„Echte“ Fotografien und ihre Herausforderer
Je mehr man sich mit der Frage einer Abgrenzung echter Fotografien zu KI-generierten und KI-getunten Bildern befasst, umso komplexer wird die Thematik. Dabei könnte man es sich mit einer Antwort doch leicht machen. Ersten gibt es generativ erzeugte Bilder, die Fotografien simulieren, jedoch keine Verbindung zur anfassbaren Realität aufweisen und deshalb nicht als Fotografien bezeichnet werden können; zweitens digitale Fotografien, die zwar Realität aufgreifen, aber allesamt durch Algorithmen der Kamera geschickt wurden, von der Bearbeitung am Rechner ganz zu schweigen, und aus diesem Grund nicht ungeschminkt echt sind. Drittens schließlich analoge Fotografien, die in der Regel über jeden Verdacht erhaben sind und mit ihrem direkten Bezug zum Realen punkten können. Was auf einem analogen Negativ eingeschrieben ist, hat stets etwas mit dem Es ist so gewesen zu tun, wie Roland Barthes es formulierte. Die beiden ersten Erscheinungsformen, KI-generierte und KI-getunte Bilder, können genau dies nicht leisten. Sind also nur analoge Fotografien echt?
Puristisch betrachtet, ließe sich der Strandpunkt vertreten, dass ausschließlich eine analoge Aufnahme die Gewähr eines verlässlichen Wirklichkeitsbezuges bietet und alles Digitale unter Verdacht steht, da jeder Datensatz verändert werden kann, ohne dass dies für Dritte nachvollziehbar ist. Dem lässt sich allerdings mit einem verlässliches Zertifikat begegnen. Mit einem solchen Testat wird bezeugt, dass neben kleineren Bearbeitungen, etwa bei Kontrast oder Helligkeit, keine Pixelentfernungen oder Pixelhinzufügungen vorgenommen worden sind. Solche Zertifikate gibt es zum Beispiel als Content Credentials, die von Adobe, Microsoft, Leica und anderen Unternehmen gestützt werden. In seriösen Medien, die einen dokumentarischen Anspruch erheben, sind entsprechende Selbstverpflichtungen der Fotografen schon heute verbreitet.
Werden diese Authentizitätsnormen eingehalten, ist eine neue Grenzziehung möglich: Auf der einen Seite gibt es dann vollständig KI-generierte Bilder sowie bearbeitete digitale Aufnahmen ohne Zertifikat. Und auf der anderen Seite analoge sowie zertifizierte, also verlässliche, unverfälschte digitale Fotografien. Die letzteren lassen sich als echte Fotos bezeichnen, und der strenge Ontologiebezug von Roland Barthes wäre erweitert. Nicht nur das analoge Filmnegativ würde aufgrund der in seiner chemischen Struktur eingeschriebenen Lichtspuren der Wirklichkeit als untrüglicher Hinweis auf reale Objekte gelten, sondern auch die digitale Aufnahme, sofern an ihrem Datensatz keine gravierenden inhaltsverändernden Pixelmanipulationen vorgenommen wurden.
Rob Horning hat kürzlich im Magazin Aperture mit dem Beitrag What Is Realism in the Age of AI? die Thematik erweitert. Zunächst erinnert er daran, dass grundsätzlich keine Fotografie, egal ob analog oder digital, eine objektive Abbildung der Wirklichkeit darstellt. Sie ist vielmehr eine Repräsentation der Dingwelt, stets subjektiv gefärbt und abhängig vom Standpunkt des Betrachters. Dieser Aspekt scheint, so Horning, in neuerer Zeit ins Hintertreffen zu geraten, da hier und dort eine neue Objektivität der Fotografie suggeriert wird. Die Realitätsdetektoren von Meta zum Beispiel sind so programmiert, dass bei allen künstlichen Generierungen und vielen digitalen Bildbearbeitungen eine Beteiligung von KI identifiziert und gemeldet wird. Das ist insofern auch in Ordnung, als damit zur Vorsicht aufgerufen wird. Die Bilder könnten schließlich frei erfunden oder verfälscht sein. Das von Meta vergebene Label Made with AI bekommt dennoch eine problematische Bedeutung, da allen übrigen, nicht mit dem Warnhinweis versehenen Bildern indirekt eine objektive Eigenschaft zugesprochen wird. Würde es Meta ernst meinen, um Menschen vor Manipulationen zu schützen, müssten jedoch konsequent und ausnahmslos alle Fotografien mit dem Zusatz Keine wahrheitsgetreue Darstellung der Realität versehen werden. Geschieht dies nur bei Bildern mit KI-Beteiligung, wird übrigen Fotografien ein Wahrheitsversprechen zugeschrieben, das ihnen nicht zusteht.
