Emanzipation der Fotografie von der KI
Die jüngsten Produkte aus der KI-Küche zeigen, was alles möglich ist. Bilder der Verhaftung Donald Trumps oder derselbe in orangener Sträflingskleidung, Putin hinter Gittern, der Papst in modisch weißer Daunenjacke, König Charles III. ausgelassen tanzend, feixend oder mit gestrickter Krone aus Wolle, ein niedliches Pfauenküken im bunten Federkleid – alles Fakes einer Wirklichkeit, die es nie gegeben hat.
Ein wenig subtiler wirkt da schon der Rummel um das von einer Fachjury prämierte Bild zweier Frauen, schwarzweiß und von der Anmutung her aus älterer Zeit, das im Nachhinein von seinem Schöpfer als KI-Werk enttarnt wurde. Der Fotograf Boris Eldagsen wollte eigenem Bekunden nach testen, ob ein solches Bild im Kontext eines klassischen Fotowettbewerbs als Fake durchfällt oder akzeptiert wird. Es wurde akzeptiert. Eldagsen hat den zugesprochenen Preis folgerichtig abgelehnt. Ob von vorneherein so geplant oder nicht, ein schöner Marketingerfolg für den Fotografen. Aber auch ein Beleg dafür, was KI zu leisten vermag.
Die Beispiele lassen im Übrigen erahnen, was da noch alles auf uns zukommt. Marketingleute, Influencer, Fotobastler sowie finstere Bots und andere Desinformanten werden mit bunten Bildern jeglicher Art locken. Aber machen wir uns nichts vor. Wir sind mit dem Aufkommen der digitalen Fotografie unbewusst auf diesen Punkt hin vorbereitet und entsprechend konditioniert. Das Ergebnis: Im gleichen Maße, wie viele getunte Digitalaufnahmen steril und künstlich aussehen und gleichzeitig die KI-Bilder immer mehr aussehen wir richtige Fotografien, sind wir bereit, Fakes für die Wirklichkeit zu halten. Dieses Täuschungspotential wird insbesondere die Produkt- und Werbefotografie nachhaltig verändern. Wozu aufwändige und kostspielige Studioproduktionen mit leibhaftigen Models, die häufig leblos und wie gelackt aussehen, wenn sich der gleiche Effekt zügig mit Hilfe von KI erzielen lässt? Dass die Fotografenzunft hier nervös geworden ist, darf als nachvollziehbar gelten.
Die These von Lunenfeld vom dubiativen Bild aus dem Jahr 2000 erhält bei alledem neue Aktualität. Was damals eine wichtige Erkenntnis war, um qualitativ die digitale von der analogen Fotografie abzugrenzen, gilt heute für jedes Bild, da seine Herkunft vor dem Hintergrund der KI-Potentiale unklar geworden ist. Selbst ein Bild, das von der Anmutung her analog erscheint, könnte eine Nachbildung sein. Gut gemachte KI-Bilder sind auf den ersten Blick nun einmal nicht von echten Fotografien zu unterscheiden. Bestenfalls eine Analyse mit digitalforensischen Methoden mag ihre Herkunft erhellen. Im Alltag jedenfalls sind sämtliche Fotografien zweifelhaft geworden.
Nach der ersten Phase voller Belustigung und Interesse wird die anfängliche Aufmerksamkeit zum Thema KI einem ubiquitären Misstrauen weichen. Als Folge wird die Lust am Bild verloren gehen. Insbesondere die Fotografie mit dem Smartphone wird dazu beitragen. Private Bilder werden immer mehr Künstliches und allerlei Angebereien zeigen. Oftmals geht es darum, eine ideale Wirklichkeit zu offerieren, egal ob es sich um Selfies, Naturereignisse, städtische Sensationen, faszinierende Autos oder anderes handelt. Normale Bilder haben da im Singularitätswettbewerb ihrer UrheberInnen kaum noch eine Chance. Wer auf der Social Media Bühne auffallen will, beauftragt fortan die KI, ein Wunschbild zu erstellen. Apps werden das im Übrigen höchst komfortabel erledigen. Man braucht dann nur noch ein eigenes Portrait einzuspeisen und kann sich in NYC ebenso präsentieren wie im Fünf-Sterne-Restaurant, im Rolls Roys oder im vertraulichen Gespräch mit Dieter Bohlen. Das Ganze wird auf einem bildtechnisch hohen Niveau stattfinden. Die gegenwärtig noch vorhandenen Fehlleistungen der KI-Bildgeneratoren werden nach und nach ausgemerzt sein. Das System lernt auch hier.
