuisiertes. Aber wenn im Vorfeld schon ein Ausstellungsassistent mit seiner Befindlichkeit dazu beitragen konnte, dass die Präsentation bestimmter Werke problematisiert oder gar verhindert wurde, schleicht sich etwas Ungutes ein.

Der frühere Blogbeitrag Empfindsamkeit oder Befindlichkeit hatte sich bereits damit befasst, welche Auswirkungen die neue Sensibilität auf Kunst und Kultur mit sich bringt. Mit dem Arbeitsstil von Boris Eldagsen, der seine Bilder einmal als Promptography bezeichnete, hat sich auch der Beitrag Eine neue Bildkategorie auseinandergesetzt.

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Empfindsamkeit oder Empfindlichkeit