Der Fotoapparat als Krempel

Die Hersteller von Kameras sind nicht zu beneiden. Gab es einst einen riesigen Amateurmarkt, der zuverlässig mit allerlei Apparaten versorgt sein wollte, sind die taschengeeigneten Kleinkameras nahezu vollständig verschwunden. Und warum gar ein schweres schwarzes Ding mitschleppen, wenn sich für den Erinnerungsbedarf ein ähnliches Ergebnis mit dem Smartphone erzielen lässt. Auch große Kameras sind eine Nebensache geworden. Wenn mit ihnen überhaupt noch ein nennenswerter Umsatz erzielt werden soll, müssen neben den Profis, die auf taugliches Gerät angewiesen sind, die ambitionierten Freizeitfotografen angesprochen werden. Da Skalierungseffekte durch die Produktion großer Mengen weggefallen sind, werden die Kameras aber immer teurer.

Umso mehr müssen Argumente offeriert werden, warum das neueste Gerät tausendmal besser ist das Vorgängermodell und man/frau eigentlich nur damit vernünftig fotografieren kann. Ob die Produkte allerdings Jahr für Jahr wirklich signifikant besser und kundenfreundlicher werden, ist eine andere Frage. Vielmehr zeichnet sich eine Entwickelung ab, die sich mit Gabriel Yoran als Verkrempelung bezeichnen lässt. Wir nutzen Dinge, die wir schon morgen nicht mehr haben wollen, weil etwas Neues lockt. Weg mit dem alten Kram.

Schlechte Kameras gibt es heute kaum noch. Es bleibt zwar relevant, ob ein professionelles Werbefoto im Plakatformat oder ein privates Erinnerungsbild gefordert ist und sich daraus Bedingungen für das einzusetzende Gerät ergeben. Aber gute Fotografien lassen sich mit fast allen Kameras erstellen. Schlechte übrigens auch. Die Hersteller stehen deshalb unter dem Wettbewerbsdruck, die Einzigartigkeit ihres Produktes herauszustreichen. In den Vordergrund rücken häufig Markenwerte. Gilt ein Hersteller als angesagt, cool oder weist einen traditionsreichen Nimbus auf wie etwa Leica, aber auch Nikon und Canon, ist er schon einmal im Vorteil, gerade auch, weil deren Zielgruppen nicht immer identisch sind. Technische Produktunterschiede können hingegen meist nur noch im Labor aufgezeigt werden und sind für den nichtprofessionellen Nutzer in der Praxis kaum von Bedeutung. Natürlich gibt es unterschiedliche Anforderungen. Der Sportfotograf bevorzugt eine andere Ausrüstung als der Reisende oder der Wildtierfreund, aber das meiste Geld wird im Produktbereich Fotografie im Segment jenseits der Spezialisten verdient.

Soll der Umsatz immer wieder neu angekurbelt werden, muss dem Kunden Jahr für Jahr ein wesentlicher Fortschritt der Technik suggeriert werden. Altes soll schließlich durch Neues ersetzt werden. Gabriel Yoran hat die Folgen in dem Buch Die Verkrempelung der Welt auf den Punkt gebracht. Je verzweifelter das Vorgängerprodukt übertrumpft werden muss, desto Krempel. Wir kaufen Produkte, die wir eigentlich gar nicht benötigen. Es findet, so Yoran, eine stetige Fortschrittssimulation, teilweise mit Scheininnovationen, statt. Dies zeigt Wirkung. Und so gibt es nicht nur eine eingeplante technische Obsoleszenz, die die physische Haltbarkeit der Apparate begrenzt, sondern vor allem eine psychologische Obsoleszenz, deren Wirkung wir erliegen. Der Verbraucher hält das bisherige Gerät für veraltet und will Neues. Die Dinge werden jedoch nicht unbedingt besser. Insbesondere immer komplexer werdende Bedienfunktionen suggerieren einen Fortschritt, der den Praxisgebrauch aber nicht unbedingt erleichtert.

