Fotografen im Panikmodus
Die Wunderdinge aus den Werkstätten der Künstlichen Intelligenz rufen nicht nur Erstaunen und Applaus hervor, sondern lösen auch allerlei Befürchtungen aus. ChatGPT ist deswegen seit einigen Monaten allgegenwärtiger Gesprächsstoff. Ähnliches gilt für die Welt der KI-Bilder. Auch hier lassen sich mit wenig Aufwand erstaunliche Werke erschaffen, die mal beeindrucken, mal verstören. Die Grenzen zwischen virtuellen und realen Bildwelten sind für den Laien immer weniger erkennbar.
Gemeinsam ist allen Kreativmaschinen, gleich ob im textlichen oder visuellen Bereich, dass sie mit Daten angefüttert werden müssen. Um lernen und eigenständig Dinge erschaffen zu können, benötigen sie Unmengen an Informationen, die auf Werke menschlicher AutorInnen, MalerInnen und FotografInnen zurückgehen. Die Web-Welt ist der Steinbruch, der von den KI-Maschinen durchforstet wird, um das Rohmaterial für Neuschöpfungen herbeizuschaffen.
Es war nur eine Frage der Zeit, bis einige KünstlerInnen auf die Idee kamen, an den maschinellen Phantasieprodukten partizipieren zu wollen. Fix wurden rechtliche Argumente konstruiert, um die Forderung nach Entrichtung einer Art Lizenzgebühr zugunsten derjenigen zu begründen, deren Werke in Form von Daten aus dem Web herausgefischt und zum Anfüttern genutzt werden. Hübsch gedacht und irgendwie nachvollziehbar. Schließlich wollen auch Künstlerinnen und Künstler ihre Kühlschränke füllen. Ob der Ansatz nicht dennoch ein wenig naiv ist, bleibt eine andere Frage. Ein aktuelles Positionspapier der Deutschen Fotografischen Akademie (DFA e.V.) könnte allerdings geeignet sein, diese Frage mit Ja zu beantworten.
Zunächst wird in dem Papier die gegenwärtige Lage kurz und bündig zusammengefasst: Verfahren zur Bearbeitung und Generation von Bildern mit Hilfe Künstlicher Intelligenz entwickeln sich derzeit mit enormer Geschwindigkeit. Sie werden in allen Bereichen der Fotografie Arbeitsprozesse grundlegend beeinflussen. Je nach Ausprägung eröffnen sie neue Möglichkeiten bei der Bearbeitung Kamera-basierter Bilder oder die Erschaffung gänzlich synthetischer Bilder. Diese beruhen zumeist auf vorhandenen Bildwerken, die als Trainingsdaten für die KI-Systeme mit oder ohne Wissen der Schöpfer dieser Bilder verwendet wurden.
Sich dieser Entwicklung entgegenzustellen, wäre weltfremd. Die DFA zeigt sich entsprechend liberal: Als KünstlerInnen sind wir offen für alle Weiterentwicklungen der fotografischen Techniken und plädieren für das uneingeschränkte Recht, alle Methoden frei von Zensur für die Erschaffung von Bildwerken einzusetzen. Generative KI erlaubt neue Methoden der künstlerischen Produktion. Wir sehen sie nicht als Risiko durch die Verdrängung bisheriger Praktiken, sondern als Erweiterung des Spektrums künstlerischer Tätigkeiten.
Auch den Schlussabsätzen des Positionspapiers kann uneingeschränkt zugestimmt werden. Mit großer Sorge sehen wir, dass die rasant wachsende Qualität von KI-generierten Bildern eine Unterscheidung zwischen synthetischen und Kamera-basierten Bildern immer schwieriger macht. In sehr naher Zukunft wird es nicht mehr möglich sein, die Dokumentation einer realen Szenerie von einem modifizierten oder komplett synthetisierten Bild visuell oder mit forensischen Methoden zu unterscheiden. Die daraus abgeleitete Forderung nach einer Implementierung technischer Methoden zur Verifikation der Bilderstellung sowie zur Protokollierung von Bearbeitungsschritten ist folgerichtig und verdient Unterstützung.
