Eine neue Bildkategorie
Seit einiger Zeit geistert der Begriff Promptography durch die fotografische Szene. Wichtigster Befürworter ist Boris Eldagsen, der vor wenigen Monaten mit einem gelungenen Streich die Diskussion um die Definition von Fotografie und deren Stiefschwestern angereichert hat. War es ihm doch gelungen, ein KI-generiertes Bild in einen renommierten Foto-Award einzuschleusen, dann jedoch den zugesprochenen Preis mit Hinweis auf dessen Entstehungsbedingungen zurückwies. Kurz darauf schlug Eldagsen vor, auf die Zuschreibung solcher Bilder als Photography zu verzichten und stattdessen die Begrifflichkeit Promptography zu verwenden.
Der wesentliche Unterschied beider Bildkategorien lässt sich kurz zusammenfassen: Fotografien werden mit Licht gemacht. Von den Differenzen zwischen analoger und digitaler Technik kann man im Rahmen des hier relevanten Kontextes abstrahieren. Promptografien entstehen demgegenüber ohne Kamera auf der Basis von Tastaturbefehlen, mit denen ein Computer gesteuert wird. Dass das genutzte Programm zuvor anhand wirklicher Fotografien trainiert worden ist, spielt erst einmal keine Rolle.
Die von Eldagsen vorgeschlagene Unterscheidung macht Sinn und trägt der rasanten Entwicklung der Künstlichen Intelligenz als Werkzeug zur Bildkreation Rechnung. Es lässt sich im Übrigen aufgrund der neuen Kategorie eine Versöhnung zwischen analoger und digitaler Fotografie herleiten, deren Gemeinsamkeiten nach allen Abgrenzungsdiskussionen der vergangenen Jahrzehnte nun wieder deutlicher zutage treten. Bei beiden hält ein menschlicher Akteur nicht nur eine Kamera, sondern auch die Fäden in der Hand, wenn es um die Bildgestaltung geht. Dies gilt gleichermaßen für die digitale Nachbearbeitung mit Photoshop und Co., selbst wenn bei der Anwendung vorkonfektionierter Filter zufällige Ergebnisse entstehen. Diese lassen sich schließlich wieder zurücknehmen bzw. modifizieren. Man/frau entscheidet. Gänzlich anders sieht der Prozess bei der Generierung von KI-Bildern aus: Da wird dem Computer per Eingabebefehl eine Aufgabe gestellt, die von der Cloudsoftware auf eigenständige, nicht nachvollziehbare Weise gelöst wird. Das Ergebnis lässt sich zwar mit weiteren Eingaben weiter beeinflussen, gleichwohl sind es immer wieder Entscheidungen der Maschine, von denen man sich überraschen lassen muss.
Vergleicht man beide Prozesse, die mit der Kamera und die mit der Tastatur, ist der Unterschied evident. Das Schisma zwischen den KI-Phantastereien und dem klassischen fotografischen Bild ist substanzieller als die interne Differenz zwischen analoger und digitaler Fotografie. KI-erzeugte Bilder stellen eine Gattung eigener Art dar. Midjourney und Dall-E produzieren keine Fotografien, sondern etwas anderes. Ob sich hierfür der Begriff Promptografie durchsetzen wird, bleibt abzuwarten.
Weiterführende Artikel mit Bezug auf Boris Eldagsen lassen sich, dies nur eine Auswahl, im Magazin dodho, ebenso in The Good Men Project oder den artnet news nachlesen. Eldagsen selbst hat sich in einem Podcast von BHPhotovideo zur Diskussion geäußert. Empfehlenswert ist auch seine Website.
Nachbemerkung: Dass das für den Sony Award eingereichte Bild überhaupt prämiert wurde, beweist die damalige Unbedarftheit der Juroren. KI-Fakes hatten sie offenbar noch gar nicht auf dem Bildschirm. Man betrachte nur einmal die Hände auf der Schulter. Diese erinnern an einen gruftigen Zombie aus dem Monsterfilm. Spätestens hier hätte man skeptisch werden können. Aber das ist lange her, gerade einmal ein paar Monate. Heute wissen wir vom Problem der Darstellung von Extremitäten durch KI-Bots. Abgesehen davon, dass sich auch dies in den nächsten Monaten verbessern wird, zeigt der Vorgang einmal mehr, welche rasante Entwicklung die Technologie momentan an den Tag legt. Alles rund um die Fotografie ist davon betroffen. Das Thema wird uns weiter beschäftigen.