Vor hundert Jahren

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Das Jahr 1923 erweist sich als vorbereitendes Schlüsseljahr der fotografischen Moderne. Es ist der Beginn einer Inkubationszeit, die zwei Jahre später mit der Neuen Sachlichkeit, mit der ersten, in Serie produzierten Leica und mit dem ersten wichtigen Theoriewerk der Fotografie, László Moholy-Nagys Malerei, Fotografie, Film, ihren Höhepunkt fand. Bis heute hat die damals entfachte Dynamik nichts an Relevanz eingebüßt.

László Moholy-Nagy, 1895 in Ungarn geboren, beginnt mit der Malerei, siedelt dann nach Wien und im Jahr 1920 nach Berlin über. In Wien befindet er sich noch in Distanz zu den experimentellen Avantgardisten und liebäugelt mit dem Expressionismus. Dies ändert sich in Berlin, wo er sich den Konstruktivisten und Dadaisten annähert. Kontakte entwickeln sich zu Kurt Schwitters, Raul Hausmann, Kasimir Malewitsch und El Lissitzky, zu Theo van Doesburg, Hannah Höch und Piet Mondrian. Bereits zwei Jahre nach seiner Ankunft findet in Herwarth Waldens Galerie Der Sturm seine erste Einzelausstellung statt. Ab 1923 ist er, berufen von Walter Gropius, als Nachfolger von Johannes Itten Lehrer am Bauhaus, zunächst in Weimar und später in Dessau.

Ordnet man das Werk Moholy-Nagys in inhaltlich zusammengehörende Abschnitte, erscheinen für das fotografische Paradigma drei Komplexe von Bedeutung: Erstens die Gedanken zur Theorie der Fotografie, zweitens die Gestaltungsgrundlagen der Fotogramme und drittens die Arbeiten mit Licht, ob in Form kinetischer Skulpturen oder als Multimediawerke. Manches von dem ähnelt den Themen heutiger Kunstdiskurse im postmodernen Zeitalter des Anything goes, aber schon Moholy-Nagy war souverän genug, keine künstlerischen Wege von vorneherein auszuschließen. Nur produktiv sollten sie sein und den Betrachter zur Auseinandersetzung auffordern, statt zu langweilen. 1925 veröffentlichte er das oben genannte Malerei, Fotografie, Film, in dem die Bedeutung der Fotografie für die zeitgenössische Kunst und Kultur paradigmatisch erörtert wird.

Im fotosinn-Beitrag Befreiung von der Malerei wird diese Epoche der Fotografiegeschichte mit dem Wirken Moholy-Nagys weiter ausgeführt.

Als ebenso bedeutsam für die Fotografie des Zwanzigsten Jahrhunderts erweist sich die schnelle Kleinbildkamera mit dem 35mm-Film. Im Jahr 1925 kam die Leica I A auf den Markt, ihr Nullserien-Prototyp wurde aber schon 1923 vorgestellt. Die mit dieser Kamera ermöglichte Umsetzung spontaner Konzepte prägt die fotografische Ästhetik bis heute. Im fotosinn-Beitrag Der magische Augenblick ist dies beschrieben.

 

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