Störgefühle beim Betrachten der Megakunst Ai Weiweis

Der Besuch der aktuellen Ausstellung in der Düsseldorfer Kunstsammlung Nordrhein-Westfalen erwies sich als eine zwiespältige Angelegenheit. Der Dissidentenstatus Ai Weiweis hat zwar mit seinem Sympathiepotential viele Freiheitsliebende zu gutmeinenden Freundinnen und Freunden werden lassen, so dass man die Installationen gerne mit ehrfürchtigem Staunen umrundet, die kritische Distanz bleibt dabei jedoch schnell einmal auf der Strecke. Da regt sich ein spontaner Widerspruchsgeist.

Ai Weiwei ist nicht der erste Megakünstler, der eine ganze Factory für die Umsetzung seiner Ideen arbeiten lässt. Das gab es schon bei den Alten Meistern und ist bis in die Gegenwart bei vielen der Superstars üblich. Kunstbetriebsamkeit eben. Will man heutzutage ganz vorne im Markt mitspielen, müssen die Dinge riesengroß und aufwändig produziert sein. Mit kleinen Formaten braucht man da gar nicht erst anzurücken. Das gilt für Installationen ebenso wie für Dinge, die an den Wänden hängen, übrigens auch für Fotografien. Gursky und Co. lassen grüßen. Kleine Bildchen aus dem heimischen Atelier oder der Dunkelkammer bzw. dem Rechner auf dem Schreibtisch dürfen sich da kaum Hoffnung auf großen merkantilen Erfolg machen.

Aus der Masse des technisch Machbaren sticht heutzutage häufig nur das hervor, was mit extraordinärem Aufwand produziert worden ist. Letztlich ist dies eine Folge der Wertschöpfungskette, von der alle gut leben: Die Galerien und Museen, die Agenten und Auktionshäuser, aber meist, nicht immer, auch die Werkverantwortlichen selbst. Also, im Interesse aller Genannten, hoch mit den Preisen! Teuer oder Aufmerksamkeit erregend, dies ein altes Marktgesetz, kann jedoch nur sein, was selten ist. In früheren Zeiten war das mit dem Ableben eines Künstlers potentiell vorgegeben, heute wird es durch die Aufwändigkeit der Produktion ersetzt.

Zurück zu Ai Weiwei. Wir kennen viele seiner Werke seit Jahren und haben sie mit Sympathie in Berlin, New York, Kassel und jetzt in Düsseldorf bestaunt. Zu Beginn gab es da eine Faszination, die mit den Spuren einer Biografie verknüpft ist, die lange auf bedrückende Weise eine Geschichte staatlicher Repression und Bedrohung war. Die Deutung der Werke wurde dem Betrachter schon immer erleichtert. Meist recht eindeutige Titel oder spätestens die Kommentare der Ausstellungsmacher ließen keinen Zweifel daran, dass Ai Weiwei ein Opfer engstirniger Politkommissare mit Parteiauftrag und begrenztem Kunstverstand ist. Der Künstler als ein Rebell, der manifester persönlicher Bedrohung ausgesetzt war - dies prägte, mit guten Gründen, die Wahrnehmung. Dass er selbst nach dem erzwungenen Exil an diesem Bild anknüpfte, ist verständlich. Jedem Menschen muss zugebilligt werden, an einer kohärenten Konstruktion der eigenen Identität zu arbeiten. Ökonomische Aspekte, die einen vollen Kühlschrank sichern, sind im Übrigen genauso legitim. Gleichwohl, Kunstkritik darf es sich bei aller Sympathie für einen Künstler, der Übles erfahren musste, erlauben, darüber hinaus zu blicken.

Was sehen wir heute bei der Betrachtung der Werke Ai Weiweis? Wir erblicken Massenhaftes in jeglicher Form. In Düsseldorf sind es Millionen einzeln per Hand, allerdings nicht von Ai Weiwei selbst, sondern von 1600 Kunsthandwerkerinnen und -handwerkern in jahrelanger Arbeit bemalte Sonnenblumenkerne aus Porzellan, tausende von Schuldscheinkopien, die ganze Hallenwände füllen, tonnenschwere Mengen gerade gebogenen Armierungsstahls als Überreste von Erdbebentrümmern in sargähnlichen Holzkisten, die den kompletten Saal beanspruchen, sowie, wiederum an den Wänden, die unendlich erscheinende Opferliste dieser Katastrophe, die von den Behörden verheimlicht wurde. Ja, das alles ist überwältigend und bedrückend, aber das Gigantomanische der Installationen und auch das Vordergründige lösen subkutane Zuckungen aus. Da wird mit einem riesigen Aufwand die Bevormundung eines Volkes beklagt und in gewisser Weise am alten westlichen Bild chinesischer Kollektivität angeknüpft, auf der anderen Seite jedoch sind einige der Werke Ai Weiweis von genau dieser individualitätslosen Massenhaftigkeit geprägt, der seine Kritik gilt. Das mag man für dialektische Didaktik halten, aber so recht überzeugt das auf Dauer nicht. Wer hundertausendfach das Gleiche malen oder gestalten lässt, provoziert die Frage, ob die eigenen Intentionen nicht sogar ähnlich rigide strukturiert sind wie die des politisch gemeinten Empfängers der Kritik.

Da mag der Kurzführer zur Ausstellung noch so wortreich davon reden, dass in Ai Weiweis Installationen die Widersprüche unserer Gegenwart plastisch werden, wir kommen nicht umhin, dies für das übliche Wortgeklingel von Ausstellungsmachern zu halten. Auch diese müssen schließlich ihren Job machen, also irgendwie Bedeutung produzieren. Wir verstehen das. Dennoch waren wir ein wenig ermüdet vom gigantischen Massenspektakel und haben die singulären Kunstwerke der modernen Klassiker genossen, die in den oberen Etagen der absolut sehenswerten Kunstsammlung Nordrhein-Westfalen zu besichtigen sind.

Aber, um gerecht zu bleiben, neben den Megainstallationen sind in der Düsseldorfer Ausstellung auch kleinere Werke, Videos und Fotografien Ai Weiweis zu sehen, die an Dada, dem Surrealismus oder der Moderne seit den Sechzigern anknüpfen. Hier erlebt man Sachen, deren Komplexität im Gegensatz zu den suggestiven Riesenproduktionen erst mühselig entschlüsselt werden will. Das haben wir, anders als bei den großen Werken, als sympathisch empfunden. Und weniger politisch wird es dadurch auch nicht.

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