Essay 12

Die Furcht vor dem eigenen Portrait

Die Darstellung des Menschen gehört seit jeher zu den schwierigsten Disziplinen der Fotografie. Ein sensibler Umgang mit den Erwartungen des zu Portraitierenden bildet die eine Seite der Herausforderung, der professionelle und unspektakuläre Umgang mit der Technik die andere. Im Zentrum steht jedoch stets die Verständigung darüber, was beim Akt des Fotografierens geschehen soll. Schließlich wird im Bruchteil einer Sekunde eingefangen, was fortan Bleibendes verkündet. Die Portraitsitzung verlangt den Beteiligten vor und hinter der Kamera deshalb einiges ab. Es sei kaum zu vermeiden, so einst Richard Avedon in einem Interview, dass dabei geschauspielert werde, aber auch der Fotograf bringe seine Vorstellungen ein. Ein gutes Bild kommt unter solchen Umständen nur zustande, wenn eine Beziehung zwischen beiden entsteht. Außerdem sind nur wenige Menschen ohne innere Widersprüche. Auf einfache Weise lassen sie sich nicht ablichten. Und schließlich wird beim Fotografieren das Leben angehalten. Es bildet sich eine Art Unsterblichkeit. Eine Aufnahme zeigt deshalb noch lange nicht die Wahrheit, war Avedon überzeugt. Jedes Portrait stellt eine Abbildung dar, aber eben auch eine Meinung. Falsche Bilder gibt es nicht. Fotografien sind stets richtig, aber nicht unbedingt wahr.

Der Mensch vor der Kamera begibt sich mit einem Selbstbild und vor allem mit einem Idealbild der eigenen Persönlichkeit in die Portraitsitzung. Der Fotograf oder die Fotografin hingegen verfügt über ein Fremdbild des Menschen.

Die Gewichtung der drei Perspektiven und der damit verbundenen Erwartungen wird im Idealfall von den Beteiligten ausgehandelt. Geht es um die Fixierung einer biografischen Entwicklungsphase, um eine Darstellung für Dritte, etwa als Imagefoto, oder um die Absicht des Fotografen, zur Mehrung der Reputation dem eigenen Portfolio das ausdrucksstarke Bild eines Prominenten hinzuzufügen? Die Klärung findet nicht unbedingt explizit statt, spätestens jedoch durch die Art des Umgangs miteinander.

Im Oktober des Jahres 1918 erschien in der Zeitschrift Die neue Rundschau der Beitrag Das Problem des Portraits. Autor war der Soziologe Georg Simmel. Zentrales Thema waren die Herausforderungen, mit denen sich der Maler konfrontiert sieht. Mit der Fotografie befasste sich Simmel nur beiläufig. Sie war für ihn keine Ausdrucksform, die es mit den etablierten Künsten aufnehmen konnte, auch wenn sich deren Aufgaben im Laufe der Zeit verändert hatten. Vom Mittelalter bis zum Beginn der Renaissance wurde das Portrait überwiegend als Mittel der Funktionsdarstellung von Rollenträgern und deren Herrschaftsansprüchen eingesetzt. Erst in den nachfolgenden Jahrhunderten der Individualisierung hat es durch Aufklärung, Romantik und bürgerliche Ich-Findung mehr und mehr den in der Neuzeit vertrauten Charakter angenommen. Wir wollen in einem Portrait etwas Persönliches erkennen. Dem Mittelalter war diese Sichtweise noch fremd.

Was wir an einem Menschen als sinnlich Aufgenommenes wahrnehmen, ist, so Simmel, nicht identisch mit dem, was im täglichen Leben als Sichtbares bezeichnet wird. Es handelt sich um eine Verknüpfung optischer Tatsachen mit Beimischungen anderer Art. Gefühlsregungen spielen da ebenso eine Rolle wie der Standpunkt des Betrachters, kurz, der Mensch ist dem Menschen ein fluktuierender Komplex von Eindrücken aller Sinne und seelischen Assoziationen, von Sympathien und Antipathien, von Urteilen und Vorurteilen, Erinnerungen und Hoffnungen. Erst diese Gesamtheit formt das innere Bild, das wir von einer Person haben. Dies deckt sich mit Erkenntnissen psychologischer Wahrnehmungstheorien. Sehen ist kein passiver Prozess neutraler Signalaufnahmen, sondern ein Akt kognitiver Konstruktionen, die den Informationsreizen Bedeutungen zuschreiben. Subjektives ist da stets beigemischt.

