Essay 08
Störgefühle im Seriellen
Bei der Erfindung der Fotografie im ersten Drittel des 19. Jahrhunderts stand das klassische Tafelbild Pate. Aber bald schon war die neue Technik diesem in mancherlei Hinsicht überlegen, einfacher herzustellen und vor allem schneller. Der Kunstmaler mit seinem Anspruch einer naturgetreuen Wiedergabe hatte eine ernsthafte Konkurrenz erhalten. Dennoch verhielt sich die Fotografie erst einmal respektvoll und demütig. Der Piktoralismus zum Ende des Jahrhunderts, der Fotografien wie Kunstbilder aussehen lassen wollte, zeugte davon. Und selbst das Neue Sehen der 1920er Jahre und die Subjektive Fotografie der 50er waren nicht frei von der klassischen Attitüde. Auch lange nach der Erfindung des neuen Mediums stellte die gerahmte Fotografie an der Wand, mit Signatur versehen, eine Fortsetzung des Tafelbildes dar, nur eben mit anderen Mitteln. Dabei hatte schon Eadweard Muybridge im 19. Jahrhundert gezeigt, dass sich die neue Technik in Form von Serienaufnahmen auch gänzlich anders nutzen ließ. Sein Ansatz war Vorläufer eines Konzeptdenkens, das mit dem klassischen Solitärbild nicht viel gemein hatte.
Neben dem Einzelbild, das in einer temporären Exklusivbeziehung zum Betrachter steht, lassen sich Fotografien auch in Serien zusammenfassen. Dies mag der Ordnung dienen oder Ausdruck einer künstlerischen Idee sein.
Gemeinsam ist ihnen, dass die einzelnen Bilder nun im Dienst eines übergeordneten Gedankens stehen und als Solitäre zurücktreten. Auch kommunizieren sie nicht mehr allein mit dem Betrachter, sondern weisen Beziehungen untereinander auf. So zeigte Muybridge mit schnellen Reihenaufnahmen die exakte Beinstellung der verschiedenen Phasen eines galoppierenden Pferdes und animierte damit den Kunstmaler zu größerer Naturtreue bei der Bewegungsdarstellung. Auch in der Völkerkunde, der Medizin oder bei der Polizeiarbeit wurden schon früh fotografische Serien eingesetzt. Ob es um anthropologische Rassendarstellungen ging, um die Dokumentation von Krankheitsbildern, psychiatrische Auffälligkeitstypen oder die kriminologische Fotografie mit der standardisierten Wiederholung von Frontal- und Profilansichten, stets ging es darum, Ordnungssysteme zu schaffen. Ähnlichkeit und Differenz bildeten die strukturbestimmenden Merkmale. Ziel war die Herstellung einer Systematik und nicht selten auch die Betonung der Macht des Definierenden. Die Bedeutung konkreter Bildserien kann deshalb immer nur unter Berücksichtigung der jeweiligen Kontexte verstanden werden. Insbesondere gilt dies, wenn sie für vermeintlich wissenschaftliche oder Herrschaftszwecke eingesetzt werden.
Neben der Chronofotografie und den Klassifizierungsbildern wurde die Idee der Serie zu Beginn des Zwanzigsten Jahrhunderts auch von der kunstaffinen Fotografie aufgenommen. So bildeten die Wolkenbilder von Alfred Stieglitz eine frühe Konzeptform des Seriellen. Sie zeigen Himmelsausschnitte mit unterschiedlichen Wolkenstrukturen, aber keine Landschaften oder Gegenstände, die dem Betrachter eine Orientierung geben könnten. Durch das Fehlen des Horizontes bleibt selbst das Oben und Unten offen. Aber da es um Stimmungen geht und nicht um dokumentarische Aspekte, hat das herkömmliche Koordinatensystem sowieso keine Funktion. Die Fotografien sind als abstrakte Bilder zu sehen, die Assoziationen auslösen, ohne sich vollständig zu erklären. Sie weisen, bedingt durch die fotografische Technik, zwar einen Wirklichkeitsbezug auf, oszillieren aber lediglich um das Wolkenthema. Zwingende Gedanken an konkrete Himmelswolken rufen sie nicht hervor. Der Betrachter kann ins Träumen geraten und seiner Phantasie einen wolkigen, freien Lauf lassen. Nicht umsonst gab Stieglitz der Reihe den Titel Äquivalente.
