Vernähtes, Umgarntes und Collagiertes
Der Körper ist politisch. So beginnt der Begleittext des Frankfurter Städel Museums zur Ausstellung Unzensiert. Annegret Soltau – Eine Retrospektive. Nun ja, gemeint ist wohl eher, dass die Wahrnehmungen und Konnotationen bezüglich des menschlichen Körpers zeitgebundenen kulturellen Wertungen folgen. Geschenkt. Die Sache selbst ist interessant. Annegret Soltaus Werke changieren zwischen den Bereichen Fotografie, Collage, Performance, Body Art und feministischer Kunst. Eindeutige Zuordnungen sind da nicht möglich und auch gar nicht nötig.
Die Arbeiten basieren meist auf Fotografien. Diese werden häufig zerschnitten, vernäht oder überlagert, so dass etwas Neues entsteht. In anderen Aufnahmen ist ein Mensch mit schwarzen Fäden umgarnt wie bei einer Fesselung. Vor allem weibliche Körperbilder, Identitätsfragen und gesellschaftliche Rollenvorgaben vermischen sich mit Themen wie Mutterschaft, Alterung, Verletzlichkeit und Selbstbestimmung. Als Vertreterin der feministischen Avantgarde der vergangenen Jahrzehnte hinterfragt Soltau patriarchale Strukturen und die Darstellung von Weiblichkeit in der Kunst. Selbstreferentielles spielt mit, wenn sie in verschiedenen Werkserien als Ausdrucksmittel auch den eigenen Körper einsetzt.
Das dem Ausstellungstitel vorangestellte Unzensiert spielt darauf an, dass die Werke Annegret Soltaus über viele Jahre von der etablierten Kunstszene als zu provokativ, vielleicht auch als zu feministisch, bewertet und öffentlich nur am Rande gezeigt wurden. Der weibliche Körper ist zwar aus männlicher Sicht schon immer künstlerisch verwertet und mit Wohlwollen betrachtet worden, anders sah es jedoch aus, wenn es um die selbstbestimmte und emanzipierte Darstellung aus der weiblichen Perspektive selbst ging. Dies wird durch die Ausstellung im Städel Museum korrigiert.
Die gemeinsam mit der Künstlerin erarbeitete Werkschau macht die Zensurwirkungen der Kunstszene deutlich. Mehrfach lösten Soltaus Fotografien, etwa der Akt Generativ – Mit Tochter, Mutter, Großmutter aus einer Serie, die den Alterungsprozess menschlicher Körper symbolisiert, Proteststürme aus und wurden als nicht zumutbar aus Ausstellungen entfernt beziehungsweise abgedeckt. Auch der Verleger Siegfried Unseld soll die Aufnahme von Bildern Soltaus in eine Buchpublikation verhindert haben.
In jungen Jahren hatte Annegret Soltau unter anderem als Operationshelferin in der Unfallchirurgie eines Krankenhauses gejobbt. Die damit verbundenen Erfahrungen eines mit Nadel und Faden zusammengeflickten Körpers schlagen sich in ihren Bildern nieder, radikal und mit einem dekonstruktiven Ansatz. Nun geht es nicht um die Wiederherstellung des Gewohnten, sondern um das Zusammenfügen unter kritischen Vorzeichen und die Infragestellung der eingeübten Ordnung. Gemeint sind damit vor allem die soziale Konstruktion der Geschlechterrollen und die Konnotationen hinsichtlich eines zur Schönheit verpflichteten Körpers.
Gleich zu Beginn des Besuchs informiert eine Wandtafel über die Chronologie des Feminismus ab 1945 sowie über wichtige Lebensdaten der 1946 geborenen Soltau. Auch die in der Ausstellung gezeigten etwa 80 Werke werden durch Kommentartexte begleitet. Die Bilder und die Vielseitigkeit im Werk Soltaus machen das Ganze zu einer kurzweiligen Angelegenheit. Klug kuratierte Schwerpunkte um die Themen Schwangerschaft, Mutterschaft, Altern und latent immer wieder Geschlechtsrollen tragen dazu bei, dass man die großzügig gestalteten Räume mit anhaltendem Interesse erlebt. Der Mix aus farbigen und schwarzweißen Arbeiten, einigen Großformaten sowie Objekten trägt ebenfalls dazu bei, dass keine Langeweile aufkommt. Vernähtes, mit Garn Zusammengesponnenes, Collagiertes und seriell Dargebotenes zeigen die große Bandbreite der fotografiebasierten Werke Annegret Soltaus. Ergänzt werden diese durch Beispiele aus ihrem grafischen Werk.
Insbesondere klassischen Beauty-Fotografen bietet die Ausstellung einen Anlass zum Nachdenken. Die Gegenüberstellung etwa des erwähnten Nacktbildes Generativ – Mit Tochter, Mutter, Großmutter von Annegret Soltau mit dem heroisch heranschreitenden Nudes-Quartett von Helmut Newton könnte eine interessante Angelegenheit sein.
Begleitend zur Ausstellung ist im Hirmer Verlag der Katalog Unzensiert. Annegret Soltau – Eine Retrospektive erschienen. Er zeigt Fotografien und dokumentiert Objekte, Videos und Installationen aus allen Schaffensphasen.
Rezensionen zur Ausstellung mit weiterführenden Informationen und Bildbeispiele aus dem Werk Annegret Soltaus finden sich unter anderem in den Beiträgen der Magazine monopol oder Das Fotoportal. Ein Interview mit der Künstlerin ist in der EMMA erschienen.
Die Ausstellung ist noch bis zum 17. August 2025 im Städel Museum in Frankfurt a. M. zu sehen.
Bei einem Besuch sollte man sich auch die an gleicher Stelle noch bis zum 27. Juli 2025 laufende Ausstellung Rineke Dijkstra. Beach Portraits nicht entgehen lassen. Darüber hinaus wird im Untergeschoss bis zum 18. Januar 2026 Bilderwelten der USA. Fotografie zwischen Stadt, Subkultur und Mythos gezeigt. Nicht sehr umfangreich und etwas eklektizistisch, aber schon der Titel der Ausstellung wirkt ja reichlich beliebig. Zu entdecken sind Fotografien von Nan Goldin, David Armstrong, Andy Warhol, Richard Prince und anderen. Wie schon gesagt, von allem etwas, aber eben nur ein wenig.
Wer dann noch über Energie verfügt, dem sei zusätzlich die Ausstellung Isa Genzken Meets Liebig-Haus empfohlen, nur wenige Meter vom Städel Museum entfernt. Inmitten der ehrwürdigen Skulpturensammlung sind Collagefiguren Genzkens platziert, so dass sich eine reizvolle Kontrastwirkung ergibt. Postmoderner Klamottenkult trifft auf weiße Skulpturen vorangegangener Jahrhunderte. Durchaus unterhaltsam.