Die Weisheiten des Fuchses

Anlässlich der jährlichen Verleihung des Kaiserrings darf sich die Stadt Goslar einer regelmäßigen medialen Aufmerksamkeit erfreuen. Alle bislang Ausgewählte haben in der zeitgenössischen Kunst Rang und Namen. Nachdem im vergangenen Jahr Isa Genzken den Preis erhalten hat, ist die Wahl der Goslarer Jury nun auf Wolfgang Tillmans gefallen, dessen Werkauswahl auf mehreren Etagen des kleinen Mönchehaus Museums gezeigt wird. Mit Matt Copson wurde darüber hinaus ein Stipendiat gekürt, dessen cartoonistisch anmutenden, dabei jedoch tiefgründige Videoarbeiten zwei weitere Räume füllen.

Schon das Werk Genzkens ließ sich nicht auf ein Genre reduzieren, sondern changierte zwischen Skulptur, Installation und Fotografie. Auf fotosinn hatten wir darüber berichtet. Wolfgang Tillmans setzt den Ansatz in gewisser Weise fort. Er nutzt alle Möglichkeiten der fotografischen Techniken, lässt sich jedoch kaum auf die klassische Rolle eines Fotografen reduzieren. In einem kurzen Video, das im Mönchehaus Museum als Endlosschleife gezeigt wird, macht Tillmans selbst dies deutlich. Er sei schon immer fasziniert davon, dass eine Fotografie einerseits Informationen vermittele, andererseits eines manifesten Bildträgers bedürfe. Wird sie präsentiert, habe sie deshalb stets auch einen Objektcharakter, insbesondere im Rahmen von Ausstellungen. Er selbst habe sich im Übrigen als Fotograf nie festlegen lassen, sondern sei Vieles und an Vielem interessiert, an der Dokumentarfotografie ebenso wie an der Modefotografie oder der Arbeit für Zeitschriften, besonders jedoch an der gezielten Anordnung von Bildern als Objekte im Ausstellungsraum. Das kurze Video endet mit einem fröhlich lachenden Tillmans, der das Ganze auf den sympathischen Punkt bringt: So einfach ist das!

Das Werk Tillmans zeigt, wie sich fotografische Gegenwartskunst im postmodernen Zeitalter erfolgreich präsentieren lässt. Das herkömmliche Tafelbild steht dabei nur noch selten im Mittelpunkt. Vorherrschend sind konzeptionelle Arrangements, die sich aus mehreren Bestandteilen zusammensetzen. Nicht selten wirkt das einzelne Bild für sich allein betrachtet sogar eher banal und erinnert an Beiläufiges oder Schnappschussartiges. Erst in der Zusammenfassung solcher Bilder zu Tableaus können sich Sinninhalte ergeben, die sonst nicht zum Tragen gekommen wären. Man erkennt hier die freie, künstlerische Seite, die Tillmans neben den frühen Bildern aus jugendlichen Subkulturen einen Ruf als Gegenwartskünstler eingebracht hat. Für den Kunstmarkt interessant sind darüber hinaus insbesondere die auch für Repräsentationszwecke bestens geeigneten Werke, etwa die aus der Freischwimmer-Serie.

Die Räumlichkeiten im Mönchehaus bieten nur eine begrenzte Präsentationsfläche. Großformatige Werke, wie sie im vergangenen Jahr in London in der Tate Modern oder bei anderen Einzelausstellungen zu sehen waren, auf fotosinn wurde darüber berichtet, können hier nur eingeschränkt gezeigt werden. Die Ausstellung in Goslar ist, vielleicht auch deshalb, von einer Mischung geprägt, die nicht wirklich überzeugt. Da hängen Fotografien, Montagen, Blätter aus dem Kopierer oder dem Printer so nebeneinander, dass sich, zumindest für mich, ein roter Faden nicht so recht einstellt. Aber vielleicht ist das zu konventionell gedacht und das Prinzip des postmodernen Arrangements liegt gerade im Charakter des beliebig Erscheinenden, wie zufällig Zusammengefügten. Dieses Querbeethafte, das seinen Reiz haben und eine besondere Wahrnehmungsatmosphäre entstehen lassen mag, hat mich hier jedoch an den Rand der Kapitulation geführt. Aus einer Besuchergruppe war, offenbar wurde dies dort ähnlich empfunden, ein lapidares Damit kann ich mich nicht anfreunden zu vernehmen. Waren es die kleinen intimen Räumlichkeiten im Mönchehaus, die Tillmans bei der eigenhändig vorgenommenen Anordnung seiner Werke an Grenzen des Machbaren geführt haben? Benötigt er vielleicht zur wirksamen Präsentation die großen Museumshallen? Ich weiß es nicht und gehe auch erst einmal vom eigenen Unvermögen aus, die Dinge zu verstehen. Unter dem Strich war ich jedenfalls von der Goslarer Schau ein wenig enttäuscht.

Vielleicht wären einige begleitende Informationen zu den Hintergründen der gewählten Bildanordnungen hilfreich gewesen, aber die gab es nicht. Nun gut, man soll sich ja schließlich selbst ein Bild machen. Versöhnt hat mich dafür der schmale Katalog, der ein Leporello mit Bildern Tillmans sowie eine eingelegte Textbroschüre enthält. Diese beleuchtet zwar nur am Rand die aktuelle Ausstellung, enthält jedoch die Laudatio zur Preisverleihung, gehalten von Marion Ackermann, die gekonnt einen Bogen über das breit angelegte Schaffen Tillmans spannt. In der ebenfalls abgedruckten Urkunde wird zusammengefasst, dass sein Werk in der Dialektik von Poesie und Ernüchterung und dem Ausloten der Grenzen des Mediums Fotografie einen wertvollen Beitrag zur Kunst der Gegenwart leistet. Das lassen wir jetzt mal so stehen.

Mit Tillmans hat man in Goslar einen Künstler gewählt, der im Galerie- und Auktionsmarkt fest etabliert ist und mit dem man nichts falsch machen konnte. Auch er ist nun in die Ahnengalerie aufgenommen, aber überraschende Kunst, die fasziniert, haben wir in der Zusammenstellung des Mönchehaus Museums nicht erkennen können. Das soll kein Vorwurf sein, wird mit dem Kaiserring doch das bisherige Werk eines Künstlers gewürdigt. Anders stellt sich das beim Kaiserring-Stipendiaten dar. Hier setzt man eindeutig auf die Zukunft. Der erst 26-jährige Matt Copson, Absolvent der Slade School of Fine Art in London und bereits von mehreren renommierten Galerien vorgestellt, ist ein Multitalent. Er beherrscht Video und Cartoon ebenso wie Materialien unterschiedlicher Art und hat darüber hinaus offenbar eine Menge Philosophisches gelesen. In drei Filmen erklärt seine animierte Zeichenfigur, der Fuchs Reynard, die Welt, oder besser, er erklärt, dass diese und der Sinn des Ganzen letztlich eben nicht zu erklären sind. Das alles sieht auf den ersten Blick höchst postmodern aus, enthält jedoch eine Menge dialektischer Bezüge und Andeutungen, so dass wir mit einer Attributierung zögern. Vielleicht scheinen in den Werken Copsons ja sogar Weisheiten jenseits des postmodernen Anything-goes durch. Die drei Videos einschließlich ihrer Textelemente sind jedenfalls faszinierend gemacht, und die Stipendiatenwahl ist absolut überzeugend.

Beide Ausstellungen sind noch bis zum 27. Januar 2019 im Mönchehaus Museum in Goslar zu sehen.

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