Serielles erscheint in unterschiedlichen Formationen, jedoch stets mit einer Gemeinsamkeit. Ob als chronofotografische Ablaufdarstellung wie bei Muybridge, Klassifizierungssystem, Zusammenfassung thematisch zusammengehörender Aufnahmen oder als Konzeptkunst, in allen Fällen wird deutlich, dass dem einzelnen Bild jenseits der eigenen Botschaft eine Funktion als Element einer übergeordneten Idee zukommt.
Die Serie bildet eine Entität eigener Art. Beim Betrachter finden die subjektiv wahrgenommenen Beziehungen zwischen den Elementen ebenso Eingang in die Deutung wie die Beschäftigung mit der Frage, welche Absicht bei der Entscheidung für die Serie an sich und genau diese Anordnung der Elemente zugrunde gelegen haben mag. In manchen Fällen fällt die Antwort nicht schwer. August Sanders idealtypische Portraits sind nicht nur Ergebnis akribischer Sammelleidenschaft, sondern Dokumente der Gesellschaftsstruktur ihrer Zeit. Ebenso stellen Bernd und Hilla Bechers Serien mit Relikten der untergehenden Industriearchitektur einen Beitrag zur Kulturanthropologie dar. Andererseits können sie im Kontext eines erweiterten Kunstverständnisses als Skulpturen aufgefasst werden. Die Verleihung des Goldenen Löwen bei der Biennale 1990 hat dies bestätigt. Cindy Sherman schließlich kreierte durch inszenierte Selbstportraits eine Typologie weiblicher Rollenmuster, die vor allem als Gesamtheit wirkt. So unterschiedlich die Serien von Sander, den Bechers und Sherman auch sind, gemeinsam ist ihnen, dass dem Betrachter eine über das singuläre Bild hinausgehende Botschaft vermittelt wird.
Die genannten Beispiele folgten dem Prinzip einer realitätsaffinen Abbildung und werden meist ohne größere Anstrengung verstanden. In anderen Fällen sind komplexere Überlegungen gefordert, um die Bedeutung zu entschlüsseln. Dies ist jedoch kein Spezifikum der Serie. Spätestens seit Umberto Eco wissen wir, dass der Sinn eines Kunstwerkes nicht in diesem selbst enthalten ist, sondern erst bei der Auseinandersetzung des Betrachters mit ihm konstituiert wird. Dies korrespondiert mit der Perspektive des Künstlers. Diesem ist bewusst, dass sein Werk immer sein Werk bleiben wird. Er kann jedoch nicht beeinflussen, auf welche Weise es vom Betrachter zu Ende gedacht wird. Bei der fotografischen Serie geschieht dieses Zuendedenken sozusagen zwischen den Zeilen und ist nicht an die Materialität der einzelnen Bilder gebunden. Der Sinn entsteht durch deren Wahrnehmung als Einheit einschließlich ihrer unsichtbaren Beziehungen. Rational beschreiben lässt sich das nicht.
