Ein neues Paradigma für Weimar

Das Bauhaus Museum in Weimar hat seit der Eröffnung im April eine Reihe unterschiedlicher Reaktionen ausgelöst. Folgt man den Kritikern, steht man entweder vor einem machtversessenen Klotz, einem minimalistischen Monolithen oder einer idealen Hülle. Zu diskutieren wäre dann noch das Verhältnis des neuen Bauwerks zu seinen Nachbarn sowie der Inhalt selbst, die Ausstellung zu den Bauhausjahren 1919 bis 1925.

In der DDR gab es kein ausgeprägtes Bewusstsein hinsichtlich des kulturellen Erbes, das in der Geschichte Weimars mit dem Bauhaus zu finden gewesen wäre. Lange wirkte der schon zu Stalins Zeiten formulierte Formalismusverdacht nach. Erst in den sechziger Jahren besann man sich an der Architekturhochschule zögerlich auf die Tradition. So etwas wie ein Bauhaus Museum sollte es jedoch nicht geben. Erst nach dem Ende der DDR wurde am Theaterplatz gegenüber dem Goethe-Schiller-Denkmal eine eher spärliche Schau eingerichtet. Dies alles ist nun korrigiert. Das Bauhaus Museum Weimar steht, und zwar gewaltig!

Kommt man vom Bahnhof die Carl-August-Allee hinab, stößt man kurz hinter dem Rathenauplatz zunächst auf das historische, einstmals Großherzogliche, nun Neue Museum. Es schließt sich das im pseudoklassizistischen Stil gehaltene Gauforum aus der Nazizeit an, deren Gebäude im Übrigen bis heute häufig für Verwaltungszwecke genutzt werden. Lange Flure, jede Menge gleicher Räume, hierarchische Organisation. In Weimar ist in diesem funktionalistischen Bau staatsautoritärer Provenienz heute das Thüringer Landesverwaltungsamt untergebracht. Nun ja, in der Hauptstadt residieren in ähnlichen Komplexen Bundesministerien und Senatsverwaltungen. Auch staatliche DDR-Institutionen hatten sich einstmals ohne Zögern dieser Architektur bedient. Systeme kommen und gehen eben, Verwaltungen bleiben bestehen. Und sind da nicht sogar ein paar Bauhausgedanken zu entdecken? Form follows function. Wir schweifen ab, oder vielleicht ja nicht? Zurück zum Thema.

Nur wenige Meter nach dem alten Neuen Museum und dem Gauforum blickt man rechts um die Ecke und steht urplötzlich vor dem nach hinten versetzten Bauhaus Museum. Ja, es ist ein Klotz, aber keinesfalls ein unangenehmer. Die großzügige Freifläche vor dem Gebäude reduziert die optische Gewalt des Kubus. Hier von Machtarchitektur zu sprechen, wie es einige Kritiker taten, geht an den Tatsachen vorbei. Auch von der Rückseite und vom angrenzenden Park aus wirkt das Gebäude nicht klobig, sondern eher wie ein markanter Punkt. Der es ja auch sein will. Und dass ein Museum, das lichtempfindliche Exponate zur Schau stellt, keine großen Fensterflächen aufweist, ist nun einmal nachvollziehbar. Das Haus ist offensichtlich von seiner inneren Funktionalität kommend nach Außen konstruiert. Dies entspricht einem Denken á la Bauhaus. Die Platzierung des Gebäudes und seine äußere Gestalt dürfen jedenfalls als gelungen gelten. Kritikern, die hier eine quasi militärische Kraft am Werke sehen oder ein Gebäude zu erblicken meinen, das exklusiven Deutungsanspruch ausstrahlt, können wir nicht folgen.

Bei der Beurteilung der einfach gehaltenen Außengestalt ist man schnell bei der Frage nach den Baukosten angelangt. Diese sollen bei etwa 27 Mio. Euro gelegen haben und befinden sich damit noch unter denen des Dessauer Neubaus. Auch in Weimar ist die Angelegenheit knapp kalkuliert. Hier und dort spürt man dies, auch wenn das Ganze keinesfalls billig wirkt.

