Ute und Werner Mahler in Rostock

Wer nicht die Gelegenheit hatte, im Jahr 2014 die große Ausstellung in den Hamburger Deichtorhallen zu sehen, kann dies nun nachholen und die Werkschau Ute Mahler und Werner Mahler in der Kunsthalle Rostock besuchen. Man bekommt eine großartige Sicht auf die Vielfalt einer nur auf den ersten Blick dokumentarisch wirkenden Fotografie geboten, die bei genauerem Hinschauen ein starkes subjektives Moment beinhaltet.

Die Mahlers nutzen die Kamera auf klassische Weise als einen technischen Apparat zur Abbildung von Realität. Digitale Verfremdungen oder Montagen, die frei mit dem umgehen, was wir Wirklichkeit nennen, sucht man vergebens. Bis auf wenige Aufnahmen, bei denen es leicht ins Abstrakte geht, sind die Fotografien durch und durch realistisch. Und dennoch muss man bei dem einen oder anderen Bild genau hinschauen, um es zu entschlüsseln. Mitunter ist es ein kleines Detail, das den subkutanen Reiz, aber auch die Botschaft ausmacht.

Sie sind nicht auf Schwarzweiß festgelegt. In Farbe fotografieren Ute und Werner Mahler ziemlich ähnlich. Und dennoch zeigt sich ihre ganze Stärke in den schwarzweißen Fotografien des Lebens in der DDR und im neuen Deutschland der Nachwendezeit. Ebenso im Westen, den sie im wahrsten Sinne des Wortes aufs Korn nehmen. Die schwarzweiße Fotografie hatte im Übrigen ganz praktische Gründe. Die Farbfilme aus DDR-Produktion waren, wie Ute Mahler es in einem Interview einmal ausdrückte, indiskutabel, die ORWO-Filme hingegen von guter Qualität. Und sie ließen sich im eigenen Labor entwickeln. Auch das ein Vorteil in einem Überwachungsstaat, der alle Gelegenheiten zum Sammeln von Informationen nutzte, was die Bürgerinnen und Bürger so trieben. Und wohl auch, was sie fotografierten.

Ute und Werner Mahler, nach der Wende Mitbegründer der Agentur Ostkreuz, sind für ihre freien Arbeiten bis hin zum Abzug auf Silberhalogenpapier bei der analogen Fotografie geblieben. Mitunter kommt eine Großformatkamera zum Einsatz. Dies bedeutet jedoch nicht, dass sie die digitale Fotografie ablehnen. Im Gegenteil, Ute Mahler hat stets die Berechtigung beider Systeme betont. Insbesondere bei der Auftragsfotografie im Rahmen der Agenturtätigkeit führe heute kein Weg mehr an der digitalen Technik vorbei. Die Rostocker Werkschau ist jedoch durch klassische analoge Fotografien bestimmt, die auf beeindruckende Weise ehrlich wirken. Da gibt es kein Schnickschnack, der auf schnelle Wirkung bedacht ist, sondern viel Sozialdokumentarisches, das sich der Humanistischen Fotografie zuordnen lässt. Insbesondere Ute Mahler konzentriert sich auf die reportagehafte, gleichwohl subjektive Arbeit, die den Menschen nicht als Objekt wahrnimmt, sondern ihn als Individuum für sich selbst sprechen lässt. Bei Werner Mahler kommen neben einem grundsätzlich ähnlichen Ansatz bei den Landschaftsaufnahmen weitere Stilelemente hinzu.

