Der Kurfürstendamm im September

Der kommende Sonntag ist Wahltag. Entschieden wird über die Zusammensetzung des Bundestags und der Parlamente in Berlin und Mecklenburg-Vorpommern. Eine besondere Wahl. Im Kanzleramt wird es einen Wechsel geben, die traditionellen Parteienbindungen lösen sich und Corona überlagert alles. Die Welt tickt inzwischen anders, wie die Schaubühne am Lehniner Platz konstatiert.

Wahlwerbung gab es am Kürfürstendamm ausschließlich in Form einiger Großplakate. In den Nebenstraßen waren die Laternenmasten auch mit kleineren Formaten bestückt.

Die Parteien selbst, die Presse und einige soziale Medien haben dazu beigetragen, dass es eine Stimmungswahl mit projektiven Erwartungen an das Spitzenpersonal sein wird. Letztlich vernachlässigt das die politischen Mechanismen, bei denen es stets um kollektive Aushandlungsprozesse geht und weniger um Einzelpersonen. Eigentlich nichts Neues, und doch ist der Ausgang der Wahl ungewisser denn je. SPD oder CDU werden den Kanzler stellen, die Grünen sind als Koalitionspartner, mit wem auch immer, so gut wie gesichert. Die Slogans aller Parteien bleiben ansonsten auf übliche Weise gehaltlos. Scholz setzt trotz Mängel in der Führung des Finanzministeriums optisch auf Solidität, Laschet auf grimmige, aber wesensfremde Entschlossenheit und Baerbock freundlich auf einen neuen Politikstil, selbst wenn die Eigendarstellung mit einem überflüssigen Buch an das bekannte Geltungsbedürfnis der Politikerkaste erinnert.

Auch bei der Wahl zum Berliner Abgeordnetenhaus kann die SPD von einem Stimmenzuwachs ausgehen, die Grünen werden wohl unter den eigenen Erwartungen bleiben und die CDU dümpelt weiter mit einem wenig präsenten Spitzenkandidaten im indifferenten Niemandsland phantasieloser Ideen zur Stadtentwicklung. Spannend bleibt die Frage nach den künftigen Koalitionspartnern. Linke und FDP sind potentielle Kandidaten.

Und dann die Skurrilitäten. Altbackene, ironische, fragwürdige, aber auch kreative Kleinplakate zeugen von einer bunten Mischung des politischen Denkens. Ein Nachwuchspolitiker, der sich selbst Unbestechlichkeit attestiert und dies in überheblicher Selbsteinschätzung offenbar als Alleinstellungmerkmal verstanden wissen will, überklebte und verunstaltete Plakate sowie ein Sammelsurium von Kleinstparteienwerbung vereinen sich zu einer Präsenz im Stadtbild, die in wenigen Tagen wieder verschwunden sein wird.

Bis zum Sonntag bleibt die Frage im Raum stehen: Taktisch wählen, das geringstmögliche Unbehagen zum Maßstab nehmen oder eines der Parteienangebote dann doch, vielleicht mit Zähneknirschen, als zustimmungsfähig betrachten? So oder so, Tatsache ist, dass die Komplexität des Weltgeschehens keine einfachen Antworten erlaubt. Wer mit simplen Weltbildern und Problemlösungen operiert, bleibt der populistischen Demagogie verhaftet. Tatsache ist auch, dass im pro Kopf Vergleich der in Deutschland für viele gewohnte Lebensstil mit zu den weltweit höchsten Belastungen für Umwelt und Klima beiträgt. Wird die Zukunft nachfolgender Generationen zum Maßstab genommen, scheidet sich beim Parteienangebot an dieser Stelle das Verantwortbare vom Eigennützigen. Und auch für diejenigen, die einem weiteren Anwachsen der Ungleichheit zwischen Arm und Reich, wie es sich in Deutschland seit Jahren zeigt, entgegenwirken wollen, grenzt sich die Parteienauswahl ein.

Zurück
Zurück

Der Kurfürstendamm im Oktober

Weiter
Weiter

Der Kurfürstendamm im August