Wenn eine solche Wahrnehmung eintritt, sich also bei Betrachtung der Serie ein Sinn eigener Art beziehungsweise eine flüchtige Aura bildet, erinnert dies an Walter Benjamin. Er hatte festgehalten, dass es in Folge seiner technischen Reproduzierbarkeit zum Ende des auratischen Kunstwerkes gekommen sei. Dies könnte sich aus heutiger Sicht jedoch gerade für die serielle Fotografie ein wenig anders darstellen. Das einzelne, auf der Basis eines Negativs oder Diapositivs unendlich reproduzierbare Bild mag im Sinne Benjamins keinen Einzigartigkeitscharakter aufweisen. Bei der Präsentation serieller Fotografien nehmen wir mitunter dennoch etwas Auratisches wahr. Dieses ist nicht an die subtilen Empfindungen gegenüber einem Originalwerk geknüpft, wie es Benjamin vor Augen hatte, sondern bildet eine luzide Kategorie eigener Art, die auf die Differenz zwischen der einfachen Summe der Elemente einerseits und der darüber hinausgehenden Entität andererseits zurückgeht. Die These vom Ganzen, das mehr ist als die Addition seiner Teile, findet hier ihre Bestätigung. Der Umgebungskontext der Serienpräsentation ist dabei nicht ohne Bedeutung. In erster Linie ergeben sich auratische Ausstrahlungen bei der musealen Präsentation, weniger bei der gedruckten, also nochmals reproduzierten Version zweiten Grades. Erst im räumlichen Umfeld kann sich eine holistische Realität jenseits des Einzelbildes entfalten. Das Fotobuch dient eher der Dokumentation und Katalogisierung, ist aber weniger geeignet, dem Subkutanen einer Serie Ausdruck zu verleihen. Vieles spricht deshalb dafür, sich serielle Werke nicht nur im Miniaturformat auf dem heimischen Sofa oder auf dem Bildschirm anzuschauen, sondern die Originalversionen im Rahmen von Ausstellungen.
Bei seriellen Bildern denkt man unwillkürlich an die Soup Cans, Maos oder die Marilyn Monroes von Andy Warhol. Seriell bedeutete hier die mehrfache Wiederholung eines identischen oder zumindest eines bis auf die Farbgebung gleichen Bildes.
Dies war in den 1960er Jahren eine programmatische Absage an den Kult des Einzigartigen. Der traditionelle Anspruch des singulären Werkes war herausgefordert und die Pop Art wurde zur Gegenbewegung selbst zum Abstrakten Expressionismus, der plötzlich gar nicht mehr so avantgardistisch aussah wie bis dahin. Der Typus des begnadeten Künstlers, der seit der Renaissance, aber insbesondere im 19. Jahrhundert die Szene bestimmt hatte und noch in den 1960ern durch Maler wie Pollock oder Rothko repräsentiert wurde, war durch die Strategien der Pop Art und des Minimalismus plötzlich in seiner Besonderheit relativiert. Das Prinzip des einzigartigen Meisterwerkes hatte im Seriellen einen Kontrapunkt gefunden. Dass die etablierten Meister über die neue Generation im Kunstbetrieb nicht begeistert waren, ist nachvollziehbar. Nach den Regeln des Marktes war es jedoch nur logisch, dass bald auch die Pop-Artisten in den Pantheon der Kunst aufstiegen. Und so wurde Warhol zu einem der Megastars seiner Zeit.
Bei genauer Betrachtung gab es in der Malerei auch vor der Pop Art Serielles zu entdecken. So gilt Claude Monet für das ausgehende Neunzehnte Jahrhundert als einer der Wegbereiter, da er ein und dasselbe Motiv unter der Wirkung verschiedener Lichtverhältnisse immer wieder gleich und doch neu malte. Berühmt wurden seine Heuhaufen und die Ansichten der Kathedrale von Rouen. Monet wurde zu einem Begründer des Seriellen, weil er nicht einfach das Motiv vervielfachte, wie es auch die Druckgrafik konnte, sondern die Gesamtheit der unterschiedlichen, aber zusammengehörenden Momente als Einheit betrachtete. Das Wesen eines Motivs ließ sich, so seine Überzeugung, nicht durch eine einzige Abbildung erfassen, sondern nur durch die Wirkung zu verschiedenen Tages- und Jahreszeiten. Entscheidend war nicht das Objekt an sich, sondern dessen Lichtabstrahlungen. Diese waren beständigen Veränderungen unterworfen, und die Kategorie Zeit fand Eingang in das Konzept der Serie. Für die klassische Malerei war das eine ziemlich neue Perspektive.
