Rezension: Edward Westons kompromisslose Fotografie

Einer der stilprägenden Wegbereiter der modernen Fotografie des Zwanzigsten Jahrhunderts war Edward Weston. Seine Arbeiten entsprangen, wie Ansel Adams es einmal nannte, einer tiefen Intuition, die den Kräften des Abgebildeten außerhalb des Faktischen nachspürt und sie in eine bildliche Symbolsprache übersetzt. Viele von Westons Fotografien wirken vielleicht gerade deshalb so zeitlos. Jenseits aller Überlegungen zu den klassischen Gestaltungsregeln vermitteln die Formen und Flächenproportionen seiner Bilder eine unmittelbare Evidenz, der man sich kaum entziehen kann.

Nachdem im Beitrag vom 31. Oktober die Monografie Man Rays gewürdigt wurde, folgt nun eine ebenso nachdrückliche Empfehlung für den in ähnlicher Ausstattung vorliegenden Bildband über Edward Weston, ebenfalls erschienen im Taschen Verlag. Die repräsentative Zusammenstellung der über mehrere Jahrzehnte entstandenen Fotografien wird ergänzt durch den informativen Textbeitrag Kompromisslose Leidenschaft von Terence Pitts.

Edward Henry Weston wurde im Jahr 1886 in Illinois geboren und verbrachte die Kindheit in Chicago, wo er als Jugendlicher mit dem Fotografieren begann. Nach der Ausbildung ging er nach Kalifornien und ließ sich dort als Fotograf nieder. Folgte er zunächst noch einem piktoralistischen Stil mit Softfokus und gemäldeähnlicher Anmutung, so standen später Aufnahmen mit großer Detailgenauigkeit und häufig abstrakt erscheinenden Formen im Vordergrund. Folgerichtig zählte er im Jahr 1932 zusammen mit Ansel Adams, Willard Van Dyke, Imogen Cunningham, John Paul Edwards und Sonja Noskowiak zu den Gründungsmitgliedern der Gruppe f/64. Der Name war Programm. Die Straight Photography setzte auf technischen Perfektionismus bei der Realisierung einer Aufnahme, gepaart mit einem Gestaltungsverständnis, das sich, zumindest bei einigen Vertretern der Gruppe, deutlich vom klassischen Naturalismus entfernte und dem Betrachter bei aller Detailgenauigkeit Raum für eigene Assoziationen und Phantasien ließ. Westons Aufnahmen von Muscheln (Shells) aus dem Jahr 1927, von Paprikaschoten (Pepper, 1929/30) oder eines weißen Rettichs (White Radish, 1933) bezeugen dies.

Terence Pitts bezeichnet Weston als eine Schlüsselfigur im Reifungsprozess der Kunst der Fotografie. Das Leben in der kalifornischen Bohéme, die sich nicht zuletzt als Alternative zum Ostküstenintellektualismus verstand, dann die Berührung mit der Ursprünglichkeit mexikanischer Volkskunst und schließlich das Bekenntnis zur einfachen klaren Form stellten Entwicklungsschritte dar, die Weston zu einer Art expressivem Realismus führten, der ihn trotz vieler ästhetischer Affinitäten von den eher kühlen Bildern eines Man Ray oder László Moholy-Nagy abgrenzt. Vergleichbar mit dem Wirken von Alfred Stieglitz, ist seine Leistung für die ernsthafte Akzeptanz der Fotografie jenseits der damals verbreiteten amateurhaften Bemühungen kaum hoch genug einzuschätzen. Weston hat dazu nicht nur durch sein fotografisches Werk beigetragen, sondern ebenso durch engagierte Stellungnahmen und zahlreiche Zeitschriftenaufsätze.

Das Oeuvre Edward Westons ist umfangreich. Es umfasst Aktaufnahmen, Bilder von Wüsten, Dünen und Küstenfelsen, Landschaftsaufnahmen ebenso wie technische Artefakte, Stillleben und immer wieder Portraits. Etwa seit Mitte der dreißiger Jahre lehnte er es übrigens ab, weiterhin die im Kundenauftrag angefertigten Portraits zu retuschieren, ein bis dahin übliches Verfahren zur bildlichen Glättung der Abgebildeten. Was auf den ersten Blick wie eine simple Erleichterung der Dunkelkammerarbeit aussah, drückte Westons gewachsenes paradigmatisches Verständnis der Straight Photography aus: Klarheit und Perfektionismus in der Abbildung des Naturbelassenen, dabei jedoch große Freiheit in der Formensprache und eine expressive Kompromisslosigkeit.

Die Beschäftigung mit den Bildern Edward Westons ist auch heute jedem an der Bandbreite moderner fotografischer Ausdrucksmöglichkeiten Interessierten unbedingt zu empfehlen. Das Buch aus dem Taschen Verlag bietet hierzu einen Zugang. Neben diesem Bildband ermöglicht auch die von Familiennachkommen des Fotografen gestaltete Webseite Edward Weston einen informativen Überblick.

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