Edward Westons expressiver Realismus
Zu den stilprägenden Wegbereitern der Fotografie des Zwanzigsten Jahrhunderts zählt Edward Weston. Seine Arbeiten entspringen, wie Ansel Adams es einmal beschrieb, einer tiefen Intuition, die trotz aller Detailtreue den Kräften des Abgebildeten außerhalb des Faktischen nachspürt und sie in eine bildliche Symbolsprache übersetzt. Viele von Westons Fotografien wirken vielleicht gerade deshalb so zeitlos. Über eine strenge Gestaltung hinaus vermitteln ihre Formen und Flächenproportionen eine unmittelbare Evidenz, der man sich kaum entziehen kann.
Edward Henry Weston wurde im Jahr 1886 in Illinois geboren und verbrachte die Kindheit in Chicago, wo er schon als Jugendlicher mit dem Fotografieren begann. Nach der Ausbildung ging er nach Kalifornien und ließ sich dort als Fotograf nieder. Folgte er zunächst einem piktoralistischen Stil mit Softfokus und gemäldeähnlicher Anmutung, so standen später Aufnahmen mit großer Detailgenauigkeit und häufig abstrakt erscheinenden Formen im Vordergrund.
Im Jahr 1932 zählte er zusammen mit Ansel Adams, Willard Van Dyke, Imogen Cunningham, John Paul Edwards und Sonja Noskowiak zu den Gründungsmitgliedern der Gruppe f/64. Der Name war Programm. Die Straight Photography setzte auf technischen Perfektionismus, gepaart mit einem Gestaltungsverständnis, das sich vom klassischen Naturalismus entfernte und dem Betrachter bei aller Detailgenauigkeit Raum für eigene Assoziationen und Phantasien ließ. Westons Aufnahmen von Muscheln (Shells) aus dem Jahr 1927, von Paprikaschoten (Pepper, 1929/30) oder eines weißen Rettichs (White Radish, 1933) zeigen dies beispielhaft.
Das Leben in der kalifornischen Bohéme, die sich nicht zuletzt als Alternative zum Ostküstenintellektualismus verstand, dann auch die Berührung mit der Ursprünglichkeit mexikanischer Volkskunst und schließlich das Bekenntnis zur einfachen klaren Form stellten Entwicklungsschritte dar, die Weston zu einer Art expressivem Realismus führten, der ihn trotz einiger ästhetischer Affinitäten von den eher kühlen Bildern eines Man Ray oder László Moholy-Nagy abgrenzt und eher an Paul Strand oder Alfred Renger-Patzsch erinnert. Vergleichbar mit dem Wirken von Alfred Stieglitz, ist die Leistung Edward Westons für die Akzeptanz der Fotografie als Kunstform jenseits der damals schon verbreiteten Amateurszene kaum hoch genug einzuschätzen. Weston hat nicht nur durch sein fotografisches Werk dazu beigetragen, sondern auch durch engagierte Stellungnahmen und zahlreiche Zeitschriftenaufsätze.
Das Oeuvre Edward Westons ist umfangreich. Es umfasst Aktaufnahmen, Bilder von Wüsten, Dünen und Küstenfelsen, Landschaftsaufnahmen ebenso wie technische Artefakte, Stillleben und immer wieder Portraits. Etwa seit Mitte der dreißiger Jahre lehnte er es ab, weiterhin die von ihm im Kundenauftrag angefertigten Portraits zu retuschieren, ein bis dahin übliches Verfahren zur bildlichen Glättung der Abgebildeten. Was auf den ersten Blick wie eine simple Erleichterung der Dunkelkammerarbeit aussah, drückte Westons gewachsenes paradigmatisches Verständnis der Straight Photography aus: Klarheit und Perfektionismus in der Abbildung des Naturbelassenen, dabei jedoch große Freiheit in der Formensprache und eine expressive Kompromisslosigkeit.
Im Benedikt Taschen Verlag ist im Jahr 1999 die Original edition Edward Weston: 1886 – 1956 erschienen, eine Neuausgabe bei TASCHEN im Jahr 2017. Die repräsentative Zusammenstellung der über mehrere Jahrzehnte entstandenen Fotografien wird ergänzt durch Textbeiträge, etwa Kompromisslose Leidenschaft von Terence Pitts. Auch die Edward Weston & Cole Weston Family Website bietet einen Überblick über Leben und Werk dieses großartigen Fotografen.