In memoriam Straßenfotografie

Die Ausstellung Street. Life. Photographie in den Hamburger Deichtorhallen wirkt wie eine Reminiszenz an die Vergangenheit, als noch relativ unbekümmert im öffentlichen Raum fotografiert werden durfte. Wer diese Bilder aus den letzten siebzig Jahren Revue passieren lässt, wird sich von einem nagenden Verlustgefühl kaum freimachen können. Vieles von dem, was hier gezeigt wird, geht heute schlichtweg nicht mehr. Sowohl das Recht am eigenen Bild wie auch die neue Datenschutzverordnung bürden der klassischen Straßenfotografie Hemmnisse auf, die das Genre zwangsläufig zur Gattung einer aussterbenden Art werden lassen.

Die Ausstellung in den Deichtorhallen belegt noch einmal den kulturhistorischen Wert der Straßenfotografie. Menschen, die sich meist unbeobachtet fühlten, zeigten etwas von ihrem Alltagsleben, und so entstand Bild für Bild ein kleinteiliges Puzzle der Jahrzehnte. Solche fotografischen Kaleidoskope wird es künftig nicht mehr geben. Mancher mag zwar weiterhin mit der Kamera das Ungestellte des Straßenlebens festhalten, aber in der Regel werden die Bilder anschließend kaum noch den Weg in die Öffentlichkeit finden. Viele einschlägige Blogs im Internet belegen das schon heute auf drastische Weise. Da werden die Menschen nur noch von der Rückansicht gezeigt, die Köpfe werden abgeschnitten oder man rettet sich in eine ausreichende Unschärfe, um auf diese Weise die Identifizierbarkeit zu vermeiden. Stattdessen nimmt die inszenierte Straßenfotografie rasant zu. Die Selfieideologie wird zum neuen Maßstab.

Wer sich unter heutigen Bedingungen auf der Straße fotografieren lässt, äußert sein Einverständnis, wenn schon nicht schriftlich, das wird auch in Zukunft eher die Ausnahme bleiben, so doch implizit durch das Posing, das er vor der Kamera zeigt. Das so entstandene Bild sagt zwar durchaus einiges über die gegenwärtige Sozialkultur aus, aber es sind andere Botschaften als die der früheren, unbemerkten Straßenfotografie. Das für den Attraktivitätsmarkt inszenierte Bild hat das ungestellte, dokumentarische verdrängt. Übrigbleiben werden Werbebildchen angestrengter Egomanen im Singularitätswettbewerb. Seht her, wie toll ich bin! Die ehemalige Straßenfotografie werden wir in den kommenden Jahren hingegen als erstaunliches Überbleibsel einer naiven Zeit betrachten, in der die individuelle Präsentation in der Öffentlichkeit noch selbstbewusst davon ausging, dass man von anderen wahrgenommen und in der Regel auch fotografiert werden durfte.

Die Ausstellung Street. Life. Photographie in den Deichtorhallen läuft noch bis zum 7. Oktober 2018 und ist vor dem Hintergrund des Artensterbens unbedingt zu empfehlen.

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Projektionen, Bedrohung und Poesie