Karl Lagerfeld in Halle

Nach coronabedingter Unterbrechung von mehr als zwei Monaten ist im Kunstmuseum Moritzburg die Retrospektive Karl Lagerfeld. Fotografie wieder zu sehen. Rund vierhundert Aufnahmen des im vergangenen Jahr verstorbenen Modeschöpfers, barocken Paradiesvogels und nach Auffassung einiger Kritiker künstlerischen Universalgenies werden in der eigens für Halle konzipierten und produzierten Schau gezeigt. Geplant war das Ganze noch unter Lagerfelds Mitwirkung.

Die Ausstellungsmacher machen keinen Hehl aus ihrem Stolz, dass es sich weltweit um die erste Retrospektive dieser Art handelt. So wie Lagerfeld den Menschen Kleidung auf den Leib geschneidert hat, haben wir diese Ausstellung unserem Museum wie ein Haute-Couture-Kostüm angelegt, erklärte sein Direktor. Und eine Zeitung fasste zusammen: Mehr Lagerfeld gibt es nicht in Deutschland. Das mag so sein, und dennoch verbleiben bei kritischer Distanz einige Fragezeichen. Ein Genie der Fotografie? Oder ein Genie der hier und dort ein wenig bemüht wirkenden Selbststilisierung mit dandyhaften Obertönen?

Besucher der Moritzburg werden im Innenhof mit großen Selbstportraits Lagerfelds empfangen, alle versehen mit seinem Markenzeichen, der Sonnenbrille, dem schwarzweißen Outfit und dem Mozartzopf. Alles ist inszeniert, warum auch nicht? In gewisser Weise wird man so auf den Grundtenor der Ausstellung eingestimmt. Das Thema ist Lagerfeld selbst, erst dann kommt das fotografische Werk. Ein solches weist allerdings als Anlass einer Fotoausstellung in der Regel eine Bedeutung sui generis auf. Aber da darf man in diesem Fall ein paar Zweifel hegen. Zwar wird von freundlichen Kritikern betont, dass Lagerfeld nicht nur Modedesigner, sondern auch Buchverleger, Filmregisseur und herausragender Fotograf gewesen sei und über ein reiches Repertoire intuitiver und kreativer Ausdrucksmöglichkeiten verfügt habe, aber dass er sich, wie die Kulturstiftung Sachsen-Anhalt formulierte, jederzeit und in jedem künstlerischen Medium gültig ausformulieren konnte, erscheint dann doch ein wenig hochgegriffen. Dass man im Rahmen einer noch zu Lebzeiten des Künstlers vereinbarten Retrospektive auf kritische Reflexionen und Einordnungen verzichtet, ist jedoch nachvollziehbar. Spätere Generationen werden da ihre eigenen Urteile fällen.

Lagerfeld nahm ab 1987 die fotografische Präsentation seiner Modeschöpfungen in die eigene Hand und produzierte Werbekampagnen für Marken wie Chanel und Fendi. Auch die Editorial-Shoots für Vogue, Harper’s Bazaar, Numéro oder V Magazine gehören in diesen Kontext. Parallel dazu schuf er freie Fotoserien, die in gewisser Weise eine künstlerische Umrahmung darstellen. Hier geht es nicht mehr um die Haute-Couture-Modefotografie, sondern, häufig intellektuell ein wenig überhöht, um Landschaften, Abstraktionen, Portraits und immer wieder theatralische Inszenierungen verschiedener Provenienz. Freundliche Kommentatoren wollen dabei ein souveränes Spiel mit Themen und Positionen aus Kunst und Literatur diverser Epochen voller Anspielungen und Reflektionen wahrgenommen haben. Bezüge zu Oscar Wilde, Eduard von Keyserling, Lyonel Feininger, Edward Hopper, Fritz Lang oder Edward Steichen werden genannt. Nun ja.

