Fotografie in der dritten Dimension

Muss es das Schicksal der Fotografie sein, im Augenblick ihres Entstehens eine der drei Wirklichkeitsdimensionen zu verlieren und zu einer reinen Fläche zu werden? Nein, der Wiener Fotograf Dieter Bornemann zeigt, dass es auch anders geht. Seine Skulpturalen Fotografien erobern den Raum zurück und spielen auf reizvolle Weise mit unserer Vorstellung von Realität. Wie wirklich ist die Wirklichkeit wirklich? Dieter Bornemann beschreibt in einem Gespräch seinen Weg der Annäherung an diese alte Menschheitsfrage.

Drei Radios (Foto: Dieter Bornemann)


Die Skulpturen Dieter Bornemanns sind nachgebaute Objekte, bei der rechteckige Gegenstände des Alltags von allen sechs Seiten fotografiert werden und aus den daraus entstandenen Bildern der Gegenstand nachgebaut wird. Bei der fotografischen Abbildung einer solchen Skulptur ist die Täuschung perfekt. Der Betrachter wird zusätzlich zum Nachdenken animiert, indem neben einer maßstabsidentischen Nachbildung des Originals weitere Varianten in halber sowie in doppelter Größe hinzukommen.

Täuschungen, Irreführungen und Manipulationen erscheinen häufig als alltägliche Medienphänomene und mitunter auch als geplante Werke geleiteter Interessen. Hinter dieser Vorstellung verbirgt sich der Gedanke, dass es überhaupt so etwas wie Objektivität, ja vielleicht sogar Wahrheit gibt. Dieter Bornemann ist Fotograf und Journalist. Die Frage nach der Authentizität medialer Informationen, gleich welcher Form, gehört für ihn deshalb zum alltäglichen Geschäft.

Drei Kaugummiautomaten (Foto: Dieter Bornemann)


fotosinn: Dieter, wie bist Du auf diesen Gedanken der Realitätsreflexion mit Hilfe der Fotografie gekommen und seit wann beschäftigst Du Dich schon mit solchen Skulpturen?

Dieter: Das war vor etwa fünf Jahren in einem alten Kloster in Spanien, das zu einem Hotel umgebaut worden ist. Da war in einer Nische ein kleines, altes Fenster aus gemasertem Holz. Ich stand vor diesem Fenster und wollte es quasi „mitnehmen“. Die Überlegung war, wie muss ich dieses Fenster fotografieren, um möglichst große Realitätsnähe zu erreichen. Verzerrungsfrei, Originalgröße, Farbtreue – da war auf der einen Seite die technische Herausforderung, auf der anderen Seite die Idee der möglichst realitätsnahen Reproduktion durch die Fotografie. Das Fenster habe ich als herkömmliches zweidimensionales Foto produziert – war allerdings nicht ganz zufrieden mit der Umsetzung. Aber ab diesem Zeitpunkt hat mich die Idee nicht mehr losgelassen, wie die dritte Dimension in die Fotografie gebracht werden kann.

Alibert Original (Foto: Dieter Bornemann)


fotosinn: Als es der Fotografie noch an Selbstbewusstsein mangelte, hat sie sich immer um die Anerkennung der klassischen Malerei bemüht. Willst Du jetzt dem Bildhauer Konkurrenz machen?

Dieter: Nein. Das Wort „Bildhauer“ verbindet aber ebenfalls in sich die Zweidimensionalität des Bildes mit der physischen Tätigkeit des „Hauens“. Ich versuche Ähnliches mit der „Skulpturalen Fotografie“ – nämlich die Verbindung der zweidimensionalen Fotografie mit der Dreidimensionalität der Skulptur. Bildhauerei und Fotografie sind zwei völlig unterschiedliche Handwerke, die man zusätzlich zur künstlerischen Idee hinter einem Werk natürlich auch noch beherrschen muss.

fotosinn: Zum Thema „Handwerk“ – die Umsetzung Deiner Idee geht ja über das klassische Handwerk eines Fotografen hinaus. Wie war der Weg von der Idee bis zum fertigen Objekt?

Dieter: Der Weg war lang. Zuerst einmal auf der technischen Seite. Die Wahl der Optik war rasch klar, das 50 mm Objektiv entspricht am ehesten der Wahrnehmung des menschlichen Auges. Für einige Objekte musste ich einen kleinen Kran am Stativ montieren, um von unten und von oben fotografieren zu können. Die Versuche mit einer Leiter von oben aus der Hand zu fotografieren sind ziemlich schiefgegangen. Da haben die rechten Winkel nicht gepasst, es waren Verzerrungen zu sehen. Der nächste Schritt war dann die digitale Postproduction. Um die perfekte Illusion zu erzeugen, müssen etwa Farbabgleich und Anschlüsse genau stimmen. Produziert werden die Objekte von einer ehemaligen Wiener Schildermalerei, die sich auf digitale Produktionen spezialisiert hat. Hier haben wir als Werkstoff „Forex“ gewählt – ein Hartschaum aus Kunststoff. Diese Platten sind direkt bedruckbar, leicht und geben den Objekten trotzdem einen stabilen Körper.

Bankomat Large (Foto: Dieter Bornemann)


fotosinn: Du arbeitest als Fotograf und Journalist. Wie gehst Du grundsätzlich mit der Objektivitätsfrage und dem Wahrheitsanspruch um?