Betritt man den Bau durch die imposante Eingangstür, die irgendwie an das benachbarte Gau-Gebäude erinnert, gelangt man in das großzügige Foyer, das aufgeräumt und museumstypisch modern wirkt. Hat man seine Eintrittskarte dann an der Kontrolle vorgezeigt, begegnet man mit der engen, steil nach oben führenden Treppe allerdings bereits dem Hauptproblem des Gebäudes. Wer auch immer diese und die weiteren Aufgänge geplant hat, muss über ein paar sadistische Charakterzüge oder schlichtweg wenig empathische Nachdenklichkeit verfügt haben. Dass die peniblen deutschen Bauregeln so etwas zugelassen haben, erstaunt zusätzlich. Oder gibt es irgendwo noch versteckte Fluchtwege, die sich im Notfall ohne Massenabstürze nutzen lassen? Aber im Alltag, ohne Notfall, kann man ja den Fahrstuhl benutzen, der im Übrigen nicht auf Mengentransporte ausgelegt ist. Genug der Treppenmeckerei!

Sensibilisiert durch kritische Kommentare, die der Eröffnung im April folgten, schweift der Blick umher auf der Suche nach Baumängeln. Abgesehen von Kleinkram wie etwa unsauber gestrichenen Wänden an den Treppenfugen drängt sich da aber nicht viel auf. Im Gegenteil, die Gestaltung der Ausstellungsgeschosse macht Sinn. Sie gibt eine gewisse Strukturierung vor, lässt aber viel Raum für unterschiedliche Präsentationsformen. Das wirkt sympathisch und man durchwandert gerne die verschiedenen Ecken und Winkel. Offene Blickmöglichkeiten auf das darunter liegende Geschoss schaffen zudem eine Transparenz, die einen gelungenen Kontrast zur Fenstersparsamkeit bildet. Dass der lediglich mit Strukturfarbe versehene Beton wie schlecht tapeziert wirke, so die Worte eines Kritikers, darf im Übrigen als übersensibel gelten. Abgesehen von den unmöglichen Treppenaufgängen hat uns das Gebäude jedenfalls gefallen, gerade auch im Vergleich zum Dessauer Neubau, der eine Spur einfallsloser wirkt.

Die gegenwärtige Ausstellung zeigt etwa 1000 Exponate aus dem inzwischen 13000 Stücke umfassenden Bestand. Über die Auswahl und die Art der Zusammenstellung kann man trefflich streiten. Es ist ein Querschnitt der Bauhausjahre von 1919 bis 1925, nicht mehr und nicht weniger. Dies bedeutet, dass die anschließende Dessauer Zeit mit ihren ikonisch gewordenen Produktentwürfen und Werken ausgeblendet ist. Aber auch in der Weimarer Phase entstanden ja bereits Dinge mit nachhaltigem Wiedererkennungswert. Vieles davon wurde 1923 im Haus am Horn in der Musterschau der Moderne der Öffentlichkeit präsentiert. Küchen, Bäder, Möbel und Kleinteiliges wie Türklinken oder Armaturen gehörten dazu und werden nun wieder vorgeführt. Darüber hinaus zeigt die Ausstellung ein Sammelsurium an Dingen in wilder Mischung. Als misslungen darf eine Wand gelten, an der Bilder von Studierenden kreuz und quer mit Werken von Mondrian oder Feininger platziert sind. Das soll wohl locker nach Petersburger Hängung aussehen, schafft jedoch lediglich Verwirrung und Unübersichtlichkeit. Ansonsten gibt es zahlreiche Vitrinen mit allerlei Dokumenten und Objekten zu bestaunen sowie neben einigen Möbeln immer wieder Stühle.

