Ambivalentes in Dessau

Die Zukunft wird zeigen, ob sich Dessau mit dem neuen Bauhaus Museum in dieser Form einen Gefallen getan hat. Bei nur 30 Millionen Euro Baukosten für einen solch gewaltigen Baukörper an exponierter Stelle der Stadt darf man natürlich keine Wunderdinge erwarten. Aber es stellt sich bei einer ersten Spontanbeurteilung schon die Frage, ob ein wenig mehr nicht besser gewesen wäre. Weiteres Nachdenken wird eine solche Überlegung jedoch relativieren.

Trotz der modernistischen Attitüde ist der Neubau ein wenig schlicht, ja geradezu austauschbar geraten. Es könnte sich auch um die Konzernzentrale einer Versicherung handeln. Diese hätte allerdings einen spontan erkennbaren Eingang. Den muss man hier erst einmal suchen. Ansonsten, rundum viel getöntes Klarglas mit transparentem Einblick. Und sonst? Nicht viel, ein kostengünstig hergestellter Schuhkarton eben. Statt alles auf die Jubiläumskarte des Hundertsten zu setzen, hätte man vielleicht noch ein paar Jahre für das Zusammenbringen der notwendigen Mittel nutzen sollen, um dann zu einem wahrhaften Bauhaus einschließlich moderner Technik im energetischen Bereich zu kommen. Von der architektonischen Aura des historischen Gebäudes an andere Stelle der Stadt ist hier jedenfalls nichts zu spüren. Die ästhetische Botschaft eines Gropius ist trotz einiger vage bleibender gestalterischer Zitate meilenweit entfernt, und eine Glasfassade macht noch keinen Mies van der Rohe. Schade und Chance verpasst, könnte man da meinen.

Im Inneren setzt sich der Eindruck des kostengünstigen Bauens fort. Das Erdgeschoss wird durch eine Halle gebildet, die als Mehrzweckraum sicherlich gute Dienste leisten wird. Dies lässt sich zwar als puristischer Funktionalismus verkaufen, ist aber nur mit viel Phantasie als Bauhausarchitektur interpretierbar. In der ersten Etage, die als riesige eigenständige Black Box inmitten des Gesamtbaukörpers konzipiert ist, präsentieren die Ausstellungsmacher in einem großen und zwei angeschlossenen kleineren, im Übrigen fensterlosen Sälen Gesammeltes aus den Meisterjahren, aber das alles wirkt ein wenig unübersichtlich. Man hat sich zwar redlich Mühe gegeben, das Ganze zu strukturieren und mit historisch kritischen Kommentierungen zu versehen, aber so recht überzeugend ist das Ergebnis spontan nicht. Man läuft durch die kleinteilig in Schaukästen angeordneten Exponate sowie entlang der an der Mittelachse präsentierten Möbel und Wohnaccessoires und muss sich dabei immer wieder bemühen, den haltgebenden Sinn nicht aus dem Auge zu verlieren. Der Besucher ist jedenfalls aktiv gefordert, und bei einer reinen Konsumhaltung würde ihn die Überkomplexität wohl erschlagen. Aber nach ein wenig Denkanstrengung freut man sich, einigen bekannten Originalprodukten aus den Zwanziger Jahren zu begegnen und die ausgestellten Publikationen aus damaliger Zeit im Schnelldurchgang quer zu lesen. Insofern kommt man durchaus auf seine Kosten. Das Bauhaus-Feeling, für das man Eintrittsgeld bezahlt hat, wird in gewisser Weise geliefert.

Das bisher Beschriebene entspricht dem ersten Eindruck. Dieser soll um zwei Überlegungen ergänzt werden.

Erstens, zum Bau an sich: Die übersichtlich gebliebenen Kosten mögen dazu beigetragen haben, dass in Dessau kein architektonisches Weltwunder entstanden ist. Aber ist das wirklich schlimm? Das in Berlin geplante Museum der Moderne am Kulturforum wird am Ende jenseits der jetzt noch vorgesehenen 420 Mio. Euro, realistisch betrachtet, nicht unter 600 Mio. zu haben sein und nach den jetzt vorliegenden Entwürfen einer Kreuzung zwischen Scheune und Lidl Supermarkt entsprechen. Über den Eklektizismus, der da im Zusammenspiel mit Scharouns Philharmonie und Mies van der Rohes Nationalgalerie eines Tages in der Gesamtwirkung entstanden sein wird, darf man sich schon jetzt ein wenig wundern. Hamburg mag hingegen weltweit für seine Elbphilharmonie gerühmt werden, aber für diese wollten am Ende auch immerhin mehr als 800 Mio. aufgebracht sein. Das Disneyland-Stadtschloss, schon wieder Berlin, wird mit dem Humboldt Forum über 600 Mio. kosten, etwas mehr als 100 Mio. davon übrigens durch Spenden finanziert. Apropos Spenden. Die von der Aufgabe her mit dem Dessauer Bau am ehesten vergleichbare Mannheimer Kunsthalle hat es auf immerhin 50 Mio. Spenden bei Gesamtkosten von 70 Mio. gebracht. Eine Sponsorenförderung in solcher Größenordnung hat es in Dessau nicht gegeben, im Übrigen musste man sich die von der Bundesregierung anlässlich des Bauhausjahres zur Verfügung gestellten Mittel mit Weimar und Berlin teilen, von denen die Gunst der Stunde ebenfalls für Neubauten genutzt wurde.

