Die Debatte um Karl Hofer

Jedes Bild lässt sich verorten irgendwo zwischen den Polen realitätsbeanspruchender und frei erfundener Botschaften. Fotografisches tendiert, technisch bedingt, meist zum Gegenständlichen, in der Malerei hingegen ist von vorneherein alles möglich. Aber schon innerhalb der bildenden Kunst gab es bezüglich der Aufgaben der Malerei leidenschaftlich geführte Auseinandersetzungen zwischen den Abstrakten und den Realisten. Die Diskussionen begannen im ausgehenden 19. Jahrhundert mit dem Impressionismus und setzten sich mit Expressionismus, Konstruktivismus, Surrealismus sowie allerlei anderen Ismen fort. Manche Bewahrer des Naturalistischen mochten dies alles nicht sehen.

Der Zeitgeist hat sich im 20. Jahrhundert klar für die malerische Freiheit entschieden. Abstraktes hat, mit Unterbrechungen, Konjunktur. Zum Pendelausschlag trugen nicht zuletzt die Verirrungen der Propagandamalerei aus der Nazizeit wie auch die des verwandten sozialistischen Realismus mit ihren jeweiligen Heldendarstellungen bei. Sie blieben eine politisch gebundene Zeiterscheinung, künstlerisch meist reichlich anspruchslos. Dem wurde als moderner, fortschrittlicher und antiautoritärer Kontrast das Abstrakte gegenübergestellt. Dabei entstanden neue Feindbilder. Eine in den 1950er Jahren an der Berliner Hochschule der Bildenden Künste geführte Kontroverse um den Maler Karl Hofer zeigt dies.

Nach dem Studium an der Akademie war Hofer, Jahrgang 1878, mehrfach auf Ausstellungen vertreten, etwa im Jahr 1905 bei der Berliner Secession des Deutschen Künstlerbundes. 1920 wurde er als Lehrer an die Hochschule für Bildende Künste in Berlin-Charlottenburg berufen. Von den Nazis wurde er entlassen, seine Werke galten mit ihrer asketisch-strengen Form des Expressiven als entartet. Nach Kriegsende leitete er als Direktor den Neuaufbau der Hochschule im Westteil Berlins. Hofer starb im Jahr 1955.

Kurz vor seinem Tod war er als Direktor zurückgetreten, nachdem er in eine heftig geführte Debatte mit Will Grohmann, Kunsthistoriker und streitlustiger Kritiker, verwickelt war. Dessen Vorwürfe als Realist und Ewig Gestriger hatten Hofer stark zugesetzt. Dabei ging es um die Stellenwerte des Figurativen und des Abstrakten. Grohmann plädierte nachdrücklich für die abstrakte Moderne. Hofer selbst sah sich hingegen als Unzeitgemäßer, der an der Idee der Malerei als Bild des Menschen festhielt. Waren seine frühen Werke an klassizistischen, hellen südländischen Vorbildern orientiert, wurden sie später deutlich dunkler, häufig mit einer Betonung von Umrisslinien bis hin zum Schemenhaften. Hofers Malerei war nicht realistisch im strengen Sinne, verließ aber kaum die figurative Form. Abstraktes blieb ihm fremd, auch wenn er der ungegenständlichen Kunst nie ihre Berechtigung absprach. Der Streit mit Grohmann polarisierte die Dinge jedoch.

Während Hofer in scharfen, auch höchst polemischen Worten die Dominanz der abstrakten Moderne als Flächendekoration kritisierte und bei ihren Befürwortern Diktatorisches am Werk sah, manche vermuteten bei Hofer als Motiv gar eine Hasspsychose, warf ihm Grohmann eine reaktionäre Haltung vor. Die Auseinandersetzung wurde öffentlich in der Berliner Tagespresse ausgetragen. Einer der Höhepunkte war ein Artikel mit der Überschrift Der Mut, unmodern zu sein. Die Gegenwartskunst tendiere zur Sinnentleerung und sei vor allem auf oberflächliche Sensationen bedacht, so Hofer. Modernisten wie Grohmann betonten hingegen, nicht zuletzt vor dem Hintergrund der nationalsozialistischen Realismusverirrungen, die Notwendigkeit, sich vom Alten zu lösen und künstlerisch neue, in erster Linie freie, abstrakte Ausdrucksformen zu suchen.