Die frühesten der in Rostock gezeigten Fotografien stammen aus der Werkgruppe Zusammenleben, die Ute Mahler 1972 begann und 1988 abschloss. Es sind Portraits von Familienmitgliedern, Freunden und auch Fremden in Alltagssituationen. Unbemerkte Schnappschüsse waren es weniger. Die Menschen hatten Gelegenheit, sich darzustellen. Gleichwohl wirkt alles ungezwungen und natürlich. Dies ist dem kommunikativen Geschick der Fotografin geschuldet. Gleiches gilt für die Serie Zirkus Hein (1973 – 1974) aus ihrer Diplomarbeit an der Hochschule für Grafik und Buchkunst in Leipzig, ebenso für die Reihe Frauengefängnis Hoheneck (1990), das zu jener Zeit erstmals von einer Fotojournalistin besucht werden durfte, und in gewisser Weise auch für das Projekt Bomber (1993), in dem sie den Alltag einer jungen Lichtenberger Familie mit stark ausgeprägter Nazigesinnung im Bild festhält. Ebenfalls dokumentarisch geht es zu in der Reihe Erotikprogramm (1988), das die Bemühungen der DDR-Obrigkeit um eine klimatische Lockerung, wenn schon nicht politisch, so doch im Rahmen der privaten Freizügigkeit zum Inhalt hat. Die über viele Jahre für die Modezeitschrift Sibylle entstandenen Aufnahmen zeigen Ute Mahler im Übrigen als eine professionelle Auftragsfotografin, die einem Vergleich, etwa zum westdeutschen Pendant F. C. Gundlach, in jeder Hinsicht mindestens standhält. In freier Arbeit ist von 1990 bis 1996 dann das fotografische Portrait Ibrahim Böhme entstanden, dessen Nachwendebiografie sich vom sozialdemokratischen Hoffnungsträger zum enttarnten und damit ausgestoßenen, ehemaligen Stasimitarbeiter wandelte. Ute Mahler hat die persönliche Dramatik begleitet, ohne voyeuristisch zu werden, selbst wenn die letzte Aufnahme Böhmes drei Jahre vor seinem Tod eine intime Situation, wie auf einem vorgezogenen Sterbebett, zeigt. Ebenfalls nach der Wende entstand von 1990 bis 1994 die Auftragsarbeit Brüder und Schwestern, die aus der Ostperspektive Eindrucke vom Leben im Westen vermittelt. Nicht zuletzt geht es um Klischees, denen sich Ute Mahler analytisch nähert und entzaubert. Hinter dem Performativen verbergen sich eben stets Menschen mit individuellen Sorgen und Wünschen, im Osten wie im Westen. Ute Mahler hat die Gabe, dies durch Bilder zu zeigen. Ähnlich gilt für die fotografischen Portraits. In Rostock ist davon eine beeindruckende Reihe, nicht zuletzt bekannter Persönlichkeiten, zu sehen. Angela Merkel, noch vor ihrer Zeit als Parteivorsitzende und Kanzlerin, ist nur eine davon. Man ahnt, dass die Menschen Ute Mahler vertraut haben.

Bei Werner Mahler ist dies nicht anders. Seine frühen Arbeiten aus dem Steinkohlenwerk Martin Hopp (1975), die eine hohe Kunst der Schwarzweißfotografie unter Tage mit diffizilen Lichtverhältnissen zeigen, sowie die Serien Berka (1977/78) und Berka (1998) belegen dies. Die erste dieser beiden Reihen entstand als Diplomarbeit zum Abschluss des Studiums, die zweite als Dokumentation der Veränderungen im Auftrag des Sterns zwanzig Jahre später. Zum vorangegangenen Projekt Steinkohlenwerk bemerkte Mahler: Heute finde ich, sie ist eine der wichtigsten Arbeiten, die ich im Laufe meiner Karriere gemacht habe und charakteristisch für das, was mich interessiert. Auch hier wird wieder der Ansatz deutlich: Es geht um den Menschen, der unter extremen Bedingungen unverstellt sein Ich zeigt. Ähnliches deutet sich beim Projekt Fans (1980 – 1981) an, das die Differenzen, häufig waren es politisch motivierte Gegnerschaften, der Anhänger des BFC Dynamo sowie des 1. FC Union Berlin dokumentiert. Während Dynamo als staatstragender und von der Nomenklatura favorisierter Club galt, war Union schon immer ein wenig anders. Werner Mahler hat gleichwohl die Angehörigen beider Fangruppen als Individuen genommen und bildlich für sich selbst sprechen lassen. Dies ist typisch für sein Verständnis der Fotografie, die auch bei der Langzeitbeobachtung Die Abiturienten deutlich wird. Seit 1977 begleitet er mit der Kamera eine Gruppe Schulabgänger und deren biografische Veränderungen. Wer diese Portraits im Wandel der Zeit sieht, fragt unwillkürlich nach den eigenen Veränderungen von damals bis heute, egal ob im Osten oder im Westen. Die Landschaftsaufnahmen Mahlers (Landschaft I – III) von 1992 – 1999 kompensieren dann in gewisser Weise solche persönlichen Gedanken und neutralisieren sie in Gestalt von Fotografien, die das Dokumentarische überschreiten. Landschaft wird hier zum fotografischen Experimentierfeld. Legendär geworden sind im Übrigen die Portraitfotografien Werner Mahlers wie etwa die Aufnahmen von Tamara Danz, der Frontfrau von Silly. Auch das Coverbild der bei AMIGA erschienenen LP Bataillon d´Amour stammt von Mahler.