Dieter: Als Journalist versucht man, den Gegenstand der Berichterstattung von möglichst vielen Seiten zu beleuchten. Das habe ich auch bei dieser fotografischen Arbeit gemacht – nicht nur im übertragenen Sinn. Aber natürlich ist diese Form der Fotografie nur ein Spiel mit der Realität. Denn die Objekte werden ja ihrer Funktion beraubt: Es ist dann ja kein Kaugummi-Automat mehr, sondern die dreidimensionale Illusion eines Kaugummi-Automaten. Der Badezimmer-Spiegel aus den 70er Jahren spiegelt nicht mehr den Betrachter, sondern zeigt nur die Illusion eines Spiegels. Aber ich wollte nicht nur fotografische Kulissen bauen, sondern mit den unterschiedlichen Größen der Objekte zeigen, wie die Veränderung der Dimensionen sich auf unsere Wahrnehmung auswirkt. Da schließt sich wieder der Kreis zum Journalismus: Auch hier entscheiden die Redakteure jeden Tag, welche Themen sie groß rausbringen und damit in den Fokus der Wahrnehmung stellen. Und was wird hingegen klein auf Seite 36 versteckt und damit leicht übersehen.

fotosinn: Willst Du den Betrachter verwirren? Oder haben Deine fotografischen beziehungsweise skulpturalen Arbeiten einen aufklärerischen, vielleicht sogar pädagogischen Anspruch?

Dieter: Soweit würde ich nicht gehen. Aber ich möchte schon, dass sich die Betrachter mit ihrer eigenen Wahrnehmung auseinandersetzen. In meiner Ausstellung habe ich etwa einen Alarmknopf für die Feuerwehr und eine ganz normale Steckdose gezeigt. Die meisten Besucher der Ausstellung sind daran achtlos vorbeigegangen, weil sie die Objekte für echt gehalten haben. Erst als sie vor der doppelt so großen Version gestanden sind, haben sie realisiert, hoppala, da habe ich mich täuschen lassen. Daraus haben sich interessante Gespräche ergeben.

pieces of reality (Foto: Dieter Bornemann)


fotosinn: Das muss einen doch nachdenklich machen. Da gibt es zunächst ein Objekt, das Du von allen Seiten fotografierst und in zweidimensionale Bilder umwandelst. Diese werden zu einer wieder dreidimensionalen Skulptur zusammengefügt. Wird diese dann fotografiert, ergibt sich wieder ein zweidimensionales Bild, das nur schwerlich von einer Aufnahme des ursprünglichen Originals zu unterscheiden ist. Du bekommst sicherlich eine Menge Rückmeldungen von Menschen, die sich mit Deinen Werken auseinandersetzen. Wie würdest Du Deine Erfahrungen zusammenfassen? Löst die Verschränkung der verschiedenen Wirklichkeitsebenen AHA-Effekte mit Nachhallwirkung aus?

Dieter: Den größten AHA-Effekt gibt es immer, wenn jemand eines meiner Objekte in die Hand nimmt und merkt, es hat Körper und Gewicht. Die reine Beschreibung meiner Arbeit hat meistens nicht gut funktioniert, weil sich unter der Erklärung kaum jemand etwas vorstellen konnte. Aber die haptische Erfahrung war dann der erhellende Moment. Dazu ist dann noch das Spiel mit den Größenverhältnissen gekommen. So wurde aus der Nähe zur Realität plötzlich Skurrilität. Wer das erste Mal vor einem zwei Meter hohen Geldausgabeautomaten in doppelter Größe steht, auf den wirkt das Objekt plötzlich wie ein Altar des Geldes. Oder das doppelt so große Pissoir, das jetzt im Warteraum eines Urologen ausgestellt ist. Das führt zum einen zum Schmunzeln und zum zweiten zu einem gesteigerten Harndrang.

fotosinn: Wie geht es weiter, bleibst Du an dem Thema dran oder ist es für Dich erst einmal ausgereizt?

Dieter: Der nächste Schritt war für mich die Umsetzung der klassischen Portraitfotografie in „Portraitobjekte“. Da war die Herausforderung: Wie fotografiere ich einen Menschen von oben und von unten? Und wer gibt sich dafür her? Ich habe das Projekt mit der Wiener Künstlerfamilie Sengl umgesetzt. Mutter, Vater, Tochter – alle drei sind künstlerisch tätig – haben mitgemacht und sich einer aufwendigen Fotosession unterzogen. Die entstandenen Fotoskulpturen waren wieder in der Originalgröße des Kopfes, halb so groß und doppelt so groß. Die Portraits wurden aufgestellt und zeigen sehr schön die unterschiedlichen Größen- und Machtverhältnisse, die in einer Familie entstehen. Das Projekt hat den Namen „Familienaufstellung“ und war im November 2017 bei der „photo::vienna“ im Wiener Museum für Angewandte Kunst (MAK) zu sehen.

MAK Ausstellung (Foto: Dieter Bornemann)

Portrait Sengl (Foto: Dieter Bornemann)

fotosinn: Auch dieses Thema weist auf einen kreativen Umgang mit dem Medium Fotografie hin. Herzlichen Dank für das Gespräch.

Dieter Bornemann, M.A., (geb. 1967 in Graz/Steiermark) ist über die analoge Pressefotografie zur künstlerischen Arbeit mit digitalen Bildern gekommen.[nbsp]Er hat die „New York Film Academy“ besucht und eine fotografische Ausbildung an der Wiener Fotoschule und „fotoK - Verein für Fotografie und Kunst“ absolviert. Bornemann hat mit seinen Werken mehrfach bei nationalen und internationalen Foto-Ausstellungen mitgewirkt. Seine Webseite gibt einen Überblick über aktuelle und frühere Werke.

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Rezension: Edward Westons kompromisslose Fotografie

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