Als Monets Serie auseinandergerissen und die Bilder einzeln verkauft wurden, blieb die Entität des Ganzen dennoch erhalten. Obwohl als Teil der Serie vordergründig nicht mehr existent, verwies das singuläre Bild weiterhin auf seine Schwesterbilder. Gerhard Richter hat dieses Prinzip später neu interpretiert, nun als kritische Reflexion der klassischen Kunstauffassung mit ihrer Fixierung auf das singuläre Tafelbild. Mal werden Bilder, die ursprünglich als zusammengehörende Edition geschaffen wurden, gezielt einzeln verkauft, mal werden Ölgemälde in 64 Einzelteile zerschnitten und stückweise auf den Markt gebracht. Stets geht es Richter darum, etwas aus dem ursprünglichen Kontext herauszureißen, so dass es einen auf den ersten Blick solitären Status bekommt. Für Eingeweihte bleibt es dennoch virtueller Bestandteil einer größeren Entität. Das Konzept der Serie bezieht im Übrigen an vielen Stellen des Gesamtwerkes die fotografische Technik mit ein. Häufig vermischt Richter dabei die Medien. So fotografierte er 1978 das eigene Ölgemälde Halifax in Ausschnitten mit wechselnden Perspektiven und unterschiedlichen Größenverhältnissen, um diese dann als 128 Fotos von einem Bild II in acht Serien mit je 16 Motiven zu arrangieren. Für den Betrachter ergibt sich eine Wirkung, die mit dem ursprünglichen Gemälde nichts mehr zu tun hat. Alles bleibt mehrdeutig und eröffnet trotz der dokumentarisch angelegten Fototechnik große Interpretationsspielräume. Im Jahr 1982 schuf Richter auf der Basis einer von ihm selbst aufgenommenen Fotografie das Ölgemälde Kerze, das er 1989 wiederum fotografierte und als Offsetdruck Kerze II in Serie produzieren ließ. Die 50 Exemplare wurden unterschiedlich übermalt, so dass aus dem Seriellen wieder etwas Individuelles wurde. Ähnlich ging Richter beim Künstlerbuch Wald II vor. Die 80 Exemplare enthielten jeweils eine Fotografie, die von Hand schleierhaft übermalt wurde. In anderen Editionen, bei Richter ein simultaner Ausdruck für Serienwerke, wird die Komplexität der verschiedenen Materialien, Wirklichkeitsebenen und Techniken weiter gesteigert. Stets vermischt sich Serielles mit Individuellem. Wiederholung und Variation bilden die Grundmuster.
Serielles in anderer Gestalt zeigte sich, als Ottmar Hörl im Jahr 2010 eine an sich banale Nachbildung Martin Luthers aus farbigem Kunststoff vor dem Wittenberger Rathaus platzfüllend achthundert Mal ordentlich in Reih und Glied aufstellte. Jede einzelne dieser Plastikfiguren, ob nun in Rot, Grün, Blau oder Schwarz, hatte als Kunstwerk keinen großen Stellenwert und fand nach Ende der Aktion bestenfalls als touristisches Andenken an die Lutherstadt Kaufinteressenten. Allein die serielle Wiederholung der bis auf die Farben identischen Figuren bildete eine Qualität eigener Art und bot Stoff für Interpretationsmöglichkeiten. Der Betrachter fragte nach dem Konzept und der Absicht des Künstlers.
Die Wiederholung des Immergleichen beinhaltet nicht selten eine Botschaft, die als Kritik an der Industriegesellschaft verstanden wird. Das fabrikmäßig in großer Stückzahl identisch Angefertigte stellte im Vergleich zur traditionellen handwerklichen Herstellung etwas Neues dar.
