Der Kurfürstendamm im April

Corona hält weiterhin alles fest im Griff. Während sich in früheren Jahren im April bereits Touristenmengen durch die Stadt schoben und über die Osterfeiertage die meisten Hotels ausgebucht waren, herrscht nun gähnende Leere. Restaurants und Cafes bleiben geschlossen, der Einzelhandel ist noch immer stark eingeschränkt und unterliegt wechselnden Öffnungsbedingungen. Auch an normalen Wochentagen wirkt das Kranzlereck mitunter wie an einem frühen Sonntagmorgen.

Zunehmend sind Schaufensterpuppen ohne Kopf oder ohne Oberkörper zu sehen. Ein Trend, der die Maskenfrage obsolet werden lässt. Aber es ist eine etwas hilflos erscheinende Antwort. Nicht nur geräumte und verwaiste Ladengeschäfte, sondern auch geleerte Ausstellungsvitrinen zeugen von der längst eingesetzten Pleitewelle. Vieles wird momentan am Kurfürstendamm zur Neuvermietung angeboten. Für andere geht es irgendwie weiter. Click an Meet bot zu Beginn des Monats hier und dort mit Voranmeldung die Möglichkeit zum Einkaufen. Später dann die Auflage, einen Ladenbesuch nur bei Vorlage eines tagesaktuellen Covid-19 Negativtests zuzulassen. Genutzt wird dies kaum, die Warteschlangen vor den Teststationen sind übersichtlich. Einige, wie auch die Spielbank Berlin, bleiben jedoch fröhlich und optimistisch. Zumindest Anfang April ging man noch davon aus, den neuen Standort am Kurfürstendamm zum 1. Mai, dem Tag der Arbeit, zu eröffnen. Wir werden sehen.

Ob es sich beim schleichenden Niedergang des Einzelhandels und bei den Problemen der Kaufhäuser sowie einiger Shopping-Malls nur um eine Folge der Corona-Epidemie handelt, darf bezweifelt werden. Der Prozess der innerstädtischen Verödung hatte schon zuvor eingesetzt und hängt ebenso mit dem veränderten Konsumverhalten zusammen, das immer häufiger online stattfindet, wie auch mit der Mietpreisentwicklung für Gewerberäume. Viele Einzelhändler und Gastronomen können bei den gegenwärtig aufgerufenen Konditionen nicht mehr mithalten und geben auf.

Da das Vermietungsgeschehen zunehmend von meist auf kurzfristige Maximierung angelegten Renditeerwartungen international tätiger Immobilienunternehmen bestimmt wird, denen die Probleme der regionalen, innerstädtischen Sozialraumentwicklung reichlich egal sind, kann eine Änderung der Lage durch sie nicht erwartet werden. Eine wirksame Begrenzung der Spekulation durch den Gesetzgeber ist bislang im Übrigen ausgeblieben. Die weiteren Folgen sind absehbar.

Eines Tages wird es am Kurfürstendamm nur noch wenige hochpreisige Luxusgeschäfte für die alten und neuen Reichen sowie Gewerberäume für Anwaltskanzleien, Beratungsunternehmen jeglicher Art, Privatpraxen, Schönheitschirurgen und Marketingagenturen geben. Der Boulevard bliebe bei einem solchen Szenario, das die exklusiven Konsumbedürfnisse Weniger zum Maßstab nimmt, allerdings wohl reichlich unbelebt. Attraktive Menschen im edlen Outfit wären unter sich, mit viel Platz und ungestört von drängelnden Massen.

Eine Alternative wäre die Ballermannisierung. Fast-Food an jeder Ecke, auch für den Mittagslunch der Büromenschen, dazu Vergnügungslokalitäten aller Art und internationale Klamottenketten im Niedrigpreissegment. Ein Szenario, das auf hohe Kundenzahlen und Massenumsätze setzt. Kleinvieh macht eben auch Mist, in diesem Fall Rendite. Ja, wenn da nicht dieses verflixte Internet wäre, das alle Produkte frei Haus verspricht, ohne dass überhaupt noch ein Fuß bewegt werden muss. Aber vielleicht wird ja alles gut, wenn die Touristen wieder da sind und den einen oder anderen Euro auch am Kurfürstendamm ausgeben.

Die gegenwärtige Verödung stellt ein über die Pandemie hinausführendes Symptom dar. Die Friedrichstraße in Berlins Mitte erlebt im Übrigen seit einiger Zeit Ähnliches. Corona hat auch hier so gut wie nichts mit dem Niedergang zu tun und wirkt bestenfalls als Katalysator. Die künftige Entwicklung der Innenstädte als einstmals intensiv genutzter Raum bedarf eines Diskurses ohne Furcht vor unbequemen Schlussfolgerungen. Solange sich die Politik nicht in der Lage sieht, regulierend einzugreifen, oder dies schlichtweg nicht will, wird die Entwicklung allerdings nicht so sehr auf der Grundlage gemeinwesenorientierter Sozialraumkriterien erfolgen, sondern entsprechend der Logik simpel gestrickter Renditeziele nüchtern kalkulierender Investmentgesellschaften und deren Stakeholdern. Das Kapital, machen wir uns nichts vor, hat längst die Innenstädte erobert. Nicht nur Wohnen, sondern auch Shoppen wird in ihnen tendenziell zu einer elitären Angelegenheit. Man sollte nicht alles auf die Pandemie schieben!

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