Fotografie zwischen Sozialen Medien und Künstlicher Intelligenz

Das Medium Fotografie ist in eine Zwickmühle geraten. Die Sozialen Medien von Instagram und TikTok bis Pinterest haben zwar zu einer Demokratisierung des Einsatzes fotografischer Technik beigetragen, aber auch zu einer massiven Überflutung mit Fotografien aller Art. Hinzu kommen mehr und mehr Bilder, die von KI-Tools wie DALLE E, MidJourney oder Stable Diffusion generiert wurden und immer realistischer sind. Man sieht ihnen die Entstehung am Rechner kaum an und die Unterscheidung zu echten Fotografien wird bald nur noch bei Einsatz forensischer Analysetechniken möglich sein. Die Glaubwürdigkeit von Bildern ist damit generell in Frage gestellt. Der Manipulation ist Tür und Tor geöffnet. Für das Medium Fotografie bedeutet dies eine Verunsicherung.

Insbesondere für Berufsfotografen ist die Entwicklung folgenreich. Warum soll für ein professionelles Foto bezahlt werden, wenn ein ähnliches Ergebnis viel günstiger mit KI erreicht werden kann? Auch bestimmte dokumentarische Zeitzeugenfotos können ohne großen Aufwand mit jedem Smartphone geknipst werden. Selbst die freie, künstlerische Fotografie steht vor der Herausforderung, auf die neue Konkurrenz zu reagieren. KI-Tools können nicht nur fotorealistisch aussehende, sondern auch kreative und phantasievolle Bilder erzeugen. Die Geschichte von Boris Eldagsen, der mit einem künstlich erstellten Bild einen klassischen Fotowettbewerb gewonnen hat, ist bekannt.

Sowohl die Frage der Glaubwürdigkeit wie die Überperfektion künstlich am Rechner geschaffener Bilder könnten eine Rückbesinnung auf das klassische Fotografieren zur Folge haben. Und will man es darüber hinaus theoretisch und medienkritisch fassen, mag auch der ontologische Aspekt eine Rolle spielen. Dem Zweifel am Bild kann entgegengewirkt werden, wenn analog fotografiert wird. Unbemerkt bleibende Manipulationen des Filmnegativs sind so gut wie ausgeschlossen. Die besondere Ästhetik des Filmkorns kommt als Distinktionsmerkmal zur für manche steril wirkenden Digitalfotografie hinzu. Aber auch bei Einsatz digitaler Technik ist ein Trend zu Vintage- und Retro-Bildern zu verzeichnen. Dies betrifft nicht nur die Verwendung entsprechender Filter und Bearbeitungstechniken oder die Konvertierung in Schwarzweiß, sondern auch die Nachahmung von Kompositionsstilen und Motiven aus früheren Epochen. Die Fotografie als Kunstform und Medium scheint jedenfalls ähnlichen zyklischen Trends und Revivals zu unterliegen wie andere Bereiche der Kunst und Kultur.

Solche Wellenbewegungen sind nicht neu. Trends lösen sich ab, Neues tritt an die Stelle von Altem. Das Neue muss dabei nicht unbedingt wirklich neu sein. Häufig kommt es zu einem Wiederaufleben früherer Moden oder ästhetischer Normen. Dabei handelt es sich jedoch meist nicht um eine Eins zu Eins Replik, sondern um angepasste Adaptionen und moderne Interpretationen. Geschichte wiederholt sich nicht, Kultur- und Kunstgeschichte auch nicht. Nur auf der Metaebene lassen sich in den Wellenbewegungen Wiederholungstendenzen entdecken. Beispiele sind Renaissance und Barock als Wiederbelebung griechischer und römischer Ideale, der Neoklassizismus in der Architektur, die Neoromantik der Hippie-Bewegung, Vintagetrends in der Mode und der Neo-Expressionismus in der Malerei; oder in der Musik die immer einmal wiederkehrenden Rock´n Roll Adaptionen der 1950er Originale in neuem Gewand.

Wellenbewegungen in der Kultur und Kunstgeschichte sind nicht nur ein metaphorisches Konzept. Sie lassen sich oft mit sozialen Entwicklungen, politischen Umstände, technischen Innovationen oder mit Reaktionen auf frühere Trends in Verbindung bringen. Mitunter mag es sich dabei um Nostalgie und kulturelle Sehnsüchte handeln. Sehen sich Gesellschaften mit Unsicherheiten konfrontiert, entsteht nicht selten ein Trend zu einfachen, idealisierten Lösungen vergangener Zeiten. Auch alte Moden werden aufgegriffen, um Stabilität und Identität zu befördern. Rebellion mag ebenfalls eine Rolle spielen. Wenn eine Epoche zu geschlossen oder rational erscheint, kommt es zu Gegenbewegungen, die nach mehr Individualität, Emotion oder Freiheit streben. Und dann sind da noch die neuen Technologien. Sie transformieren alte Formen oder Praktiken und setzen sie auf innovative Weise ein. So hat die Verfügbarkeit von digitalen Medien händische Collage-Verfahren in neue Prozessformen am Rechner überführt. Zyklische Wellenbewegungen haben meist etwas Dialektisches an sich. Sie nehmen alte Zustände auf, heben diese jedoch durch neue Entwicklungen auf eine andere Stufe.