Ein Maler kann gar nicht anders, als aus dem optisch Aufgenommenen ein interpretierendes Sinnenbild zu schaffen. Der Prozess unterscheidet sich vom Reproduktionscharakter der Fotografie.

Diese galt Simmel als ein automatisiertes Verfahren, das zwar zu technisch sauberen Wiedergaben führt, aber nicht zum Wesenskern des Abgebildeten vordringt. Mit dieser Auffassung stand er nicht allein. Erst nach Simmel setzte sich das Bewusstsein durch, dass auch die Fotografie Gestaltungsspielräume mit Auswahlentscheidungen aufweist und die Subjektivität des Fotografen eine Rolle spielt. Simmel folgte da noch einem traditionellen Verständnis. Nur das gemalte Bild könne sich dem seelischen Wesen des Portraitierten nähern. Das optisch Wahrgenommene werde durch die Betonung herausgehobener Aspekte so in ein Bild transformiert, dass sich eine lebendige Einheit von Körper und Seele offenbart. Versteht man diesen Begriff der Seele nicht als eine Kategorie des Übersinnlichen, sondern als Summe von Charaktereigenschaften, eröffnet sich ein Verständnis, das die Ausprägungen der Gesichtszüge auf vergangene Lebenserfahrungen zurückführt. Körperliche Formationen erweisen sich als Sedimente ehemaliger und gegenwärtiger Sozialbeziehungen. Ab einem gewissen Alter ist man für sein Gesicht verantwortlich, wie es heißt.

Dem Maler stehen für die Erschaffung eines charakteristischen Portraits verschiedene Mittel zur Verfügung, insbesondere die Hervorhebung bestimmter Merkmale. Ein wesentliches Ziel besteht darin, das Gefühl für die Ganzheit durch einen typischen Teileindruck zu ersetzen. In der Geschichte des Portraits wurde dies nicht immer so gesehen. Bis zum Ausgang des Mittelalters ging es nicht um Individuelles. Grundregel war vielmehr die formelle, symmetrische Gesichtsdarstellung. Die Einheit der Person wurde weniger von innen heraus abgeleitet, sondern folgte einem äußeren Rollenschema. Erst die Renaissance hat sich von diesem Verständnis gelöst. Die streng symmetrische Darstellung der Gesichtshälften wurde als Regel aufgehoben.

Jemand ist vom Leben gezeichnet. Nichts anderes ist gemeint, wenn dem Portrait die Aufgabe zugeschrieben wird, das Gesicht als Ausdruck innerer Vorgänge zu verstehen.

Heute wissen wir genauer als zu Simmels Zeit, dass die Aktivitäten der rational bzw. emotional tätigen Hirnregionen zu Asymmetrien der Gesichtshälften führen. Psychologie und Neurobiologie haben dafür Erklärungen gefunden. Demnach werden Aktivitäten der rechten Gesichtshälfte überwiegend durch die linke Hirnseite gesteuert. Diese ist auch für die Verarbeitung positiver Emotionen zuständig. Bei Menschen mit überwiegend belastenden Gefühlsereignissen hingegen ist die rechte Hirnhälfte überaktiv. Kritische Lebensereignisse lösen deshalb Muskulaturanstrengungen auf der entgegengesetzten Gesichtsseite aus. Auch Größe und Wirkung der beiden Augenpartien unterscheiden sich.

Erfahrene Fotografen wissen dies zu berücksichtigen. Und sie verfügen über die Fähigkeit zur Selbstreflexion. Schließlich spielt bei der Aufnahme nicht nur der Mensch vor der Kamera eine Rolle, sondern auch die eigene Persönlichkeit. In erster Linie werden bei anderen nun einmal vorwiegend die einem selbst vertrauten Charakterzüge wahrgenommen. Es handelt sich um klassische Projektionsmechanismen. Sie können im Übrigen positiver wie negativer Art sein. Letztlich entscheidend in der Praxis sind aber weniger die Prägungen, Vorlieben und Aversionen des Fotografen, sondern die Frage, welche Charakterzüge der Auftraggeber in seinem Bild hervorgehoben haben möchte. Keine leichte Aufgabe.

