Wunderkinds Schnappschüsse

Wohin soll es führen, wenn so ziemlich alles, was mit irgendeinem Gerät geknipst wird, in einer Ausstellung auftauchen kann? Oder schon ein paar Smartphonebilder ausreichen, um vom Feuilleton beachtet zu werden? Allerdings werden es kaum die von Erika oder Max Mustermann fotografierten Bilder sein, die uns da begegnen. Da braucht es schon eines prominenteren Namens. Und eines Kunstbetriebes, der das Ganze befeuert. Erst der Bekanntheitsgrad eines Fotografen erzeugt bei professioneller Vermarktung eine einigermaßen verlässliche Aufmerksamkeit. Dazu passt als Resonanzboden ein Publikum, das sich willig dem gut vorbereiteten Hype hingibt. Eigentlich nichts Neues in der Kunstszene.

Es geht um Lars Eidinger und die Ausstellung O Mensch im K 21 der Düsseldorfer Kunstsammlung NRW.

Wir haben es hier mit einem herausragenden Schauspieler zu tun, der bei seinen Gängen durch die Städte meist ein Smartphone zur Hand hat und dabei das eine oder andere Motiv festhält. Muss man Eidinger deswegen für einen Universalkünstler halten? Wir unterstellen, dass ein solches Narrativ von anderen gestreut wird, nicht von ihm selbst. In der Kulturszene wird es jedenfalls gerne aufgenommen. Eidinger ist nun einmal eine Marke und die Zuschreibungen als großer Schauspielkünstler sind allgegenwärtig. Das dürfte ihm bewusst sein. Ob auch die fotografische Seligsprechung Eingang in das Selbstbild gefunden hat, wissen wir natürlich nicht.

Der Hauptdarsteller wirkte bei der Vernissage in Düsseldorf bescheiden, wie die Presse zu berichten wusste. Die WAZ verwies auf einen schüchternen Blick und die Bitte, nicht fotografiert zu werden. Als wolle er um keinen Preis auffallen. Aber Eidinger ist ein Schauspieler, der immer wieder in neue Rollen schlüpft, wie die FAZ anmerkte. Und so kann man die Düsseldorfer Vernissage als Bühne betrachten, die von einem Rollenspieler bedient wurde. Ein Profi mit professionellem Kalkül eben. Damit ließe sich auch erklären, warum er das eigene Fotografiertwerden bei der Vorbesichtigung durch die Presse ablehnte und nur autorisierte Bilder zuließ, wie die WZ berichtete. Die Marke Eidinger will offenbar geschützt sein. Ob gleiche Persönlichkeitsrechte auch für die von ihm fotografierten Menschen gelten, bleibt offen. Damit klingt eine der Ambivalenzen an, die das Ausstellungsprojekt begleiten. Einerseits wird von Kritikern die zurückhaltende Sensibilität Eidingers gewürdigt, der den verletzlichen, vereinzelten, verarmten Menschen in seinem städtischen Alltag zeige, andererseits blieben die Abgebildeten, wie die Stuttgarter Zeitung meint, letztlich Statisten. Eidingers Hinwendung zu ihnen sei oberflächlich.

Schon Susan Sontag hatte das Phänomen beschrieben, dass der saturierte bürgerlichen Blick das Elende, Schmutzige und Skurrile sucht und es fotografisch instrumentalisiert, um damit Kunst entstehen zu lassen. Aber in Düsseldorf stellt sich die Frage, ob Eidingers Schnappschüsse überhaupt Fotokunst sind. Oder ob sie nicht durch eine solche Ausstellung erst zur Kunst gemacht werden.

Aus postmoderner Sicht mag das eine müßige Überlegung sein. Anything goes, alle Bewertungsmaßstäbe sind nichts als Schnee von gestern. Ein paar nette Begleitkommentare zum Werk des Universalgenies, und fertig ist die Laube. So fragt dann auch der eine oder andere Kritiker, ob es irgendetwas gäbe, was Eidinger nicht könne. Schauspieler, Plattenaufleger und nun auch Fotograf. Was für eine Begabung! Ein Wunderkind eben. Andere bleiben zurückhaltender. Eidinger sei kein schlechter Fotograf, aber Erika oder Max Mustermann eben auch nicht. Nur finden diese keine Beachtung.

Eidinger weiß, seine Rolle zu gestalten. Aber es wirkt ein wenig effektheischend, wenn er den Begriff Smartphone vermeiden will und darauf besteht, mit einem Telefon zu fotografieren, da das Gerät alles andere als smart sei. Die Begründung klingt etwas albern. Im Übrigen habe er, so Eidinger weiter, seinen Instagramkanal gelöscht, weil ihn dessen toxischer Einfluss krank gemacht habe. Die Klage wirkt zu kokett, um überzeugend zu sein. Vielleicht ist ja alles auch viel banaler. Wer seine Bilder über eine Galerie als C-Prints verkauft oder als Fotobuch über einen Verlag, wird sie vielleicht nicht vorab frei zugänglich im Netz zur Verfügung stellen wollen.

Eidinger führt vor, was wir alle gerne tun: Wir kuratieren die Darstellung unseres Handelns und entwerfen attraktive Begleitgeschichten, um im Zeitalter der Singularitäten interessant zu erscheinen. Insofern, Hut ab vor dem fotografierenden Schauspieler, der uns wie auf der Theaterbühne einen Spiegel vorhält.

Zu den Bildern Eidingers hat Stefan Gronert im Sprengel FOTO-Blog im Übrigen angemerkt, dass es sich um ein mediokres Werk handele, das vor allem deshalb Aufmerksamkeit hervorrufe, weil viele der bekannten Namen der zeitgenössischen Fotografie inzwischen an Anziehungskraft verlören. Die Szene giert, so lässt sich der Gedanke weiterentwickeln, nach neuen Ankerpunkten und coolen Narrativen. Eidinger könnte dabei als zeitgemäßes Kontrastprogramm zu Gursky und Co. eine aufnahmebereite Zukunft als Fotograf vor sich haben. Die Feuilletons scheinen dafür jedenfalls gerüstet.

Die Ausstellung O Mensch ist im K 21 der Kunstsammlung Nordrhein-Westfalen in Düsseldorf noch bis zum 26. Januar 2025 zu sehen.

Bei Hatje Cantz ist das gleichnamige Fotobuch erschienen.

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Die Fragilität des Alltags