Deutlich wird bei alledem, dass von einer industriellen Fertigung der Produkte noch nicht die Rede sein konnte. Dies sollte der Dessauer Zeit vorbehalten bleiben. In Weimar wirkte noch die Tradition des klassisch Kunst-Handwerklichen. Dies wird im Übrigen bei einem Besuch im benachbarten Neuen Museum mit der hervorragenden Ausstellung Van de Velde, Nietzsche und die Moderne um 1900 deutlich. Man sollte unbedingt beide Museen besuchen, um zu verstehen, an welchen Vorarbeiten das Bauhaus damals anknüpfte, aber auch, wo es sich vom bildungsbürgerlichen Ästhetizismus der Vorgänger abzugrenzen begann. Dass es weiter einen wabernden Jugendstil und allerlei Esoterisches gab, gehört allerdings auch zur Weimarer Bauhausphase vor dem Umzug nach Dessau. Etwas mehr an Aufarbeitung dieser Dynamik hätte man sich im Rahmen der Ausstellung schon gewünscht.

Es ist natürlich gar nicht so einfach, neben Dessau und Berlin ein spezifisches Weimarer Bauhaus-Feeling zu schaffen. Der Marketingspruch Das Bauhaus kommt aus Weimar ist zwar inhaltlich korrekt, begründet aber eben noch keinen umfassenden Anspruch. Bei einer Gesamtbetrachtung des Bauhaus-Konvoluts gehört zu diesem deutlich mehr als der Beitrag aus Weimarer Zeit. Offenbar hat man sich aber mit Dessau darauf verständigt, keine großen Überlappungen zu veranstalten. Und so bleiben für Weimar nur die Jahre bis 1925. Leider können so die in Dessau geernteten Früchte der Anfänge des Bauhauses nicht in die Ausstellung integriert werden.

Das neue Bauhaus Museum wird dazu beitragen, dass sich der durch Goethe und Schiller dominierte Klassikernimbus Weimars relativiert. Allein der wuchtige Baukörper setzt paradigmatisch ein kraftvolles Ausrufezeichen. Hinzu kommt, dass das alte Neue Museum durch die Tandemkonstruktion beider Einrichtungen aufgewertet wird. Auf diese Weise wird ein Teil der Kulturgeschichte abgedeckt, die vom Historismus über den Jugendstil bis zur Moderne des 20. Jahrhunderts reicht. Andere Orte vom Nietzsche Archiv über das Haus Am Horn bis zum Haus Hohe Pappeln gehören mit in dieses gedankliche Konstrukt. Nimmt man dann noch die Bauhaus Universität hinzu, lässt sich der Bogen sogar bis in die Gegenwart spannen. An vielen Ecken der Stadt wird man zwar weiterhin an die Klassik erinnert, mehr und mehr rückt nun aber die Moderne in den Vordergrund, wobei das Schicksal der Weimarer Republik sowie die sich anschließenden Nazijahre keinesfalls ausgeblendet werden.

Eine Schlussanmerkung für Fotografieinteressierte: Wer sich von der Ausstellung erhofft, Näheres über die Anfänge der bauhausspezifischen Fotoästhetik zu erfahren, wird ein wenig enttäuscht. Zwar ist eine ganze Wand den dokumentarischen Aufnahmen des Bauhauslebens von Lucia Moholy gewidmet, die sich als erste professionell mit der Fotografie, insbesondere der Produktfotografie, befasste, aber von ihren Fotogrammen zum Beispiel als frühe Experimentalformen eines neuen Verständnisses vom Licht sieht man leider nichts. Da muss man sich schon nach Köln ins Museum Ludwig begeben, das noch bis zum Februar des nächsten Jahres die kleine, aber feine Ausstellung Lucia Moholy. Fotogeschichte schreiben präsentiert. Schade, das hätte auch nach Weimar gepasst. Wer mehr sehen will von der Bauhausfotografie, dem seien die aktuellen Ausstellungen in der Berlinischen Galerie und insbesondere im Kunstmuseum Magdeburg empfohlen.

Von der Klassik Stiftung Weimar ist im Hirmer Verlag das Begleitbuch zur Ausstellung Bauhaus Museum Weimar erschienen, das zu einem sehr freundlichen Preis einen guten Einblick in die Museumskonzeption bietet. Weitere Informationen zu einem Besuch der verschiedenen Einrichtungen finden sich auf der Website der Klassik Stiftung Weimar.

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Lucia Moholy. Auch eine Geschichte der Fotografie

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Ambivalentes in Dessau