Künstliche Intelligenz oder überschätzte Maschine

Mit dem Auftauchen von Textgeneratoren wie ChatGPT oder der Bildsoftware DALL-E breitete sich eine Aufregung aus, als ob es sich um Teufelszeug zur Infragestellung des menschlichen Intelligenzparadigmas handelt. Manche befürchten einen Geist aus der Flasche, der sich jeglicher Kontrolle entzieht. Eine neue Stufe des kulturellen Niederganges scheint erreicht. Die Maschine dringt in die Sphäre kreativer Schöpfungen ein.

Einer solchen Sichtweise liegt nicht selten das unbestimmte Gefühl einer narzisstischen Verletzung zugrunde. Schließlich galt es bislang als ausgemacht, dass insbesondere das Konstrukt Intelligenz geeignet ist, die Eigenart der Spezies Mensch und nicht zuletzt dessen vermeintliche Überlegenheit gegenüber anderen Lebensformen zu beschreiben. Und nun kommt da eine Maschine und stellt genau diese Einzigartigkeit infrage. Könnte das Ergebnis vielleicht sogar überzeugender ausfallen als das des Originals? Angst essen Seele auf. Leute, die mit dem Schreiben von Texten ihr Geld verdienen, befürchten, nicht ganz zu Unrecht, finanzielle Einbußen oder gar die eigene Überflüssigkeit. Fotografen und Bildagenturen prüfen rechtliche Klagen, um zu unterbinden, dass ihre Werke von gierigen Maschinen als Datenfutter für eigene Produkte genutzt werden. In Schulen und Universitäten wächst die Furcht vor rechnergenerierten Hausarbeiten. Und immer wieder die Ahnung der Verletzlichkeit bisheriger Bestimmungen zum Urheberschutz: Wer irgendetwas ins Netz stellt, muss davon ausgehen, dass es von fixen Softwaregiganten ausgeschlachtet und für eigene merkantile Zwecke genutzt wird. Darüber hinaus breitet sich eine allgemeine Furcht vor unverifizierten oder unzulässigen Informationen jeglicher Art aus. Das Gerede vom postfaktischen Zeitalter trifft auf offene Ohren.

Auf der anderen Seite wimmelt es von Positivbildern. Endlich werden auch die anspruchsvollsten Verheißungen der technischen Zivilisation Wirklichkeit, der es seit der industriellen und der digitalen Revolution erklärtes Ziel ist, anstrengende Arbeiten an Maschinen zu delegieren. Nun ist der Zeitpunkt erreicht, an dem sich selbst das mühsame Geschäft kreativer Hervorbringungen per Apparat und Tastenbefehl erledigen lässt. Mach mir ein Gedicht, das sich irgendwie mit Corona befasst und nach Paul Celan klingt! Oder schaff mir eine Bildcollage im Stil von Hannah Höch zum Thema Erderwärmung! Oder eine Komposition, die wie eine Mischung aus Johann Sebastian Bach und den Toten Hosen klingt! Alles ist möglich und alles funktioniert. Die Ergebnisse sind häufig selbst von ausgewiesenen Fachleuten nicht als Maschinenprodukte erkennbar. Fake oder Nichtfake, egal! Die Bandbreite postmoderner Beliebigkeiten ist noch längst nicht vollständig ausgelotet. Computergenerierte Phantasieprodukte sind da genauso viel oder wenig wert wie alles andere.

Ob es nun das Szenario vom Untergang des Abendlandes ist oder das vom unbegrenzten, etwas naiven Kreativrausch, beide Phantasmen gehören in die Kiste unreflektierter Projektionen. Angst und Lust erweisen sich einmal mehr als Zwillingsschwestern. Versteht man sie jedoch als nahezu notwendige Begleiterscheinungen des Auftauchens künstlicher Intelligenzmaschinen, lassen sie sich entmystifizieren. Hanno Rauterberg hat dazu mit dem Essayband Die Kunst der Zukunft. Über den Traum von der kreativen Maschine einen wertvollen Beitrag geleistet.

Zwar ist es keine neue Erscheinung, dass Computer als Hilfsmittel Bildender Künstler oder Komponisten eingesetzt werden, neu ist jedoch der Gedanke, die Maschine könne so etwas wie einen eigenen Willen oder gar eine Seele entwickeln. Schließlich galt es bislang als ausgemacht, dass ein Computer nur das tut, was ihm zuvor durch Algorithmen aufgetragen wurde. Dazu Rauterberg: „In der Digitalmoderne wandelt sich der Status der künstlichen Intelligenz: Sie soll nun weit mehr sein als nur der Spielgefährte der Künstler, sie soll sich emanzipieren. Eben war sie noch ein Instrument, jetzt traut man ihr zu, dass sie selber weiß, was Kunst bedeutet“ (S. 15f.). Natürlich gehen solche Erwartungen zu weit. Keine Maschine weiß, was Kunst ist. Aber seien wir ehrlich, den meisten Menschen ergeht es, so Rauterberg, nicht anders. Und es lassen sich weitere Beispiele dafür finden, dass die Unterschiede zwischen menschlicher und maschineller Phantasie bzw. Intelligenz vielleicht gar nicht so groß sind, wie manche glauben möchten.

