Der Kurfürstendamm im Januar

Ein verwaister Boulevard. Die meisten Geschäfte geschlossen, keine Bewirtung in den Restaurants und Cafes. Eine Stadt im Lockdown. In einigen Schaufenstern noch Reste der Weihnachtsdekoration. Freie Fahrt auf dem Bürgersteig für radelnde Kinder im Monsterkostüm. An vielen Stellen Botschaften für potentielle Kunden. Abstand halten, Masken tragen. Hinweise zum online Shopping. Einige Geschäfte haben schon aufgegeben, andere stehen offenbar vor der Schließung. Warten auf bessere Zeiten.

Aber don`t panic! Es bleiben ja noch das Glücksspiel, das heimische Sportprogramm und die eine oder andere Reisemöglichkeit, auch wenn man vor dem Flug in den Süden noch eine Corona-Schnellteststation aufsuchen muss, etwa die in der Gedächtniskirche.

Der Kurfürstendamm beginnt, von Westen kommend, in Halensee und endet nach etwa 3,5 km am Breitscheidplatz. Schon immer bildete er eine wilde Mischung aus Gründerzeitbauten wilhelminischer Provenienz und einfallsloser, billig aussehender Betonarchitektur der sechziger Jahre, aus Teilabschnitten, in denen sich mal die Kanzleien, Praxen und Agenturen konzentrieren, mal die Niederlassungen der internationalen Edelmarken ihre Kostümchen und Accessoires für den gehobenen Geschmack mit der goldenen Kreditkarte zur Schau stellen. Dann wieder sind es Currywurstbuden und Dönerläden, die auf eine schnelle Laufkundschaft warten, sowie nobel erscheinende Restaurants, aber auch sie ohne Sterneanspruch. Berlin eben. Schließlich die schöngeistige Theaterzone rund um die Schaubühne am Lehniner Platz und als Kontrast hierzu am anderen Ende die Touristenmeile bis zum Europa-Center. Bei Vollbetrieb vor Coronazeiten spiegelte diese komplexe Mischung der dreieinhalb Kilometer die Heterogenität der Stadt wider, wohl nicht gänzlich, aber auf jeden Fall einen typischen Teil des alten West-Berlins.

Heute, zu Beginn des Jahres 2021, werden alle Unterschiede überlagert durch eine große Leere und die gemeinsame Klammer pandemiebedingter Einschränkungen, Schließungen und Ermahnungen. Aber es ist eine oberflächliche Klammer. Auch wenn die unterschwelligen Anspannungen auf den Straßen nicht allgegenwärtig präsent sind, die wirtschaftlichen Folgen und sozialen Verwerfungen der Krise werden für lange Zeit spürbar bleiben. Der Kürfürstendamm wird die Entwicklungen der nächsten Monate wie ein soziales Barometer widerspiegeln.

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Die Stammbahn (1)

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