Erst die industrielle Produktionsweise hatte die Möglichkeit geschaffen, nahezu unendlich viele Gegenstände in absolut gleicher Form auf den Markt zu bringen. Die Kritik an den Auswirkungen auf die Gesellschaftsstruktur, das Sozialleben, die Kultur und die Mentalität folgte umgehend. Individuelles und Kollektives gerieten in ein Spannungsverhältnis. Dies gilt auch heute. Der Einzelne möchte sowohl normal, also angepasst, wie gleichzeitig etwas Besonderes sein. Serielle Kunstwerke oszillieren um diesen Topos, denn sie deuten an, dass die entindividualisierte Verfielfältigung bis ins Massenhafte ausgedehnt werden kann. Dies beschädigt nicht nur den singulären Charakter des Einzelbildes, sondern im übertragenen Sinne auch die Idee der menschlichen Individualität. Aber ein kleiner Widerstandsrest verbleibt, denn serielle Kunstwerke spielen nicht selten mit dem Prinzip von Wiederholung und Differenz. Der Betrachter fühlt sich aufgefordert, im Gleicherscheinenden eine Abweichung zu entdecken, sozusagen die letzten Reste von Individualität innerhalb der Masse. Und in der Tat, serielle Werke, die auf den ersten Blick identisch wirken, weisen nicht selten an irgendeiner Stelle Abweichungen vom Standardmuster auf.
Serielle und auch minimalistische Werke zeichnen sich nicht selten durch konsequent eingehaltene Gestaltungsregeln aus, bei denen Rigides mitklingt.
Ob es sich um die mehrfache Darstellung des gleichen Motivs handelt, ein strenges Wiederholungsmuster oder um musikalische Tonfolgen, die sich an mathematischen Formeln orientieren, häufig wirken solche Reihen emotionsfern, wie von strenger Disziplin arrangiert. Die Präzision der konsequenten Serie bietet sich damit als Gegenidee zum Expressiven und Performativen an, das weite Bereiche der Gegenwartskunst bestimmt. Hier das kontrolliert Regelhafte, dort das Wilde, Ungestüme. Betrachtern mit Vorliebe für Spontanes veranlasst dies zu einer gewissen Zurückhaltung gegenüber dem Seriellen. Nicht selten unterstellen sie ihm Phantasielosigkeit. Die These von der Wiederholung des Immergleichen als kritische Antwort auf das modische Immerneue gilt ihnen eine an den Haaren herbeigezogene Rationalisierung. Aber, selbst wenn dies nur ein Randaspekt subkutanen Unbehagens ist, Serielles kann durch Eintönigkeit provozieren und durch Rigidität unangenehm wirken. Dies zeigt, welche energetischen Potentiale es in sich trägt.
Die hundertfache Wiederholung mag auf den ersten Blick als kritischer Kommentar zur Uniformität des modernen Menschen verstanden werden. Bei näherer Betrachtung erweckt sie aber auch Gefühle mit Störanteilen. Ein Künstler, der sich einem solchen Programm widmet, muss offenbar selbst über genau jene Eigenschaften verfügen, die er zum Thema macht. Wer ohne Abweichung zigfach das gleiche Motiv auf die Leinwand bringt, der geht mit einer hohen Disziplin ans Werk und lässt sich nicht durch expressive Irritationen vom eingeschlagenen Weg abbringen. Ist das jetzt künstlerische Tugend oder Symptom eigener Rigidität? Die Spannung löst sich auf, wenn sie als Stilmittel interpretierbar ist. Das mag dann der Fall sein, wenn eine kleine ironische Andeutung im Bild zu verstehen gibt, dass dem Künstler die Widersprüchlichkeit zwischen Form und Botschaft bewusst ist oder eine Abweichung vom Gleichförmigen die Distanz zum Zwanghaften erahnen lässt. Dennoch bleibt die Arbeit mit strengen seriellen Formen eine Gratwanderung, bei der sich die Fragezeichen im Blick des Betrachters nicht immer auflösen. Mitunter entspricht eine Serie schlichtweg der Banalität eines sich unendlich wiederholenden Tapetenmusters. Da helfen dann auch keine gelehrigen Begleitkommentare.
Wie oftmals im Leben gibt es verschiedene Perspektiven auf die Dinge. So lässt sich das kritisch Konnotierte des Seriellen auch als weise Distanzierung vom Innovationsdruck des Kunstbetriebes und als Erscheinung meditativer, maßvoller Bescheidenheit deuten.