So weit, so gut. In der Mitte des Papiers findet sich dann aber auch der Absatz Faire Beteiligung. Hier heißt es: Bei manchen KI-Systemen ist bekannt, dass für die Generierung der Bilder die Werke von bestimmten KünstlerInnen verarbeitet wurden. Bei anderen Systemen ist unklar, woher die Daten dafür stammen. Wir fordern eine Offenlegung der Bildquellen durch die Anbieter von KI-Systemen. Die Entwicklung dieser Systeme muss wirksame Mechanismen umfassen, mit denen KünstlerInnen das Verfügungsrecht über die Verwendung ihrer Werke ausüben können. Initiativen zur Anpassung des Urheberrechts sind nötig, so dass Kriterien der Rechteverletzung neben der klassischen Verwendung von Werken durch Vervielfältigung und Wiedergabe künftig auch die Verwendung beim Training von KI-Systemen einschließt. Findet eine solche Verwendung statt, muss es auch Mechanismen zur fairen Vergütung für SchöpferInnen von Bildwerken geben, die auf diese Weise genutzt werden.
Diese Position mag als abstrakt gut gemeint, letztlich jedoch ein wenig entrückt verstanden werden. Hierzu einige Anmerkungen:
Die Fotografie lebt per se schon immer davon, Dinge und Vorgänge abzubilden, diese zu verfremden oder sonstwie für ein Bild zu nutzen, die nicht vom Fotografen oder von der Kamera erzeugt wurden, sondern von anderen Akteuren. Nichts anderes tun KI-Maschinen.
Wer als Fotografin oder Fotograf davon überzeugt ist, wirklich originell zu sein, also ohne Mitprägung durch bereits Vorhandenes zu handeln, der werfe den ersten Stein. Die allermeisten Fotografien folgen irgendwelchen Vorbildern oder Modetrends, bauen also auf den kreativen Ideen und Leistungen anderer auf. Werden diese animierenden Quellen genannt? Werden gar Lizenzgebühren fällig? Nein, warum auch?
Mitunter hilft beim Denken und Urteilen ein Blick in die Historie. So sei an die Reaktionen der malenden Zunft auf die Fotografie zur Zeit Niépces und Daguerres erinnert. Zunächst noch belächelt, ahnte man sehr bald den Konkurrenzdruck durch die neue Art der Bilderstellung. Als die Fotografie ihre Qualität in den folgenden Jahrzehnten dann immer mehr steigern konnte, wurde endgültig deutlich, dass die Zeit der naturalistischen Malerei vorüber war. Die Fotografie konnte das sichtbar Vorhandene schlichtweg detailgetreuer abbilden. Bedeutete dies das Ende der Malerei? Natürlich nicht! Der Siegeszug der Moderne begann: expressionistisch, abstrakt, konstruktivistisch, dadaistisch, postmodern, auch fotorealistisch. Die Malerei war durch die Fotografie herausgefordert worden, und sie hat neue Wege gefunden. Die fotografischen Techniken haben als Katalysator für zuvor ungeahnte Höhenflüge des Pinsels gewirkt.
Zurück in die Gegenwart. Heute blicken Teile der Fotografieszene auf ähnliche Weise wie die Maler des 19. Jahrhunderts mit Unruhe auf die neue Konkurrenz. Damals fürchteten viele etablierte Künstler um ihre Existenz. Nicht ohne Grund. Allein das klassische bürgerliche Portrait, das in Form einer Fotografie nun erstens erschwinglich und zweitens verfielfältigbar geworden war, setzte die konventionelle Arbeit mit Pinsel und Leinwand unter Druck. Eine Reihe der Alltags- und Gebrauchsmaler musste aufgeben. Sie hatten die Zeichen der Zeit nicht als Impuls für Neues gedeutet, sondern blieben einem überholten und immer weniger nachgefragten Bildparadigma verhaftet. Wer heute als Werbe- oder Beautyfotograf unterwegs ist, sollte sich mit diesen Schicksalen der Vorfahren befassen und daraus eigene Schlussfolgerungen ziehen.
Wer gegenwärtig den Blick und seinen emotionalen Verstand ängstlich auf die jeden Tag besser werdenden KI-Imitationen klassischer Fotografien richtet, wird von Selbstzweifeln und Enttäuschungen nicht verschont bleiben. Hier mit der Forderung nach Lizenzabgaben auf das Web-Datenfutter der KI-Maschinen zu reagieren, mag als Gegenmittel gedacht und gut gemeint sein, ist aber letztlich naiv. Allein die technische Problematik wirft Fragen auf. Wenn KI-Maschinen permanent das Web durchwühlen, um sich Informationen zu verschaffen, wie soll da eine lizenzrelevante Protokollierung erfolgen? Nicht einmal die KI-Programmierer selbst wissen, was die Maschine so alles anstellt, bis sie zu einem Ergebnis kommt.
