Kunst und Künstliche Intelligenz
Wie lässt sich in Zeiten KI-generierter Bilder Nichtkunst von Kunst unterscheiden? Sind Maschinen in der Lage, von Menschen gemachte Werke so zu imitieren, dass phänomenologisch kein Unterschied erkennbar ist? Und wäre dies ein Drama? Solche Überlegungen führen zu der Frage, was Kunst überhaupt ist. Im postmodernen Zeitalter des Anything goes scheint es darauf keine überzeugende Antwort zu geben. Alles ist möglich und das Label Kunst wirkt nicht selten wie eine naive Schimäre mit Definitionsmustern vergangener Zeiten. Da sich der Begriff Kunst jedoch beharrlich hält und jede Beliebigkeit auch eine Sinnlosigkeit beinhaltet, die wir nicht mögen, suchen wir weiter nach plausiblen Definitionen.
Die Philosophin Catrin Misselhorn befasst sich seit längerem mit Themen der Wissenschaftstheorie sowie der Technikphilosophie und hat in ihrem Buch Künstliche Intelligenz - das Ende der Kunst? einige der genannten Fragen erörtert. Künstlerisches im traditionellen Sinne wäre erledigt, so verstehen wir ihre Ausgangsthese, wenn maschinelle Intelligenz eigenständig in der Lage ist, Objekte hervorzubringen, die von relevanten Beobachtern als Kunst anerkannt werden.
Misselhorn greift bei der Unterscheidung von Kunst und Nichtkunst auf Überlegungen von Arthur C. Danto zurück. Dessen Frage, was ein Objekt zum Kunstwerk macht, führt zum Begriff Artworld. Ein Werk wird als Kunst anerkannt, wenn ihm als symbolische Ausdrucksform eine Bedeutung zugeschrieben wird, die als Metapher für eine spezifische Weltsicht steht. Hinzu kommt dann jedoch zwingend eine adäquate Präsentationsumgebung. Während ein Alltagsobjekt, wir erinnern uns prototypisch an das Urinal von Duchamp, an sich nichts Künstlerisches bedeutet, führt die Präsentation des gleichen Objektes als Ready-made im musealen Kontext dazu, dass beim Betrachter Fragen nach dem Was soll das? ausgelöst werden. Und schon ist eine Metaebene berührt, bei der sowohl die mutmaßliche Intention des Künstlers eine Rolle spielt wie auch die Wahrnehmungspsychologie des Betrachters. Dahinter steht die Frage nach dem potentiellen Sinn des Werkes, wie verwirrend auch immer es erscheinen mag. Aber so ist das ja oft bei moderner Kunst. Wir stehen vor seltsamen Sachen, und wenn wir uns nicht assoziativ auf diese einlassen, bleiben die Dinge nichts anderes als beliebiger Kram. Beim Nachdenken gelangt man jedoch zur Frage nach der ästhetischen Verantwortung eines Urhebers. Ohne die Prämisse, dass ein Werk mit Bedacht geschaffen wurde, funktioniert das Ganze nicht. Kunst benötigt die Unterstellung eines intendierenden Autors.
Misselhorn fasst die Dinge in drei Kriterien zusammen, die sie als Grundbestandteile einer Kunstdefinition vorschlägt. Erstens muss ein Kunstwerk eine Bedeutung verkörpern. Diese besteht, zweitens, in einem Gehalt höherer Ordnung, der die spezifische Sichtweise eines Urhebers auf die Welt zum Ausdruck bringt. Drittens schließlich muss das Verständnis dieses Gehalts höherer Ordnung von der Akzeptanz der Kunstwelt begleitet werden.