Die Wiederholung muss nicht unbedingt als Kritik an der Moderne verstanden werden, sondern kann auch zum persönlichen Lebensentwurf eines Künstlers gehören, der sich für die Abwendung von der Ökonomie des permanent Neuen entschieden hat und mit innerer Ruhe ein ausgewähltes Motiv als wiederkehrendes Meditationsthema gefunden hat. Die Serie wäre dann Ausdruck eines demütigen Wissens um die großen Zyklen des Seins. Aber dies scheint die Ausnahme zu sein. Meist stehen hinter dem seriellen Konzept keine existenzialistischen Gedanken, sondern Botschaften mit implizit kritischem oder Ambivalenzcharakter.
Es ist erwiesen, dass durch Wiederholungen die Entwicklung von Routinen und eingeübten Fertigkeiten gefördert wird. Aufgaben können präziser und schneller gelöst werden. Die Ergebnisse automatisierter Handlungen haben in der Regel eine höhere Qualität. Routine reduziert Komplexität, weil sie vorgefertigte Muster zur Verfügung stellt und die unendlichen Handlungsmöglichkeiten auf wenige Alternativen oder sogar nur eine einzige Option beschränkt. Aber nicht nur der Handelnde selbst wird durch Routinen entlastet, sondern es steigt auch die Erwartungssicherheit seines Umfeldes. Dieses kann mit großer Wahrscheinlichkeit voraussehen, was bei Einhaltung der Regeln geschehen wird. Wenn allerdings Abweichungen von der Normalsituation übersehen werden, weil die dauernde Wiederholung zu Abstumpfung und Unaufmerksamkeit geführt hat, wird die Sicherheit trügerisch und es kann gefährlich werden. Für Anforderungen, die zur Bewältigung Phantasie benötigen, sind Routineprogramme sowieso weniger geeignet.
Die serielle Wiederholung bietet sowohl Beruhigendes wie latent Bedrohliches. Wird dies bewusst gemacht, ist ein naiver Blick nicht mehr möglich. Hat man ihre ambivalenten Potentiale verstanden, beginnt die Suche nach dem tieferen Sinn. Ein Bild wird nun aufmerksamer analysiert. Handelt es sich wirklich nur um eine Wiederholung oder weist es gegenüber den anderen Elementen eine Abweichung, vielleicht auch nur in kleinen Nuancen, auf? Wird eine solche Differenz entdeckt, entstehen neue Gedanken. Warum wurde das Motiv hundertmal gleich dargestellt und dann plötzlich in abweichender Form? Wurde vielleicht nicht aufgepasst? Die Vermutung liegt nahe, dass es einen anderen Grund gibt, eine Idee. Wahrscheinlich stand ein Konzept dahinter.
Die Antwort auf die Frage nach dem Wesen des Seriellen ist keine einfache. Es kommt auf den Kontext an, und es entscheidet sich nicht zuletzt im Auge des Betrachters, wie sie wahrgenommen wird.
Da dem seriellen Kunstwerk im Gegensatz zum spontan expressiven eine hohe Disziplinierungsanstrengung des Künstlers vorausgegangen ist, darf man annehmen, dass dieser eine Botschaft vermitteln wollte. Ein solches Werk entsteht nicht irrational aus dem Unterbewussten oder als Folge einer Augenblickslaune, sondern ist Ergebnis einer durchdachten Konzeption. Ob der spätere Rezipient diese erkennt, ist eine andere Frage. Er mag in dem Werk etwas sehen, das dem vom Künstler Intendierten gar nicht oder vielleicht nur teilweise entspricht. Aber damit geht es dem seriellen Werk nicht anders als jeder Kunst, die fast immer Interpretationsspielräume zulässt. Besonders beim Seriellen richtet sich die Frage jedoch stets auf den konzeptionellen Aspekt. Wo liegt das Motiv für die Zurückstellung des Einzelbildes zugunsten einer Gruppe gleicher, ähnlicher oder sinnverwandter Bilder?