Die wesentlichen Gründe, warum eine Fotografie nie objektiv im strengen Sinne sein kann, sind bekannt. Erstens ist da die Auswahl des Motivs. Der Fotograf entscheidet, was im Bild festgehalten wird und was nicht. Diese Auswahl ist bereits ein subjektiver Akt, der von persönlichen Vorlieben, Absichten oder der gewünschten Aussage des Bildes abhängt. Zweitens sind es der Bildausschnitt und die Komposition. Durch die Wahl des begrenzenden Rahmens, des Winkels, der Perspektive und der Anordnung der Elemente im Bild wird die Darstellung aktiv gestaltet. Bestimmte Objekte werden eingeschlossen, andere ausgeschlossen. Drittens kommen technische Aspekte hinzu. Die Wahl der Kamera, des Objektivs, der Belichtung, des Fokus und anderer technischer Einstellungen haben Einfluss auf das Ergebnis. Eine lange Belichtungszeit lässt Bewegung verschwimmen, während eine kurze Verschlussöffnung scharfe Details widergibt. Eine kleine Blende fördert die Tiefenschärfe, eine große reduziert sie. Viertens spielen Beleuchtung und Farbgebung eine Rolle für die Stimmung und Interpretation eines Fotos. Sie können gezielt eingesetzt werden, um Emotionen oder Botschaften zu vermitteln. Fünftens kommt insbesondere bei der digitalen Fotografie die Nachbearbeitung hinzu. Dabei können Kontrast, Farbe, Schärfe und andere Elemente so verändert werden, dass die ursprüngliche Szene verfremdet wird. Aber auch bei der analogen Dunkelkammerarbeit lassen sich bestimmte Bildbeeinflussungen realisieren, die zu Wirkungsveränderungen führen. Sechstens spielen der Kontext eines Bildes und seine Interpretation eine Rolle. Ein Foto wird immer in einen Zusammenhang gestellt und entsprechend vom Betrachter interpretiert. Was dieser wahrnimmt, muss nicht dem entsprechen, was vom Fotografen intendiert war. Siebentens ist es der Zeitpunkt der Aufnahme. Ein anderer Moment könnte ein anderes Bild ergeben, selbst wenn das Motiv dasselbe bleibt.
Alle diese Faktoren haben die Fotografie schon immer zu einem subjektiven Medium gemacht. Selbst wenn ein Foto realistisch oder dokumentarisch wirkt, handelt es sich nie um eine reine, objektive Darstellung. Das Label Made with AI mit der subkutanen Unterscheidung von falschen und ansonsten wahren Bildern hat deshalb eine potentiell manipulative Wirkung. Es suggeriert, dass Bildern ohne KI-Warnung als verlässliche Widergabe der Realität zu vertrauen ist.
Eine wirkliche Medienkompetenz wird dadurch nicht befördert. Allein auf die unklaren Entstehungsbedingungen KI-generierter oder durch KI-Bildbearbeitungen getunter Bilder hinzuweisen, reicht eben nicht aus. Manipulationen sind nicht nur bei diesen möglich. Sinnvoller ist es, das Label Made with AI ausschließlich für vollkommen frei am Rechner generierte Bilder zu verwenden und bei richtigen digitalen Fotografien das Testat einzufordern, dass sie ohne wesentliche Pixelveränderungen, insbesondere ohne Entfernung oder Hinzufügung von Bildelementen, entstanden sind. Sie hätten damit einen ähnlichen Status wie analoge Bilder und ließen sich als echte Fotografien bezeichnen. So echt, wie es die oben genannten Grenzen jeder Fotografie, auch der analogen, überhaupt zulassen.
Dies alles ist jedoch nur dann relevant, wenn es um Fotografien mit Dokumentarcharakter geht, die einen Realitätsbezug reklamieren. Handelt es sich hingegen um künstlerische Fotografien, die einen solchen Anspruch gar nicht erheben, entfallen die Gründe für eine Echtheitsdiskussion. Und auch bei Smartphonebildern, die mit hippen Filtern bearbeitet werden, kümmern sich weder Sender noch Empfänger um die Frage des Realitätsgehaltes. Die Bilder haben eher eine soziale Funktion statt einer dokumentierenden. Um wahr oder falsch geht es dabei nicht.
Aufgeklärte Mediennutzer können die Dinge durchaus unterscheiden. Sie nähern sich Bildern heutzutage nicht mehr unbedingt mit der Erwartung, dass es sich um zweidimensionale Kopien der Realität handelt. Aber sie sind auch nicht desillusioniert hinsichtlich des Versprechens, dass sie einen bestimmten Moment gültig festhalten. Eine solche Affinität zum Realistischen ist jedoch nicht mit dem Bedürfnis nach Beweisen zu verwechseln. Man betrachtet Bilder in der Regel mit einer gewissen Zurückhaltung. Sie müssen nicht erkennbar wahr oder falsch sein. Beides ist akzeptabel, der souveräne Betrachter kann sowohl mit der einen wie mit der anderen Welt umgehen. Und es mag sogar eine spannende Herausforderung sein, wenn Bilder um die beiden Kategorien herum oszillieren und mit dem Realen und dem Möglichen spielen. Im Bereich der künstlerischen sowie der sozialen Kommunikationsfotografie ist dies für aufgeklärte Mediennutzer meist unproblematisch. Bei dokumentarisch angelegten Fotografien sollte man allerdings erwarten dürfen, dass diese einen technisch unverfälschten Realitätsbezug aufweisen. In der digitalen Welt kann dies innerhalb der weiter oben genannten Grenzen heutzutage nur ein vertrauenswürdiges Zertifikat sicherstellen.