Wir sehen viel Zwiespältiges und, sorry, altmodisch Wirkendes, man könnte auch sagen Altbackenes. Die Modefotografien mit eindrucksvoll in Szene gesetzten Arrangements, etwa die mit Claudia Schiffer, mögen als Dokumente zeitgenössischer Modekultur ja noch angehen. Und dennoch, die großformatigen, auf durchsichtigem Leinen gedruckten Bilder, deren raumfüllende Installation man mit steil nach oben gerichtetem Blick durchschreitet, lösen kaum eine emotionale Beteiligung aus. Technisch gut gemacht, fällt einem da ein. Die Serie Daphnis und Cloe hingegen empfinden wir nur noch als kitschig wie leicht schlüpfrige Postkarten aus der Zeit um 1890, und die Überhöhung einiger im abgedunkelten Raum gezeigter Daguerreotypien und Platinotypien als Masterprints Karl Lagerfelds ist nicht ohne historienverliebtes Pathos. Wir verzichten auf weitere Beschreibungen. Die Website des Kunstmuseums Moritzburg vermittelt einen Eindruck der verschiedenen Themengruppen der Ausstellung.

Als hätten wir es mit einem Meister zu tun, dem in der Geschichte der Fotografie schon jetzt ewiger Ruhm gebührt. An Aufwand hat man es jedenfalls nicht fehlen lassen. Alles wirkt sorgfältig durchdacht bis hin zur Qualität der vielen großformatigen Prints. Und dennoch bleibt ein etwas schaler Geschmack. Eine erkennbare Handschrift, eine durchgängige Geschichte, eine Botschaft vermisst man ein wenig. Der gemeinsame Nenner der meisten Fotografien ist nun einmal die Inszenierung. Lebendige Menschen gibt es in Lagerfelds fotografischer Welt nicht. Das Künstliche mag als vielseitig und tiefsinnig empfunden werden, aber alles wirkt latent emotionsfrei, irgendwie beliebig und in exaltierter Weise auf Wirkung bedacht. Gleichwohl schwingt eine gewisse Sympathie mit, nicht zuletzt, weil Lagerfeld einmal freimütig bekannte: Ich habe das Glück, im Leben das tun zu können, was mich am meisten interessiert: Fotografie, Mode und Bücher, und dies unter den besten und perfektesten Bedingungen. Genau dieses Perfekte aber mag der Grund für einige der subjektiv empfundenen Ambivalenzen sein. Alles mit großem Aufwand Hergestellte trägt nun einmal dazu bei, die Frage nach der Bedeutung der Inhalte nebulös werden zu lassen. Dies gilt insbesondere für jede Form pathetischer Fotografie, bei der man stets den unterschwelligen Ruf Ich möchte Kunst sein zu vernehmen meint. Vielleicht aber sollte man der Schau die Chance eines zweiten Besuches geben, um diesen eher zurückhaltenden Spontaneindruck noch einmal auf den Prüfstand zu stellen.

Kuratoren der Ausstellung waren der frühere Mitarbeiter Lagerfelds und Art Director Eric Pfrunder sowie der Verleger Gerhard Steidl, die gemeinsam mit dem Meister die Schau vorbereiteten. Der Steidl Verlag ist es auch, der über viele Jahrzehnte einen Großteil der nahezu fünfzig Fotobücher Lagerfelds veröffentlichte bis hin zum Katalog, der anlässlich der Ausstellung erschienen ist.

Abschließend ein Wort zur Moritzburg, die Ende des 15. Jahrhunderts als Residenz der Magdeburger Bischöfe errichtet worden war. Die in Teilen zerstörte Bausubstanz wurde zu Beginn des 21. Jahrhunderts gesichert und durch architektonisch sehr gelungene Neubauelemente ergänzt. Heute zeigt das Museum neben den wechselnden Sonderausstellungen wichtige Exponate der Moderne und bemüht sich insbesondere um eine Reflexion der Kunst in der DDR. Sehenswert! Während der coronabedingten Schließung wurde im Übrigen die Zeit genutzt, um eine im Web abrufbare Präsentation von Teilen der Sammlung zu erstellen.

Die Retrospektive Karl Lagerfeld. Fotografie im Kunstmuseum Moritzburg in Halle an der Saale ist noch bis zum 6. Januar 2021 zu sehen. Genügend Zeit also für einen weiteren Besuch. Auch das Flanieren durch die Altstadt mit ihrem attraktiv sanierten Baubestand lohnt übrigens immer.

Zurück
Zurück

Vom Großen und vom Kleinen. Der EMOP in Berlin

Weiter
Weiter

Und die Schlossherren schweigen