Medienbilder in der seriösen Presse werden aufgrund ihrer grundsätzlichen Unsicherheiten bezüglich des Realitätsgehaltes ein Signifikat erhalten (müssen), das über ihre Herkunft bzw. die Bearbeitungsschritte informiert. Im Print mag das umständlich sein, digital lassen sich die Infos jedoch ohne Probleme im Hintergrund darstellen und per Mausklick aktivieren. Die Forderungen der Verbände von FotografInnen und Medienschaffenden nach einem Authentizitätslabel verdienen jedenfalls Unterstützung. Anders lässt sich der Wahrhaftigkeitsanspruch der Fotografie, von Wahrheit soll gar nicht die Rede sein, kaum retten.
KI ist für die Fotografie, was diese einstmals für die naturalistische Malerei bedeutet hat: Bedrohungsgefühle greifen um sich, bevor man die Technik als Herausforderung und Chance begreift, die zu einem neuen, eigenen Verständnis der Bildherstellung beiträgt. So hatte sich die Malerei mit dem Aufkommen der Fotografie vom Realitätsanspruch lösen müssen, die Kamera konnte dies einfach besser, und sich der abstrakten Gestaltung zugewandt. Wohin die Wege der (analogen wie digitalen) Fotografie heute führen könnten, um der KI-Falle zu entrinnen, ist hingegen eine spannende, aber offene Frage. Mit der KI ohne Authentizitätsbeweis im gleichen Spielfeld konkurrieren zu wollen, ist allerdings mit großer Wahrscheinlichkeit zum Misserfolg verurteilt.
Bei alledem ist nicht zu vergessen, dass der eigentliche qualitative Sprung hinsichtlich des Realitätsgehaltes eines Bildes bereits beim Umschwung von der analogen zur digitalen Fotografie stattfand, nicht jedoch bei dem zwischen der digitalen Fotografie und dem KI-Bild. Hier gibt es einen gleitenden Übergang innerhalb der digitalen Welt. Auch bei der nun klassisch gewordenen digitalen Fotografie war es schließlich möglich, Dinge zu ergänzen, zu verfremden oder verschwinden zu lassen. Bei der KI handelt es sich, so gesehen, lediglich um eine gesteigerte Erscheinungsform der digitalen Bildherstellung, aber eben nicht um eine gänzlich neue Angelegenheit. Der Unterschied besteht lediglich darin, dass bei der KI die Bildherstellung nach einigen textlichen oder sprachlichen Eingabebefehlen einer Maschine übertragen ist. Aber auch traditionelle digitale Filter verschiedener Art oder Optimierungsprogramme haben schon vor der KI eigenständig in ein Bild eingegriffen, selbst wenn sich mit dem Schieberegler die Intensität steuern ließ. Das KI-Bild lässt sich im Übrigen ebenso verändern, indem neue Befehle eingegeben werden wie etwa „mach die Person doch bitte zehn Jahre jünger“. Ähnliches, wenn auch umständlicher, kennen wir bereits von der klassischen digitalen Fotografie.
Die Fotografie, analog wie digital, wird als Antwort auf die Veränderungen in der Bildwelt gefordert sein, eine eigenständige Sprache zu entwickeln, vergleichbar der Emanzipation der Malerei vom Realismusdogma im ausgehenden 19. Jahrhundert. Wie eine solche Bildsprache heute aussehen könnte, bleibt abzuwarten. Vielleicht gibt es eine Rückbesinnung auf vordigitale Erscheinungsformen. Und gleichzeitig bleibt die Frage im Raum: Warum die ganze Aufregung? Schließlich war, noch einmal mit Lunenfeld, schon die digitale Fotografie grundsätzlich zweifelhaft. Aber wir haben diesen Gedanken in den vergangenen Jahrzehnten weitgehend verdrängt. Insofern mag das Auftauchen der KI-Fakes etwas Heilsames mit sich bringen. Wir sind gezwungen, den Realitätsgehalt eines jeden Bildes zu prüfen. Die Zeit naiver Betrachtungen ist vorüber. Sicherheiten sind vom statischen Bild, für das Video gilt das Gleiche, ohne Vorliegen weiterer Informationen zum Entstehungsprozess jedenfalls nicht zu erwarten. Willkommen in der schönen neuen Welt.