New York symmetrisch

In New York bin ich auf Bilder von Edi Chen gestoßen, die als bemerkenswertes Beispiel für konzeptuelle Fotografieren angesehen werden können. Vor etwa zwei Jahren hatte Chen beschlossen, an 366 aufeinander folgenden Tagen jeweils Aufnahmen New Yorks anzufertigen, die als Gemeinsamkeit etwas Symmetrisches aufweisen. Das Konzept beinhaltete somit einerseits die Selbstverpflichtung zum täglichen Foto wie andererseits das bildliche Symmetriegebot.

Chen stammt aus Peking und ist vor wenigen Jahren nach Brooklyn gekommen, um dort beruflich als Fotografin zu arbeiten. In einem Interview mit der Zeitschrift Professionell Photographer hat sie beschrieben, wie die neuen Eindrücken New Yorks und nicht zuletzt seine Architektur Auslöser dafür waren, sich die Stadt auch fotografisch aneignen zu wollen. So entstand die Idee zu dem Konzept Balance, das sich, so Edi Chen, wie das Tagebuch eines Jahres verstehen lässt.

Zu Beginn des Projektes recherchierte Chen im Internet nach geeignet erscheinenden Objekten, suchte nach der Tageszeit mit den richtigen Lichtverhältnissen und machte sich anschießend an die fotografische Umsetzung der Idee. Nach einigen Monaten stellte sie dann fest, dass ein spontanes Umherstreifen durch die Stadt geeigneter ist, um auch unvorhergesehene Eindrücke zu erfassen. Dies bedeutete jedoch, neben der professionellen Auftragsarbeit als Fotografin täglich zusätzliche Zeit für eine Konzeptaufnahme einzuplanen, was nicht zuletzt aufgrund der wechselhaften New Yorker Wetterverhältnisse durchaus einer gewissen Disziplin bedurfte. Zweifel an der konsequenten Durchführbarkeit des Projektes blieben nicht aus, ließen sich jedoch überwinden. Ergebnis war schließlich eine Serie von Aufnahmen, die einen dokumentarischen Charakter nicht nur hinsichtlich der persönlichen Erfahrungssuche Edi Chens haben, sondern auch bezüglich der urbanen Besonderheiten New Yorks.

Städte verändern sich permanent, wie Chen das in ihrer Heimatstadt Peking erfahren hatte, ohne dass dies fotografisch immer adäquat begleitet wird. Das Balance-Projekt war deshalb auch ein Versuch, die architektonische Eleganz New Yorks festzuhalten und gleichzeitig etwas Idealtypisches der Stadt zum Ausdruck zu bringen. Singuläre Fotografien hätte das so nicht leisten können. Erst das Konzept der sich wiederholenden Symmetrie eröffnet den Blick für diesen Aspekt der Stadtarchitektur.

Fotografische Konzepte können unterschiedliche Gestalten annehmen. Edi Chens Balance-Projekt verkörpert hier lediglich beispielhaft eine unter vielen Möglichkeiten. Gemeinsam ist allen Konzepten, dass das singuläre Einzelbild an Bedeutung verliert und stattdessen Teil einer Serie wird. Die Gesamtheit der Fotografien bildet dann eine eigenständige, neue Entität. Was das Balance-Projekt von Edi Chen darüber hinaus interessant macht, ist die Synchronität von Form und Inhalt. Symmetrie ist gleichbedeutend mit einer hochgradig formalen Disziplin. Nichts ist dem Zufall überlassen, und alles, was sich auf der einen Seite der Symmetrieachse zeigt, ist auch Bestandteil der anderen Seite. Eine vergleichbare Disziplin im Sinne einer stringent durchgehaltenen Regel war notwendig, um das Projekt Tag für Tag über ein ganzes Jahr hinweg durchzuführen.

Fotografische Konzepte mögen auch anderen Grundsätzen folgen. Entscheidend ist, dass es vor der eigentlichen Aufnahme eine Phase der konzeptionellen Vorbereitung gibt und nach der Aufnahme die Wahl einer geeigneten Präsentation erfolgt, um die Zusammengehörigkeit der einzelnen Aufnahmen zum Ausdruck zu bringen. Ideen für solche fotografische Konzepte können jedenfalls in unendlicher Anzahl gefunden werden.

Die Website von Edi Chen zeigt eine Reihe von Aufnahmen aus der Serie Balance sowie im Überblick auch die gesamte Serie.

Zurück
Zurück

Reich, berühmt, geliftet

Weiter
Weiter

Rezension: Man Rays surreale Wirklichkeiten