Welche dieser Kriterien treffen nun auf KI-Werke zu? Zunächst gilt es zu unterscheiden, ob von vollständig KI-generierten oder mit KI-Unterstützung entstandenen Bildern die Rede ist. Die Differenz macht sich daran fest, ob beim Entstehen maßgeblich ein Künstler/Autor beziehungsweise eine Künstlerin/Autorin involviert war. Es geht um die Werkintention. Eine Maschine hat, bislang jedenfalls, keine eigene, autonome Absicht. Die Tatsache, dass im Vorfeld bei der Programmierung der KI-Algorithmen ein Mensch beteiligt war, spielt im Übrigen keine Rolle. Bei vollständig KI-generierten Bilder ist die Lage eindeutig. Einen benennbaren Autor gibt es nicht.
Einen Kunstbegriff, der herkömmliche Merkmale wie Schönheit, gestalterische Perfektion oder filigrane Techniken in das Zentrum der Beurteilung stellt, wies schon Danto als unzureichend zurück. Aber die Erfüllung gerade solcher Kriterien kann von KI-Bots auf der digitalen Erscheinungsebene recht gut simuliert werden, wenn sie anhand vieler Abbildungsdaten etablierter Kunstwerke nur ausreichend trainiert worden sind. Das reicht aber nicht aus. Für die Anerkennung eines Werkes als Kunst bedarf es eines identifizierbaren Verantwortungsträgers. Genau dies ist bei der Künstlichen Intelligenz nicht unbedingt der Fall. Wenn die Beurteilung der Qualität eines Werkes von der Antwort auf die Frage abhängt, wer es geschaffen hat und welche Intentionen hinsichtlich eines Gehalts höherer Ordnung verfolgt wurden, scheiden KI-Werke ohne Autor deshalb aus. Hier zu differenzieren, fällt jedoch immer schwerer.
Heute ist die Wahrnehmungspraxis bei digital erzeugten Werken dadurch gekennzeichnet, dass ein Autor nicht mehr so eindeutig identifizierbar ist wie noch bei der klassischen Kamerafotografie. KI-Bilder können zwar den Eindruck eines hypothetischen Urhebers erwecken. Diesen gibt es jedoch gar nicht in jedem Fall. Benötigt wird deshalb ein Hintergrundwissen hinsichtlich der Entstehung eines Bildes und des Ausmaßes der Beteiligung einer Maschine.
Relevant sind solche Überlegungen für fotografieähnliche Werke, die mit Hilfe von Bildgeneratoren wie Midjourney, Stable Diffusion oder DALL-E entstanden sind. Hier werden per Sprachbefehl Kommandos eingegeben und die KI liefert ein dazu passendes Bild. Misselhorn nennt dies promptgenerierte Kunst. Wobei der Kunstbegriff unter Vorbehalt steht. Denn kann, nach den oben genannten Kriterien, hier noch von einem benennbaren Urheber mit ästhetischer Verantwortung gesprochen werden? Oder hat die Maschine das Kommando übernommen? Auch hier gilt es zu unterscheiden: Handelt es sich um einen allgemein gehaltenen Promptbefehl, der von einer Maschine in ein überraschendes Bild umgesetzt wird? Oder sind es ausführliche Prompteingaben eines personifizierbaren Akteurs mit mehreren Durchläufen, die korrigiert und präzisiert werden? Je nachdem ist der Ergebnisanteil des Autors unterschiedlich zu bewerten.
An dieser Stelle lässt sich als Zwischenüberlegung auf den Gedanken der Konzeptkunst zurückgreifen. Demnach wäre nicht allein das Ergebnis relevant, sondern vielmehr der gesamte Prozess der Werkentstehung einschließlich seiner Vorbereitung, hier in Gestalt von Prompteingaben. Anwenden lassen sich solche Überlegungen auf die Bilder von Boris Eldagsen, der die fotografische Szene vor wenigen Jahren beunruhigt hatte. Dessen Bild Pseudomnsesia wurde von einem etablierten Fotowettbewerb mit einem Preis ausgezeichnet, bis Eldagsen diesen mit dem Hinweis ablehnte, es handele sich nicht um eine Kamerafotografie, sondern um ein KI-Produkt. Die fotografische Szene fühlte sich ein wenig brüskiert. Aber heißt das auch, dass Eldagsens Bild keinen Kunstwert an sich hat? Er selbst schätzt seinen Eigenanteil an der Entstehung laut Misselhorn auf 50 bis 80 Prozent. Der Rest sei der KI-Maschine zuzurechnen. Wendet man die Idee der Konzeptkunst an, ließe sich der gesamte Prozess von der Prompteingabe bis zum ausgespuckten Ergebnis insgesamt als Werk zusammenfassen. Bei Pseudemnesia könnte es sich somit um Kunst handeln.