Gravierender jedoch erscheint die hinter den Lizenzforderungen stehende, defensive Attitüde. Es geht ja nicht nur darum, dass KünstlerInnen den nächsten Einkauf im Supermarkt bezahlen können. Es ist auch eine Frage des Selbstbewusstseins. Offenbar ist die Angst verbreitet, eine Maschine beziehungsweise die Betreiber der Maschine könnten ungefragt etwas wegnehmen, was mir gehört. Aber die Freiheit der Kunst ist keine Einbahnstraße. Das unbeschränkte künstlerische Wirken einschließlich des Urheberrechts zu verteidigen, ist vollkommen richtig. Daraus aber eine gesetzlich garantierte Alimentierung in Form von Lizenzgebühren für Daten des Web abzuleiten, erscheint überzogen. Und eben auch ängstlich. Warum nicht lieber konstruktiv, offensiv reagieren? Wenn es der Maschine gelingt, meine bisherigen Werke nachzuahmen, so muss ich nach vorne schauen, nach neuen Welten suchen, weiter als der Blick der KI reicht.
Diese neuen Welten können übrigens auch alte sein. Im gleichen Maße, wie sich die Bilderflut in einem digital einheitlichen visuellen Mainstream wiederfindet, egal ob mit der Kamera plus Bildbearbeitung erzeugt oder KI-generiert, wird es eine Gegenbewegung geben. Diese wird analoge Verfahren wie auch die Schwarzweißfotografie und die klassische Bildgestaltung auf neue Weise attraktiv machen. Ebenso wird es eine Besinnung auf die besondere Eigenheit des Mediums Fotografie in Erinnerung rufen, nämlich deren Wirklichkeitsbezug. Die Forderung des Positionspapiers der Deutschen Fotografischen Akademie nach einer Protokollierung der Bildherstellung ist deshalb plausibel. Aber machen wir uns nichts vor. Die KI-Maschinen werden auch diesen Trend zum wahrhaftigen, realistischen Bild erkennen, ihn imitieren und für sich nutzen. Dokumentarisch anmutende Fakes sind schon heute in hoher Qualität möglich. Ob sich die BetrachterInnen eines Bildes stets die Mühe machen werden, eine Protokollierung der Bildherstellung zu studieren, darf für die Zukunft im Übrigen bezweifelt werden.
Unter dem Strich zeigt sich einmal mehr die Wirkung dialektischer Mechanismen. Wenn digital totgefilterte, sterile Echtfotografien von der Bildanmutung her schon heute kaum von ihren modernen KI-Stiefschwestern zu unterscheiden sind, hat sich die Fotografie das Dilemma ein Stück weit selbst zuzuschreiben. Die penetrante HDR-Fotografie ist nur ein Beispiel für diesen Irrweg. Der digitale Hype, zunächst als Befreiung von den analogen Beschränkungen verstanden, musste zwangsläufig bei sterilen Kunstprodukten enden. Und so kommt es, wie es kommen musste. Die Revolution frisst ihre Kinder, in diesem Fall die digitale Fotografie.
Der Druck auf diese wird zunehmen, aber eigentlich ist das gar nicht schlimm. Ein wenig Innehalten und Nachdenken ist keine schlechte Empfehlung. Für Panik besteht kein Anlass. Für die analoge Fotografie sowieso nicht. Aber auch hier breitet sich immer mehr belangloser Unfug aus. Nicht alles, was mit Film aufgenommen und ins Netz gestellt worden ist, kann Narrenfreiheit oder gar Kunstschutz beanspruchen. Es ist schon lustig, wie so mancher analog tätige Fotograf, meist sind es Männer, sein Werk mit dem exkulpierenden Zusatz vorstellt, es handele sich nur um ein Testbild. Das will aber niemand sehen. Gefragt sind tolle, überraschende, kreative Fotografien, die ernst gemeint und im Übrigen gänzlich ohne KI-Verdacht sind.