Verstehen kann man die Auseinandersetzung wohl nur vor dem Hintergrund der politischen Lage und dem Beginn des Kalten Krieges zwischen West und Ost. Während sich in der Moderne des Westens die künstlerische Abstraktion durchsetze, war der durch ein stalinistisches Kunstverständnis dominierte Osten vom Sozialistischen Realismus geprägt. Und einige sahen die Werke Karl Hofers in einer dazu parallelen Tradition. Die Auseinandersetzung war eine polemisch zugespitzte Angelegenheit, bei der Hofer nicht nur als verkalkt und zurückgeblieben, sondern auch als verkappter Kommunist bezeichnet wurde. Ironie des Schicksals: Selbst im Rahmen der Kunstrezeption der DDR blieb Hofer ein Außenseiter. Zwar gab es in der Galerie Henning in Halle an der Saale bis 1955 mehrere Einzelausstellungen, aber die Institution wurde 1961 nicht zuletzt mit der Begründung geschlossen, dass es sich bei Hofer um einen parteilich ungefestigten Künstler handele. Seine Bilder konnten in Halle erst wieder 1979 gezeigt werden.

Seit den 1980er Jahren reift die Erkenntnis, dass sich Hofers Werke einer engen Zuordnung wiedersetzen. Sie sind im Prinzip weder naturalistisch noch abstrakt. Und politisch gemeint waren sie schon gar nicht. Gleichwohl: Dass Kunstbewertungen stets mit zeitgenössischen, nicht zuletzt gesellschaftspolitischen Trends verwoben sind, ist vielleicht eine erst heute vertraute Erkenntnis. Die These von der Kunst an sich im luftleeren Raum war jedenfalls noch nie richtig überzeugend. Und so war auch die Debatte zwischen Hofer und Grohmann im hohen Maße tagespolitisch unterfüttert. Die Nachkriegsmoderne formierte sich.

Karl Hofer war ein Wanderer zwischen den Welten. Seine Werke weisen gleichermaßen Anklänge an einen realismusnahen Expressionismus wie auch an die Neue Sachlichkeit auf. Er prägte einen eigenständigen Stil ohne zwanghaften Naturalismus, aber auch ohne Orientierung an der abstrakten Gestaltung. Hofer nimmt damit eine Sonderstellung innerhalb der Moderne ein. Manche erkennen eine Parallele zu Max Beckmann. Aber wie so häufig lösen gerade die nicht klar Einzuordnenden eine besondere Nachwirkung aus. Erst im Rückblick ist man da mitunter etwas schlauer.

Günter Grass, zur damaligen Zeit Student an der Hochschule in Berlin, hat sich in seiner autobiografischen Betrachtung Beim Häuten der Zwiebel, zum Realismusstreit zwischen Hofer und Grohmann geäußert. So heißt es dort: Zornig, weil verletzt, verteidigte Hofer die gegenständliche, vom Bild des Menschen bestimmte Malerei gegen den absolut behaupteten Vorrang gegenstandsloser Bilder, deren Manier als „informelle Malerei“ plakatiert und in Kunstkatalogen als modernste Moderne gepriesen wurden. Grass sah sich mit dem eigenen bildnerischen Werk eher in der zeitgeistunabhängigen Tradition Hofers.

Das Kunstmuseum Moritzburg in Halle bereitet gegenwärtig die Ausstellung Karl Hofer. Zwischen Schönheit und Wahrheit vor, die ab dem 21. November 2025 zu sehen sein wird.

Weitere Informationen zu der Auseinandersetzung mit Grohmann finden sich unter anderem in dem Artikel Bilderstreit der Website Der Maler Karl Hofer wie auch in den Beiträgen Kämpfer gegen das Abstrakte und Zwischen den Ideologien des Deutschlandfunks und in einer Dokumentation der Universität der Künste Berlin. Bildbeispiele aus dem Werk Hofers sind im Internet zu sehen.

Die fotosinn Blogbeiträge Abstraktes und Figuratives sowie Nach der Postmoderne hatten sich bereits mit einigen aktuellen Überlegungen zum Thema befasst, auch hinsichtlich bestimmter Trends in der Fotografie.

 

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