Schließlich gibt es die gemeinsamen Arbeiten von Ute und Werner Mahler, die in den letzten zehn Jahren entstanden sind. In der großformatigen Farbserie Die seltsamen Tage (2010) zeigen sie Ungewohntes jenseits des bereits auf den ersten Blick Realistischen. Die Bilder sind auf Reisen in Brandenburg und Mecklenburg-Vorpommern entstanden und verbinden die Erfahrungen aus der Landschaftsfotografie mit Sichten auf menschenleere Alltagsszenen. Dokumentarische Ansprüche im klassischen Sinne entfalten diese Fotografien mit ihren postmodern erscheinenden Mehrdeutigkeiten nicht, aber sie zeigen, dass die Mahlers auch dieses Genre beherrschen. Die in den Jahren 2010 bis 2012 entstandene Serie Wo die Welt zu Ende war kehrt dann wieder zur klassischen Bildsprache zurück. Zwei Jahrzehnte nach dem Fall der Mauer haben beide noch einmal die alte Grenze besucht und eine Reihe von szenischen Erinnerungen an das einstmals Trennende festgehalten. Die bedrückende Unwirtlichkeit ist noch immer spürbar. Als jüngste der gemeinsamen Serien, die im Rahmen der Hamburger Werkschau noch nicht zu sehen war, entstand in den Jahren 2015 bis 2018 die Reihe Kleinstadt. Sie zeigt bundesdeutsche Alltagsszenen fernab der großstädtischen Geschäftigkeiten mit deren geltungssüchtigen Selbstdarstellern im Wettbewerb der Eitelkeiten. Das Leben in der Kleinstadt will demgegenüber meist unauffällig sein und erst einmal entdeckt werden. Ute und Werner Mahler haben es so beschrieben: Zuerst wirkt es, als wäre da niemand. Aber da ist was. Leben und Spuren von Leben. Zeichen. Häuser. Fenster. Gärten. Menschen. Humanistische Fotografie eben.

Diese Art Fotografie wird Bestand haben, nachdrücklicher jedenfalls als die der gegenwärtig hochgehandelten, digital arbeitenden Großmeister, die in einigen Jahrzehnten mit großer Wahrscheinlichkeit vergessen sind und dann nur noch in den Fußnoten künftiger Kulturforscher auftauchen. Wenn überhaupt. Die Fotografien der Mahlers hingegen werden als Zeitzeugnisse überdauern. Sie sind Dokumente und gleichzeitig Fotokunst in Höchstform. So müsste man fotografieren können, denkt man sich beim Besuch der Ausstellung. Aber so einfach ist das eben nicht.

Lesenswert ist das Interview mit Ute Mahler in der Berliner Morgenpost sowie die Beiträge im Tagesspiegel oder in der taz. Die Ausstellung Werkschau Ute Mahler und Werner Mahler ist noch bis zum 13. April 2020 in der Kunsthalle Rostock zu sehen.

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