Die Softwareabhängigkeit vieler technischer Geräte spielt eine wesentliche Rolle. Die Kamerahardware ist relativ ausgereizt und kann nur noch millimeterweise Fortschritte verzeichnen. Lediglich die Entwicklung der Sensoren wird weiterhin eine Rolle spielen. Entscheidend sind eher die Programme der Kamerachips, die wie ein Interface zwischen Gerät und Nutzer wirken. Und da muss im praktischen Einsatz erst einmal eine IT-affine Bereitschaft eingebracht werden. Bei der ersten Inbetriebnahme einer neuen Kamera macht man das noch mit, später werden die teilweise unübersichtlichen Menüfunktionen hingegen selten beachtet. Eine Nikon-Studie hatte schon 2012 gezeigt, dass nur wenige Nutzer die komplexen Angebote regelmäßig anwählen. Canon stellte etwas später fest, dass selbst bei den Semiprofis nur eine Minderheit diese Möglichkeiten nutzt. Und in einer DPReview-Umfrage gab eine Mehrheit an, differenzierende Menüpunkte nie oder kaum anzusteuern. Hinzu kommt das Thema der frei belegbaren Funktionstasten der Kamera. Auch hier zeigt sich meist eine eklatante Unternutzung der potentiellen Möglichkeiten. Kurz, die Komplexität moderner Kameras hat für die Mehrheit der Nutzer den Charakter eines Überangebotes und lässt sich nur mit Innovationsversprechen seitens der Hersteller erklären.

Wer an der ursprünglichen Idee des Fotografierens aus analoger Zeit orientiert ist, findet sich bei den Computerkameras nicht so recht wieder. Das soll aber nicht beklagt werden. Jede Zeit hat ihre Technik, und jede grundsätzliche Kritik an der Digitalisierung wäre verfehlt. Es geht lediglich darum, die Mechanismen zu beleuchten, die hinter den Marketingstrategien der Hersteller, aber auch unseren Erwartungen und sozial konstruierten Bedürfnissen stecken. Eine progressive Warenkunde, so Yoran, müsste sich mit der Tatsache befassen, dass viele Produkte nicht zuletzt psychologische und soziale Funktionen erfüllen, die ihnen von außen zugeschrieben werden.

Die großstädtischen Stores von Leica, ähnlich denen von Apple, bilden die Avantgarde eines um Besonderheit bemühten Marketings. Die Produkte werden gediegen präsentiert und stellen klar, dass die Dinge nicht in jedem x-beliebigen Kramladen zu kaufen sind. Die Kundschaft fühlt sich aufgewertet. Dahinter stehen die von Yoran benannten psychologischen und sozialen Mechanismen. Schon Pierre Bourdieu hatte auf die Bedeutung der feinen Unterschiede hingewiesen. Wir neigen dazu, unser Konsumverhalten an einem exklusiven Status der Produkte zu orientieren, und fürchten am Leben zu scheitern, wenn wir dem nicht folgen. Die Sorge ist, so Yoran, man/frau könne nicht wirklich ich selbst sein, wenn meine Bedürfnisse unbefriedigt blieben oder, schlimmer noch, wenn ich nur haben kann, was alle haben. So wird auch die Kamera als Distinktionsobjekt zum Statussymbol. Verführbarkeiten werden verdrängt, und die Verkrempelung der Produkte spielt kaum eine Rolle. Selbst eine Leica M10 wird so vor dem Hintergrund der M11 zum überholten Produkt von gestern. Bessere Fotos entstehen damit aber noch lange nicht.

Die Dinge, mit denen wir uns umgeben, werden auf eine Art Teil von uns. Wir erkennen Menschen auch an ihrem Geschmack und identifizieren sie mit den Waren, die sie konsumieren, so Yoran. Schon Andreas Reckwitz hatte in Die Gesellschaft der SingularitätenÄhnliches beschrieben. Wir wollen etwas Besonderes sein und uns vom kollektiven Herdentrieb abgrenzen. Das jeweils neueste Produkt soll dabei helfen. Wir kuratieren unser Leben und wollen dessen Einzigartigkeit zur Schau stellen. Exklusive Geräte aus den Bereichen Auto/Fahrrad, Grill, Espressomaschinen und auch Kameras können dazu beitragen. Männliche Identitätsbemühungen scheinen dabei eine besondere Rolle zu spielen. Aber das ist ein anderes Thema.

Das erwähnte Buch Die Verkrempelung der Welt. Zum Stand der Dinge (des Alltags) von Gabriel Yoran ist bei Suhrkamp erschienen und kurzweilig zu lesen.

 

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Die Debatte um Karl Hofer