Der Maler entwickelt in meist mehreren Arbeitssitzungen eine Sensibilität für die markanten Züge des Portraitierten, der Fotograf hingegen hält einen winzigen Augenblick fest und verallgemeinert diesen. Den unterschiedlichen Prozessen entspricht auch die Rezeption der Ergebnisse. Gemälde werden in der Regel intensiver wahrgenommen als eine Fotografie. Diese vermag zwar kleinste Details abzubilden, bleibt aber abstrakter, da ihr die Aura sinnlichen Erlebens fehlt. Und sie ist unbarmherzig. Kann nichts weglassen. Trotz oder gerade aufgrund dieser Objektivität wird eine Fotografie häufig als weniger repräsentativ wahrgenommen. Während man dem Gemälde eine tiefere Wahrheit unterstellt, wird die Fotografie schnell als eine zufällige Angelegenheit abgetan. Fühlt sich der oder die Portraitierte unvorteilhaft getroffen, fällt es schließlich leicht, eine andere Aufnahme auszuwählen. Ein Maler müsste sich da wohl auf längere Diskussionen einstellen.

Portraits lassen sich sowohl individualpsychologisch verstehen wie auch als Bestandteil einer kollektiven Typologie.

August Sanders Bildserie Menschen des Zwanzigsten Jahrhunderts hat das gezeigt. Die Sammlung erinnert in mancherlei Hinsicht an die Statik und Ästhetik der Rollendarstellungen des 19. Jahrhunderts, geht aber darüber hinaus. Sander hatte sich von den wilhelminischen Idealen befreit. Nach der Ausbildung zum Fotografen eröffnete er 1910 ein Atelier in Köln. Hier und im Westerwald entstanden Portraits von Menschen verschiedener Sozialschichten. Geprägt durch die klassische Ausbildung mit der Großbildkamera handelte es sich um gründlich vorbereitete, frontale Ganzkörperansichten. Die Portraitierten gaben durch Kleidung und gezielt eingesetzte Accessoires Hinweise auf ihre berufliche Stellung. Zwar lassen sich noch einige klassische Merkmale der konventionellen Repräsentationsfotografie erkennen, die Menschen waren bei Sander jedoch nicht allein auf ihren äußeren Status bedacht, sondern blicken mit einem davon unabhängig erscheinenden, von Innen kommenden, souveränen Ausdruck in die Kamera. Sander war es gelungen, trotz des inszenatorischen Charakters der Aufnahmesituation die Portraitierten für sich selbst sprechen zu lassen, ohne allzu sehr mit eigenen Wertungen einzugreifen.

In den 1920er Jahren kam Sander in Kontakt mit progressiven zeitgenössischen Künstlern, unter ihnen Otto Dix und Raoul Hausmann. Aber es lagen Welten zwischen deren Bildsprachen und Sander. Während es Dix meist um Abgründiges, Morbides und Triebhaftes ging und Hausmann um dadaistische Phantasiekonstruktionen, suchte Sander auf dokumentarische Weise den Ausdruck des Menschlichen im individuellen Antlitz und gleichzeitig das überindividuell Gültige. Seine Aufnahmen versah er deshalb mit Orts- und Zeitangaben, nicht jedoch mit den Namen der Abgebildeten. Deren Anonymität suggerierte Generalisierbarkeit. Die Konzeption sah 45 Reihen mit jeweils zwölf Bildern systematisch geordneter Darstellungen von Berufsgruppen vor. Dahinter verbarg sich eine soziologische Vorstellung der gesellschaftlichen Sozialschichtung.

Im Jahr 1927 wurde die Idee im Kölnischen Kunstverein vorgestellt und 1929 erschien als Vorausschau mit einer Auswahl von sechzig Bildern der Band Antlitz der Zeit. Nach der Machtübernahme der Nazis 1933 wurde dessen weitere Auslieferung verboten, die Druckvorlagen mussten vernichtet werden. Die Gründe für die Aversion lassen sich rekonstruieren. Sanders Portraits entsprachen nicht der von den Machthabern erwünschten Brauchtumsfolklore, wie einige braune Kritiker richtig erkannt hatten, sondern einer dokumentarisch angelegten Sicht ohne wertende Urteile. Die Nationalsozialisten konnten mit der Portraitsammlung deshalb nicht nur nichts anfangen, sondern betrachteten sie als ungeeignet für die Verbreitung der eigenen Rassentheorie. Mit Sanders Menschenbild, das die Würde jedes Einzelnen betonte, wollten sie nichts zu tun haben.

