Berlins Mäusebunker

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Was wie ein gestrandetes Schlachtschiff inmitten einer grünen Umgebung anmutet oder wie die gigantische Requisite eines Science Fiction Films, ist die bis 2019 betriebene Forschungseinrichtung für Experimentelle Medizin der Charité in Steglitz, zuvor Zentrales Tierlaboratorium der Freien Universität Berlin. Aus jener Zeit stammt auch die Bezeichnung Mäusebunker. Heute wird das Gebäude nicht mehr genutzt, steht jedoch als herausragendes bzw. zweifelhaftes Beispiel für den architektonischen Brutalismus unter Denkmalschutz.

Asbestbelastung und die komplexe Technik erschweren aufgrund des erwartbaren Sanierungsaufwandes die Realisierung neuer Nutzungskonzepte. Einem Abriss steht gleichwohl die Vision gegenüber, dieses einzigartige Gebäude zu erhalten. Neben der schlachtschiffartigen Beton- anmutung zeigt es eine Reihe funktioneller Details, die dem ursprünglichen Zweck des Bauwerkes durchaus gerecht wurden. Dies betrifft unter anderem die beidseitig installierten Kanonenrohre. Was auf den ersten Blick befremdlich wirkt, bekommt bei näherer Betrachtung nicht nur Sinn, sondern hat auch einen gewissen ästhetischen Reiz.

Die Zentralen Tierlaboratorien der Freien Universität wurden von dem Berliner Architekten Gerd Hänska, einem Schüler Peter Poelzigs, geplant. Die Ausführung fiel in die Jahre 1971 bis 1981, gestaltete sich jedoch im Vergleich zur Planung als deutlich kostenintensiver. Aber das Gebäude hatte aufgrund seiner Funktion als medizinische Experimental- einrichtung auch strengen Sicherheitsanforderungen zu entsprechen. Die Labore waren tief im Inneren untergebracht, die äußeren Ansaugrohre dienten der Belüftung, massive Stahltüren schotteten die Bereiche voneinander ab, ein ausgefeiltes Farbkonzept förderte die Orientierung. Vorgesehen waren nicht nur Käfige für Ratten und Mäuse, sondern auch Ställe für größere Tiere. So berichten Anwohner, dass hin und wieder Lamas auf den begrünten Freiflächen rund um den Mäusebunker zu sehen waren.

Prägend ist die architektonische Formensprache. Historisch eher ein Nachzügler des Brutalismus, ergänzt das Gebäude die zeittypische Beton- architektur der Bretterverschalungsästhetik des benachbarten Instituts für Hygiene und Mikrobiologie sowie der formalistischen Moderne des Klinikums Benjamin Franklin um eine weitere Variante. Die industrielle Vorfertigung von Bauteilen des Mäusebunkers, etwa der markanten Dreiecksfenster in Pyramidenform, bildete mit offensivem Bekenntnis zum Werkstoff Beton eine Alternative zum Guss vor Ort. Auch die Wirkung der Oberfläche war durchdacht. Gedanklich vergleichbar mit der Rostlaube der Freien Universität in Dahlem, wurde der Zahn der Zeit als dynamisches Moment antizipiert. Die Betonoberfläche des Gebäudes zeigt sich heute teilweise eingedunkelt mit Flechtenbewuchs.

Nachnutzungskonzepte des leerstehenden Bauwerkes sind aufgrund der vorhandenen Bedingungen eine komplexe Angelegenheit. Schicke Lofts für Gutbetuchte oder Büros wären wegen der Grundrisse und der begrenzten Fensterflächen schwer realisierbar. Die Denkmalschutzbehörde scheint im Übrigen zwar flexibel gestimmt, hat aber ebenfalls einige Forderungen an die Bestandssicherung. Unter Verwertungsaspekten betrachtet, wäre ein Abriss und die Neubebauung des Areals wohl die renditeträchtigste Lösung. Gleichwohl steht die Frage im Raum, ob dieses Bauwerk, von Kritikern geschätzt oder verurteilt, nicht unbedingt erhalten werden sollte. Dass wirtschaftliche Aspekte dabei zu berücksichtigen wären, ist unbestritten. Die Diskussion darüber findet seit einiger Zeit statt. Zu Recht. Je intensiver man sich mit dem Bauwerk befasst, umso mehr steigt die Wertschätzung für diesen ungewöhnlichen Entwurf, der im Vergleich zur Massenarchitektur der Gegenwart eine bemerkenswerte Sonderstellung einnimmt. Brutalismus hin oder her, der Mäuse- bunker ist längst ein Stück Architekturgeschichte.

Wer an Details zur Geschichte, Gegenwart und Zukunft des Bauwerkes interessiert ist, dem sei unbedingt die Dokumentation des Landes- denkmalamtes Berlin in Zusammenarbeit mit der Charité zum Modellverfahren Mäusebunker empfohlen. Informative Textbeiträge, Planungs- unterlagen und weitere Dokumente befassen sich mit den Herausforderungen und Chancen, die sich bei einem Erhalt des Gebäudes ergäben. Von Bedeutung sind nicht zuletzt die Überlegungen zur Ressourcenbilanz. Diese sprechen dafür, das Gebäude besser für neue Zwecke zu ertüchtigen, statt es abzureißen und durch Anderes zu ersetzen. Die Materialien zum Modellverfahren Mäusebunker bieten auch in dieser Hinsicht bedenkenswerte Anregungen zur Stadterneuerung.