New York, Strand und Die Amerikaner

Die Buchhandlung Strand in Manhattan ist allen an Fotoliteratur Interessierten sehr zu empfehlen. Insbesondere die antiquarische Abteilung bietet regelmäßig eine Unmenge an älterer Literatur zur Fotografie sowie einiges aus dem modernen Antiquariat. Allein das Stöbern in den Regalen gestaltet sich wie eine gedankliche Wanderung durch die Geschichte der Fotografie. Wer an diesen Themen interessiert ist, sollte einen Aufenthalt in New York unbedingt zu einem Besuch in der oberen Etage von Strand am Broadway, Ecke 12. Straße, nutzen.

Meist verlässt man Strand am Ende mit einem kleinen Stapel, in der Regel günstig erstandener Bücher, etwa von Klassikern der Fotografie wie Alfred Stieglitz oder Ansel Adams, alten Ausstellungskatalogen oder Experimentellem jüngerer Künstler mit seltenen Techniken oder avantgardistischen Ausdrucksformen. Limitierender Faktor beim Kauf ist häufig nur die Gewichtsbegrenzung beim Fluggepäck.

Auch diesmal blieb das Stöbern nicht ohne Folgen. Einige kleinere Broschüren mit Werkzusammenstellungen aus amerikanischen, aber auch internationalen Galerien, ein voluminöser Ausstellungskatalog von 1989 des Metropolitan Museum of Art mit herausragenden Fotografien der Zwanziger und Dreißiger Jahre und das 1979 erschienene Buch Raoul Hausmann. Kamerafotografien 1927 – 1957 von Andreas Haus aus dem Verlag Schirmer/Mosel zählen zur aktuellen Ausbeute. Nicht wundern! In den Regalen von Strand sind deutschsprachige Titel gar nicht so selten vertreten. Soviel zum antiquarischen Teil.

Aus den aktuellen Verlagsprogrammen fiel die Wahl auf die Neuausgabe eines Klassikers der Fotografie, The Americans von Robert Frank, erstmalig im Jahr 1958 in Frankreich, ein Jahr später, mit einem Vorwort von Jack Kerouac, auch in den Vereinigten Staaten erschienen. Das Buch stammt aus dem deutschen Steidl Verlag, ist jedoch, wie das amerikanische Original, englischsprachig und mit dem ursprünglichen Vorwort von Kerouac versehen. Das Werk wäre somit auch in jeder deutschen Buchhandlung zu erwerben gewesen, aber irgendwie reizte der Kauf gerade hier bei Strand, nicht zuletzt, weil der Band mit einem Rezensionszitat aus der New York Times versehen ist: Few books in the history of photography have had as powerful an impact as The Americans. Und das spürt man bereits beim ersten Durchblättern. Geniale Schwarzweißaufnahmen zeigen ein Kaleidoskop des amerikanischen Alltags, vom ganz Normalen und Banalen bis hin zum Skurilen.

Robert Frank, 1924 in der Schweiz geboren, arbeitete seit 1953 mit Edward Steichen an den Vorbereitungen der Jahrhundertausstellung The Family of Men und nutzte die Folgejahre für ein eigenes Projekt mit ausgiebigen Reisen quer durch die USA, bei denen zehntausende von Aufnahmen entstanden. Eine kleine Auswahl davon wurde in The Americans aufgenommen, das sich schnell zu einem paradigmatischen Werk zeitgenössischer Dokumentarfotografie mit neuer Bildsprache entwickeln sollte. Dessen Bedeutung ist bis heute unbestritten, sie wurde einschließlich des Einflusses auf Fotografen wie Garry Winogrand, Lee Friedlander oder Edward Ruscha etwa von Scott Indrisek oder in einer Rezension von Jim Casper in LensCulture hervorgehoben.

Trotz des eher kleinen Buchformats der hervorragend gedruckten Ausgabe von Steidl entfalten Aufbau und Gestaltung der Aufnahmen von Robert Frank eine starke Wirkung. Bei größerem Format würden zwar technische Aspekte, etwa Unschärfen oder Über- bzw. Unterbelichtungen, noch deutlicher ins Auge fallen und einem heutigen Betrachter vielleicht zu kritischen Anmerkungen verleiten. Die Aufnahmen belegen jedoch, nicht unerwartet, dass es bei einer guten Fotografie genau darauf nicht unbedingt ankommt. Allen Schärfefetischisten sei das noch einmal ins Stammbuch geschrieben. Ähnliches gilt übrigens, dies nur nebenbei, für die Fotografien eines Cartier-Bresson oder Capa. Technisch gesehen können viele ihrer Kleinbildaufnahmen kaum mit heutigen Standards, also unseren gegenwärtigen Sehgewohnheiten, mithalten. Und dennoch, sie entfalten eine Wirkung, von der digitale Pixelpeeper häufig nur träumen können. Vergesst den Schärfeimperativ! Therapievorschlag:The Americans von Robert Frank. Insbesondere für Straßenfotografen ist das Werk ein unbedingtes Muss. Man nimmt das Buch immer wieder in die Hand.

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Störgefühle beim Betrachten der Megakunst Ai Weiweis

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Washington D.C.