Biowissenschaftler und Kognitionsneurologen betonen, dass jegliches menschliche Denk- und Handlungsverhalten das Ergebnis vorangegangenen Lernens und entsprechender Reizimpulse ist. Auch wenn noch nicht ausreichend erforscht sein mag, wie die Prozesse im Detail funktionieren, so etwas wie einen gänzlich freien Willen oder eine bedingungslose Individualität gibt es nach dieser Auffassung jedenfalls nicht. Rauterberg zitiert als Anhänger der These den Neurowissenschaftler Matthias Bethge, der davon ausgeht, dass auch maschinelles Lernen alle Merkmale von Kreativität zeigt. Es „sammelt Erfahrungen, analysiert Strukturen, löst sich dann von der Vergangenheit und schafft auf dieser Basis etwas Neues, Überraschendes. Anders macht das ein kreativer Mensch auch nicht“ (S. 26). Hinzu kommt, dass sich selbst die Ergebnisse künstlicher Intelligenzleistungen nicht immer rekonstruieren lassen. Sowenig, wie ein Künstler stets eine Antwort auf die Frage parat hat, wo die Wurzeln und Voraussetzungen eines kreativen Schaffensprozesses liegen, genauso wenig lässt sich bei maschinellen Vorgängen mitunter nachvollziehen, auch nicht vom System selbst, wie ein Ergebnis zustande gekommen ist. Es verwundert deshalb nicht, dass sowohl in der Literatur wie in der Bildenden Kunst und der Musik maschinell erzeugte Produkte häufig weder vom Publikum noch von Fachexperten als solche erkannt werden.

Natürlich lässt sich einwenden, dass wir einfach noch nicht genug darüber wissen, wie menschliches Denken funktioniert, und Maschinenprozesse nicht ausreichend detailliert protokolliert sind. Rauterberg beschreibt die Intentionen der Programmierer jedoch ein wenig profaner. Es gehe diesen nicht darum, „in naher Zukunft eine mathematische Formel für Inspiration oder ein neuronales Netz mit menschenähnlichem Selbstbewusstsein zu finden“ (S. 30). Vielmehr werde mit Suggestionen gearbeitet: „Ihre Maschinen erzeugen bildliche, klangliche, sprachliche Effekte, und solange diese als eindrucksvoll und kunsthaft gelten, wähnen sie sich auf dem richtigen Weg“ (ebd.). Mit Worten aus der aufgeklärten, postmodernen Gegenwart: Der Schein macht das Bewusstsein.

Genau hier scheint nun allerdings, dialektisch gewendet und unabhängig von postmodernen Ontologiefragen, ein Schlüssel zu liegen, um auch weiterhin an einer Differenz zwischen menschlichen und maschinellen Phantasieprodukten festzuhalten. Letztere können lediglich aus Analysen des Vorangegangenen geschaffen werden, aus dem sie neue, gefällige, dem Publikumsgeschmack entsprechende Dinge kreieren. Eine wirklich innovative Kreativität hingegen ist eher schwach ausgeprägt. Für Rauterberg wäre es aber auch naiv, etwas anderes für möglich zu halten. „Kein Forscher wird von einem Algorithmus ernsthaft erwarten, dass er das Unvorhergesehene entstehen lässt, sich seinem einprogrammierten Auftrag widersetzt oder andere Formen einer Negativität entwickelt, wie sie so typisch sind für das klassische Bild der Avantgarde, die meist als autonom, radikal und verstörend gedacht wurde“ (S. 39). Allerdings stellt sich, ebenfalls mit Rauterberg, die Frage, „ob es darauf eigentlich ankommt“. Eine hochmütige Verteidigung menschlicher Intelligenz- und Phantasieleistungen scheint beim Nachdenken über solche Überlegungen jedenfalls nicht angebracht. Im Übrigen wird es im Zeitalter des anything goes immer weniger Autonomes, Radikales oder Verstörendes geben, das es bislang so oder so ähnlich noch nicht gegeben hat. Wer glaubt, originell zu sein, weiß schlichtweg zu wenig vom bereits Vorhandenen. Maschinen sind da potentiell klüger.

Rauterbergs Essay behandelt zahlreiche weitere Fragen rund um die Künstliche Intelligenz, nicht nur in der Kunst. So etwa deren Manipulationspotentiale, die sich aus der immer komplizierter werdenden Unterscheidbarkeit von Fakes und Non-Fakes ergeben. Damit zusammenhängend eröffnen sich einige grundsätzliche ontologische Fragen hinsichtlich des Wesens von Realität bzw. deren Abbildung. Hinzu kommen Anmerkungen zur kapitalistischen Warenlogik der Softwareindustrie und nicht zuletzt des Kunstbetriebs, dann auch zur Ubiquität des Digitalen in einer Gesellschaft mit Kontrollwahn oder zur Aufhebung der Differenz von Öffentlichkeit und Privatheit im Zeitalter Sozialer Medien. Die Kunst der Zukunft. Über den Traum von der kreativen Maschine ist in der edition suhrkamp erschienen und unbedingt lesenswert.

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