Hinter diesen Finanzierungsaspekten steht die Frage im Raum, wieviel sich eine Gesellschaft für die Kulturförderung leisten will und kann. Zwar mögen Repräsentationsbauten wie die Elbphilharmonie oder das Berliner Stadtschloss in der Bevölkerung mehrheitsfähig sein, aber dennoch müssen sich Städte, Kommunen und Länder für ihre Ausgaben gegenüber einer kritischer gewordenen Öffentlichkeit immer wieder neu legitimieren. Und Sachsen-Anhalt gehört nun einmal nicht zu den reichsten Bundesländern, weist aber eine Reihe drängender infrastruktureller Herausforderungen auf, etwa im Bildungs- und Gesundheitsbereich oder im öffentlichen Personennahverkehr. Diese Aufgaben müssen im Auge behalten und bedient werden, um keine weitergehende Staatsverdrossenheit entstehen zu lassen. Dass man vor diesem Hintergrund in Dessau für lediglich 30 Mio. Euro ein neues Bauhaus Museum geschaffen hat, das den meisten funktionalen Erfordernissen voll entspricht und eigentlich ja auch gar nicht schlecht aussieht, ist am Ende dann wohl doch aller Ehren wert.

Zweite Ergänzung: Die Dessauer Stiftung darf sich nach dem Berliner Archiv als weltweit zweitgrößte Hüterin von Bauhauswerken einschließlich zahlreicher Dokumente betrachten. Nicht zuletzt Schülerarbeiten, Aufzeichnungen aus dem Unterricht, Entwürfe und Prototypen aus den Werkstätten prägen das Profil. Heute zählt die erst 1976 ins Leben gerufene Sammlung nahezu fünfzigtausend Objekte, die zu einem nicht unerheblichen Teil besonderer konservatorischer Aufmerksamkeit bedürfen. Lichtempfindliche Fotografien, Papier- und Textilarbeiten, aber auch die Schriften und Dokumente lassen sich aus Schutzgründen nicht für längere Zeit bei Tageslicht präsentieren. In der Black Box des neuen Museums können sie nun unter optimierten Bedingungen gezeigt werden. Die gegenwärtige Ausstellung mit etwa tausend Exponaten soll dabei den Beginn einer Reihe bilden, die der Öffentlichkeit nach und nach den Bestand vorstellen wird. Die Wagenfeld-Leuchten und Breuer-Stühle bilden da lediglich einen Randaspekte.

Neben der Vorführung von Teilen der Sammlung sahen die Ausstellungsmacher ihre Aufgabe darin, den Charakter des Bauhauses als Versuchsstätte zu vermitteln. Man wollte, so die eigenen Worte, das Bauhaus als einen lebendigen Ort beschreiben, an dem gelernt und gelehrt, künstlerisch experimentiert sowie an industriellen Prototypen gearbeitet wurde. Dies begründet, warum in der Ausstellung nicht die bekannten Designikonen und deren Meister im Vordergrund stehen, sondern die Schule und das Alltagsleben der Studierenden. Entsprechend sind die Exponate zu Schwerpunkten zusammengestellt, bei denen es etwa um das Curriculum und den Unterricht einschließlich der Bedeutung einzelner Lehrer-Schüler-Verhältnisse wie das zwischen László Moholy-Nagy und Marianne Brandt geht. Die Entwicklung von Prototypen sowie die häufig frustrierenden Bemühungen um eine Kooperation mit der Industrie bilden einen weiteren Schwerpunkt, ebenso wie die Erinnerung an den antimodernistischen gesellschaftlichen und schließlich politischen Druck in der Stadt Dessau, der schließlich das Ende des Bauhauses einläutete. Man darf davon ausgehen, dass in künftigen Ausstellungen weitere Schwerpunkte bearbeitet werden.

Es wird deutlich, dass man sich in Dessau bemüht hat, nicht wie eine dritte Version der Sammlungspräsentationen in Weimar und Berlin zu erscheinen und vor allem auch einer weiteren Fetischisierung der längst ikonisch gewordenen Objekte zu widerstehen. Das ist gelungen und überzeugt. Ganz kommt man aber um die Berücksichtigung einiger Erwartungsstandards nicht herum, und so dürfen auch in Dessau neben typischen Möbeln und dem bekannten Wohninterieur drei große Figuren aus Schlemmers triadischem Ballett sowie der nahezu unvermeidliche Licht-Raum-Modulator von Moholy-Nagy nicht fehlen. Aber der Schwerpunkt der Ausstellung liegt eben nicht primär bei solchen Objekten. Vielmehr geht es um den Prozess des Denkens, die Plausibilisierung der Bauhaus-Schule als Ort ganzheitlicher Bildung und des Experimentierens sowie um die Frage nach der gesellschaftlichen Relevanz gestalterisch anspruchsvoller Lösungen alltagspraktischer Herausforderungen.

Ergänzt man die ersten Spontanwirkungen um solche weiterführenden Gedanken hinsichtlich der Architektur sowie der Ausstellungsgestaltung, entsteht ein freundlicher Gesamteindruck. Ein Besuch des neuen Bauhaus Museums Dessau ist jedenfalls unbedingt zu empfehlen. Ein paar ambivalente Gefühle können ja nicht schaden. Man darf sehr gespannt sein, wie sich das Museum als Versuchsstätte künftig weiterentwickeln wird. Weitere Besuche sind fest eingeplant.

Wer besonders an den Klassikern der Bauhaus-Fotografie interessiert ist, dies noch als Nachtrag, kommt im Übrigen in den aktuellen Ausstellungen der Berlinischen Galerie und des Kunstmuseums Kloster unser lieben Frauen Magdeburg eher auf seine Kosten als in Dessau.

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Bauhaus-Fotografie in Magdeburg