Bücher über Fotografie

Das Angebot an Literatur zur Theorie der Fotografie und ihrer künstlerischen Bedeutung hat in den vergangenen Jahrzehnten beständig zugenommen. Da den Überblick zu behalten, fällt schwer. Das Magazin LensCulture hat kürzlich eine Liste von sechs Büchern vorgestellt, die von zahlreichen Rezensenten immer wieder empfohlen worden sind. Auch wenn die Gültigkeit einer solchen Zusammenstellung nicht überbewertet werden sollte, da Buchempfehlungen immer etwas Subjektives anhaftet, erscheint die Auswahl nachvollziehbar.

The Photograph as Contemporary Art von Charlotte Cotton, erstmals erschienen 2004, gehört seit längerer Zeit zu den Büchern, die ich, fast wie ein Nachschlagewerk, immer wieder zur Hand nehme, wenn es um eines der großen Themen der zeitgenössischen Fotografie geht. Dabei lassen sich beim Lesen jedesmal neue, überraschende Aspekte wahrnehmen. Cotton orientiert sich bei der Kapiteleinteilung weniger an einer der üblichen Stilordnungen, sondern beschreibt den gegenwärtigen Status der Fotografie mit ihrer weiten Bandbreite vom eher klassisch dokumentarisch Erscheinenden bis hin zum flexibel eingesetzten Bestandteil medienübergreifender Projekte im digitalen Zeitalter. Anhand von Bildbeispielen werden viele bekannte Fotografinnen und Fotografen, aber auch Vertreter der jüngeren Generation vorgestellt. Während die englischsprachige Neuauflage von 2014 ein erweitertes Vorwort erhalten hat, das auch die Entwicklungen seit der Erstveröffentlichung berücksichtigt, enthält die Ausgabe des Deutschen Kunstverlags mit dem Titel Fotografie als zeitgenössische Kunst von 2011 diese Erweiterung noch nicht. Offiziell als vergriffen geführt, wird die deutsche Ausgabe gleichwohl im Online-Handel weiterhin hier und dort angeboten. Mit einem Kauf kann man nichts falsch machen.

The Photographers Playbook von Jason Fulford und Gregory Halpern hat sich als Publikation der Aperture Foundation seit dem Erscheinen im Jahr 2014 fest etabliert. Stets ist das praktische Fotografieren im Blick, theoretische Annäherungen bleiben Mittel zum Zweck. Nie hat man das Gefühl, das Buch sei in erster Linie für die Universität geschrieben. Es liest sich mit der Mischung aus klug gewählten Anmerkungen zu bekannten Fotografinnen und Fotografen, vielen technischen Hinweisen zum Aufnahmeprozess und zur Postproduktion sowie seinen medientheoretischen Erörterungen erfrischend abwechslungsreich. Darüber hinaus motiviert es, wie jedes gute Lehrbuch, zu neuen eigenen Projekten. In einer aktuellen, auch als kostenloser Download angebotenen Publikation mit dem Titel It´s All Dreaming hat LensCulture kürzlich neben anderen Themen auch auf The Photographers Playbook Bezug genommen.

The Decisive Moment von Henri Cartier-Bresson gehört zu den Klassikern der Fotoliteratur, erstmals veröffentlicht im Jahr 1952. Die Neuausgabe aus dem Steidl Verlag macht das fotografische Charisma Cartier-Bressons deutlich. Die zahlreichen perfekten Schwarzweißfotografien aus dem frühen Schaffen sowie ein gutes Dutzend Textseiten bilden einen Höhepunkt der Fotografie des Zwanzigsten Jahrhunderts, dessen Ausstrahlkraft bis in die Gegenwart anhält. Eine deutsche Fassung des Textes mit dem Titel Der entscheidende Augenblick ist in dem kleinen Band Henri Cartier-Bresson. Meisterwerke aus dem Verlag Schirmer/Mosel abgedruckt. Hier als Zitat der vorletzte Textabsatz: Indem wir leben, entdecken wir uns selbst und gleichzeitig die Außenwelt, die auf uns einwirkt, auf die wir aber auch unsererseits einwirken können. Zwischen dieser inneren und äußeren Welt muss ein Gleichgewicht geschaffen werden, die beiden Welten bilden in einem immerwährenden Dialog ein einziges Ganzes, und den Begriff davon müssen wir mitzuteilen suchen. Lässt sich das Potential der Fotografie prägnanter auf den Punkt bringen? Und nebenbei, die Beschäftigung mit den Fotografien Cartier-Bressons führt unweigerlich zu der Frage, wozu wir heute eigentlich alle zwei Jahre unsere Kameratechnik austauschen, um mit dem neuesten Modell nun endlich das ultimative Foto zu schießen. Die Lektüre einiger Fotobücher wie etwa dem hier genannten dürfte da am Ende doch deutlich mehr bringen.

Ways of Seeing von John Berger, erstmals erschienen im Jahr 1972, befasst sich auf grundlegende Weise mit dem Phänomen des Sehens und dessen Verhältnis zur Sprache. Da darf man heute das eine oder andere aus kognitionspsychologischer Sicht zwar ein wenig hinterfragen, aber das Buch eröffnet einen weiterhin gültigen, kulturkritischen Zugang zum Verständnis der faktischen Bedeutung und des manipulativen Gebrauchs von Bildern im medialen Zeitalter. Die deutsche Ausgabe ist unter dem Titel Sehen. Das Bild der Welt in der Bilderwelt als Taschenbuch erhältlich. Zusammen mit dem Essayband Der Augenblick der Fotografie befinden sich John Bergers Reflexionen auf einer Ebene mit den Überlegungen von Susan Sontag oder Roland Barthes.

The Art of Photography: An Approach to Personal Expression von Bruce Barnbaum aus dem Jahr 1994 gehört ebenfalls zu den Klassikern der Lehrbücher modernen Fotografierens. Neben zahlreichen Bildern, die ausführlich analysiert werden, zeigt Barnbaum Wege und Möglichkeiten zur Entwicklung eines eigenen Stils. Ein besonderes Augenmerk richtet er dabei auf Kompositions- und Gestaltungsfragen der Schwarzweißfotografie von der Aufnahme bis zur Postproduktion. Gleichwohl handelt es sich nicht um ein technisches Buch mit Anleitungen für ein gefälliges Bild. Vielmehr geht es vor allem um den persönlichen Ausdruck, der sich in einer Fotografie niederschlägt, wenn man bei der Aufnahme die eigene Position reflektiert und für sich selbst die Frage beantwortet hat, wie sich das Erlebte anderen mitteilen lässt. Das Ganze ist sehr inspirierend. Auch als Geschenk für Fotoenthusiasten ist das Buch nach eigener Erfahrung bestens angekommen.

Doing Documentary Work von Robert Coles, die letzte Empfehlung der Liste von LensCulture, habe ich bislang noch nicht gelesen und muss deshalb auf weitere Anmerkungen verzichten. Eine interessant erscheinende Rezension ist jedoch der Washington Post vom 2. November 1997 zu entnehmen.

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