Es ist Misselhorn bei der Feststellung zuzustimmen, dass es sich bei vielen Bildern, die mit Bildgeneratoren erstellt wurden, nicht um eine solche Konzeptkunst im engeren Sinne handelt. Geht es nur um die fixe visuelle Umsetzung eines textlichen Kurzbefehls, kann von einer wirksamen Autorenschaft nicht die Rede sein. Die Maschine macht, was sie will. Bei den Bildern Eldagsens ist das offensichtlich anders. Hier war nicht ein Maschinenalgorithmus unkontrolliert tätig, sondern der Autor war am Spiel maßgeblich beteiligt. Das Ergebnis ist demnach potentiell kunstfähig. Ob Eldagsens Werke aber nun als Konzeptkunst einzuordnen sind oder autonom für sich selbst stehen, soll hier offenbleiben.
Argumentationsmuster mit Bezug auf technische Entstehungsbedingungen eines Bildes wurden im Übrigen schon früher verwendet, um die Fotografie als Ganzes vom Kunstdiskurs auszuschließen. Die Thesen waren meist mechanistisch geprägt und konzentrierten sich im Kern auf die Tatsache der Betätigung des Kameraauslösers. Eine Berücksichtigung der bewussten Bildgestaltung, sowohl inhaltlich wie optisch, blieb aus. Dem kann jedoch entgegengehalten werden, dass allein durch den Druck auf den Auslöser ein Urheber beziehungsweise eine Urheberin verantwortlich zeichnet. Warum wurde gerade in diesem Augenblick fotografiert? Die Frage ist nicht so banal, wie sie vielleicht klingt. Wenn eine Fotografie mit Bedacht erstellt wird und dahinter eine erkennbare Absicht steht, handelt es sich nicht um ein rein maschinelles Produkt. Stets zeichnet ein Urheber oder eine Urheberin verantwortlich. Zur Kunst wird das aber deshalb noch nicht. Für eine solche Realisierung bedarf es der Aufnahme in die Artworld. Es muss ein adäquater Präsentationskontext hinzukommen, damit einer Fotografie das Label Kunst verliehen wird. Dazu gehören eine Galerie oder das Museum ebenso wie Urteile von Kunstkritikern und Beiträge in Zeitschriften und im Feuilleton.
Kriterien wie die von Misselhorn vorgeschlagenen mögen für manche unbefriedigend sein, da Werke aus dem stillen Kämmerlein ausgeschlossen sind und kaum der Kunst zugerechnet werden können. Man/frau mag da noch so tolle Fotos machen, aber sie bleiben privatissime. Gleichwohl, die Thesen von Misselhorn sind realistisch. Kunst an sich gibt es nicht. Am Ende steht die Erkenntnis, dass Kunst das ist, was vom Kunstmarkt als solche anerkannt wird. Eine bessere Definition ist gegenwärtig nicht zu haben. In künftigen Zeiten tritt die Bedeutung eines verantwortlichen Autors und eines höheren Sinnangebotes vielleicht zurück. Dann mag auch autonomes KI-Zeug als Kunst definiert und vom Markt inkorporiert werden. Die schöne neue Welt eben.
Das Buch Künstliche Intelligenz - das Ende der Kunst? von Catrin Misselhorn ist bei Reclam erschienen.