August Sander, der sich als Dokumentarist seiner Zeit verstand und die Dinge in absoluter Naturtreue wiedergeben wollte, ließ sich für rassentheoretisch begründete Unterscheidungen zwischen Herren- und Untermenschen nicht vereinnahmen. Er verstand sich als distanzierter Gesellschaftsanalytiker. Alfred Döblin schrieb 1929 im Vorwort zu Sanders Bildband: Wie man Soziologie schreibt ohne zu schreiben, sondern indem man Bilder gibt, Bilder von Gesichtern und nicht etwa Trachten, das schafft der Blick dieses Fotografen, sein Geist, seine Beobachtung, sein Wissen und nicht zuletzt sein enormes fotografisches Können.

Döblins Kommentar fordert nicht dazu auf, Sanders Werk unkritisch zu begegnen, denn Menschen anhand von Fotografien zu kategorisieren, findet eine Reihe zweifelhafter Parallelen, etwa bei Verbrechertypologien und Katalogen psychiatrischer Auffälligkeiten, insbesondere jedoch bei anthropologischen Zusammenstellungen sogenannter Rassemerkmale. Die vergleichende Fotografie dient in solchen Fällen als Herrschaftsinstrument. Ziel ist nicht die Darstellung von Individualität, sondern eine kollektive Zuschreibung mit bewertenden Konnotationen. Dies entsprach in keiner Weise Sanders Intention. Aber schon Walter Benjamin ahnte nach dem Erscheinen von Antlitz der Zeit, dass sich die Methodik der Idealtypenbildung auch für politische Zwecke einsetzen lässt, indem Äußerlichkeiten zu Distinktionsmerkmalen stilisiert werden.

Selbst wenn es nicht um Propagandaeffekte mit ideologisch aufgeladenen Bildreihen geht, besteht bei allen idealtypisch gedachten Darstellungen die Gefahr, dass sich beim Betrachter Erwartungsbilder festsetzen, wie die Vertreter eines bestimmten Berufes oder einer bestimmten sozialen bzw. ethnischen Gruppierung auszusehen haben. Dies gilt auch für das Portraitsystem Sanders, das mit dem Anspruch eines verallgemeinerungsfähigen bildlichen Querschnitts der Gesellschaft konzipiert war. Hinzu kommt, dass die in den Fotografien zum Ausdruck kommende, scheinbar selbstbewusste Gelassenheit nichts von den gesellschaftlichen Verwerfungen und politischen Konflikten ihrer Zeit anklingen ließen. Der konzeptionelle Ansatz Sanders bleibt deshalb bei aller fotografischen Qualität problematisch. Manche der Portraitierten mögen das vielleicht damals schon geahnt haben. Aber auch heute, nahezu hundert Jahre später, gibt es hier und dort eine Skepsis gegenüber dem eigenen Bild.

Der Mensch ist das einzige Lebewesen mit einer abstrakten Vorstellung von sich selbst. Und auch nur er denkt darüber nach, wie andere ihn wohl sehen. Nur allzu gerne betrachtet er sich deshalb im Spiegel.

Dieser zeigt ihn allerdings, nomen est omen, spiegelverkehrt. Da die Gesichtshälften nicht identisch ausgeprägt sind und nur wenige Menschen einen symmetrischen Mittelscheitel tragen, sehen uns andere eben nicht so, wie es das Antlitz im Spiegel suggeriert. Anders ist dies bei einer Fotografie einschließlich des Selfies. Da uns beide korrekt zeigen, nehmen wir das ungewohnte Portrait kritischer wahr, als dies beim morgendlichen Blick in den Badezimmerspiegel der Fall ist. Nun können wir anhand einer Fotografie die Sichtweise eines Gegenübers einnehmen. Zwar betrachtet uns auch dieser durch einen Subjektivitätsfilter, den wir nicht kennen. Aber darum geht es nicht. Bedeutsam ist allein die Überlegung, wie wir von anderen gesehen werden.