Für die ernsthafte Fotografie könnte dies zur Folge haben, dass eine Rückbesinnung auf ihre Kernkompetenzen ohne KI-Mätzchen und jenseits der fixen Smartphonebildchen stattfindet. Dazu gehören neben der technischen Beherrschung der Kamera und der Postproduktion vor allem Kompositionsaspekte. Das Verständnis von Bildaufbau, Perspektive, Linienführung und dem Spiel von Licht und Schatten zählt ebenso dazu wie der souveräne Umgang mit Regeln wie dem Goldenen Schnitt, der Drittelregel oder diagonalen Verläufen. Ein ästhetisches Feingefühl, die Entwicklung einer erkennbaren Bildsprache und die Fähigkeit, mit einem Bild Geschichten zu erzählen, werden ebenfalls zu den herkömmlichen Kernkompetenzen gezählt. Das alles mag reichlich traditionell klingen, aber vielleicht liegt in einer Welt voller Aufgeregtheiten gerade hier der Schlüssel für eine anhaltende Faszination des Mediums Fotografie. Es geht nicht mehr darum, mit experimentellen, ausgefallenen fotografischen Sensationen punkten zu wollen. Im Zweifel erledigt das die KI-Software besser, da sie nicht an eine reale Wirklichkeit gebunden ist. Das traditionelle fotografische Handwerk könnte als Gegengewicht dazu wieder eine zunehmende Rolle spielen.

Die Frage nach der Zukunft der Fotografie zwischen Sozialen Medien und Künstlicher Intelligenz muss aber wohl präzisiert werden. Einerseits handelt es sich auch bei den Bildern auf Instagram um Fotografien, andererseits können KI-generierte Bilder wie Fotografien aussehen. Digitale Fotoapparate nutzen im Übrigen schon immer programmierte Unterstützungstechniken wie Autofokus, automatische Belichtung, Weißabgleich usw., von der Bildbearbeitung am Rechner ganz zu schweigen. Die KI ist längst in die Fotografie integriert. Es bietet sich deshalb an, die Frage etwas anders zu stellen: Was zeichnet in diesem unscharf gewordenen Umfeld eine Fotografie aus, die sich als künstlerisch bezeichnen lässt?

Stefan Gronert hat kürzlich in dem Beitrag „Ist das noch Fotografie?“ Oder: wo sind die Gattungsgrenzen? die Frage diskutiert, ob moderne Technologien die Grenzen der Fotografie verwischen und welche Bilder noch als Fotografien bezeichnet werden können. Er macht dabei deutlich, dass einige Elemente der KI-Debatte nicht ganz neu sind. Ähnliches wurde bereits in den 1990er Jahren beim Aufkommen der digitalen Fotografie diskutiert. Die einstmals prägende Definition der Fotografie als analoges Schreiben mit Licht auf einem Filmträger hat sich seitdem bereits erweitert. Auch das in der Dunkelkammer belichtete Fotopapier ist kein ausreichendes Merkmal für die Zuschreibung als Fotografie. Digitale Techniken einschließlich pixelverändernder Bildbearbeitungen und Maschinenprints werden längst miteingeschlossen, selbst wenn man das Ergebnis als Grafik bezeichnet. Gronert kommt zu dem Schluss, dass die Ausgangsfrage nach den Gattungsgrenzen letztlich nicht weiterführt. Ihn selbst interessiere diese Frage im Übrigen genauso wenig wie andere Überlegungen hinsichtlich des Wesens von irgendetwas. Man könne solche Fragen stellen, sollte jedoch keine finalen Antworten erwarten.

Die Frage einer Abgrenzung der künstlerischen Fotografie von den Massenbildern in den Sozialen Medien scheint uns dennoch nicht gänzlich aussichtslos oder überflüssig. So könnte darauf hingewiesen werden, dass künstlerische Fotografien in der Regel mit bewusster, artifizieller Absicht und in einem spezifischen Kontext geschaffen werden, während die Bilder auf Instagram & Co. meist spontan entstehen und der sofortigen Kommunikation oder Selbstdarstellung dienen. Künstlerische Fotografien werden darüber hinaus häufig in einem spezifischen Kontext wie Museen und Ausstellungsräumen präsentiert und weisen einen hohen Grad an technischer Perfektion und ästhetischer Komposition auf. Weiterhin sind sie meist in der Auflage limitiert und unterliegen strengen konservatorischen Maßnahmen. Sie unterscheiden sich von den Bildern in den Sozialen Medien somit in ihren Zielen, Wertigkeiten und Kontexten.

Nun könnte sich auch ein solcher Abgrenzungsversuch als nicht wirklich machbar erweisen, da die Frage nach dem Wesen von Kunst nun einmal zu keinem allgemein akzeptierten Ergebnis führt. Dann bliebe nur ein pragmatischer, vielleicht zynischer Definitionsversuch: Künstlerische Fotografie ist das, was mit dem Label Künstlerische Fotografie versehen wird, zum Beispiel im Rahmen der Verwertungsmechanismen des Kunstbetriebes. Mit der Folge: Je teurer, umso künstlerisch wertvoller. Richtig befriedigend wäre aber auch das nicht.

 

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„Echte“ Fotografien und ihre Herausforderer

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Die Wiederkehr des Verständlichen