Noch wichtiger als dieser Gedanke ist das Bedürfnis, auf eine bestimmte, erwünschte Weise wahrgenommen zu werden. Wie schön wäre es da, wenn wenigstens eine Fotografie dem Idealbild entspricht. Und schon sind wir in der Welt der Schauspielerei. Da wird beim Auftauchen einer Kamera gelächelt und gekünstelt, was das Zeug hält, oder es wird eine betont entschlossene, finstere oder gelangweilte Pose eingenommen. Hauptsache, die Präsentation nährt das angestrebte Image. Da alle dieses Spiel kennen, werden die hunderttausend Schnappschüsse und Selfies meist nicht überbewertet und bleiben in der Regel belanglos. Einige Menschen fürchten das Portrait so sehr, dass sie jeder Kamera aus dem Weg gehen und das Fotografiertwerden kategorisch ablehnen. Ganz falsch liegen sie damit nicht.

Die Imaginationskraft von Bildern ist eine Macht. Dies ist seit Jahrhunderten bekannt, schon lange vor der Fotografie.

Da sich Bilder endlos betrachten lassen, können sich Vorstellungen entwickeln, die sich verselbständigen und in Form von Überzeugungen schließlich verfestigen. Wird eine Person nur häufig genug auf eine bestimmte Weise gezeigt, hält man das Bild am Ende für charakteristisch. Fotografien sind geeignet, komplexe Dinge, und dazu gehört die Persönlichkeit von Menschen, zu versimpeln. Portraits führen zu Projektionen, zu Erwartungen und Vorurteilen. Historisch gesehen, ist das keine neue Erscheinung.

Wir leben in einer Zeit mit diffusen Gottesvorstellungen. Wenn überhaupt. Es entspricht nicht der Logik säkularen Denkens, Dinge zu glauben. In früheren Zeiten war dies anders. Beim religiösen Bilderverbot, also der Untersagung bildlicher Darstellungen Gottes, ging es nicht um einen Wahrheitsdiskurs nach heutigen Kriterien, sondern um die Verteidigung von Glaubensgrundsätzen und Gewissheiten. Diese wiesen den Charakter unbedingt geltender Tatsachen auf. Wer ein Bild des Göttlichen schuf, stellte deshalb durch die Reduktion auf Vorstellbares dessen transzendente Eigenschaften, seine Unendlichkeit, das Übermenschliche und die prinzipielle Unbegreiflichkeit, in Frage. Eine solche Darstellung begrenzte die umfassende Unendlichkeit auf etwas Endliches, Konkretes und Weltliches. Begrenztes kann aber nicht überzeugend für etwas Unbegrenztes stehen. Die Bilderstürmer der Reformationszeit forderten deshalb nicht ohne Grund die Entfernung alles Abbildähnlichen aus den Kirchen. Martin Luther nahm die Angelegenheit ein wenig lockerer und akzeptierte pädagogische Gründe für die Verwendung religiöser Bildnisse. Sie schienen ihm als Zeugnis und als Zeichen erlaubt. Den radikalen Ikonoklasten hingegen ging das zu weit beziehungsweise nicht weit genug. Für sie hatte das alttestamentarische Verbot unbedingte Gültigkeit. War dies ein seltsames, voraufklärerisches Ding oder hatten die radikalen Bilderstürmer nicht in gewisser Weise recht? Wird Gott als weißbärtiger Greis dargestellt, lässt sich schließlich kaum noch von einem personifizierten, vermenschlichten Verständnis abstrahieren. Ob dies überzeugt, darf außerhalb des Kindergottesdienstes bezweifelt werden. Das religiöse Bilderverbot hatte die Logik durchaus auf seiner Seite und die Motive der Bilderstürmer sind gar nicht so weit entfernt von den säkularen Motiven derjenigen, die sich dem Fotografiertwerden verweigern. Instinktiv weichen sie der Reduktion auf ein Bildnis aus und meiden die Gefahr der Festlegung auf einen, vielleicht zufällig entstandenen, Typus. Das mag man ängstlich finden oder auch weise.